Die Inselbühne musiziert sich in Leipzigs Moritzbastei durch Geschichte, Gag und Gegenwart.
Regisseur Heribert Fritzschen muss sparen: Seine großangelegte Inszenierung der Operette Die Banditen von Jacques Offenbach muss den Fördergeldstrukturen derzeitiger Kulturpolitik angepasst werden. Und die gibt heuer nur was für dreißig Jahre Mauerfall. Flugs wird die alte Räubermär in die Wendezeit verlegt.
Von Henner Kotter
Der ursprüngliche Handlungsort Italien wird zu Sachsen. Statt Spaniern erscheinen nunmehr Bayern und geben die Ratschläge zu besserem Leben. Klar, dass so solcher Kuddelmuddel inszenatorisch und individuell nicht gut gehen kann – geht er aber beim Sommertheater der Inselbühne in der Moritzbastei: Die Banditen oder die Mauer muss weg.
Regisseur Volker Insel ist dem Studentenkeller des Sommers guter Name. Seit Jahrzehnten heitern sich seine Inszenierungen durch die lauen warmen Nächte. Spezialität: Die persönlichen Befindlichkeiten der Darsteller hinter der eigentlichen Bühnenstory führen in die Katastrophe: So erinnern wir uns gern an die Dreharbeiten zu Ben Hur, das Garderobenchaos der hinter Zauberflöte und das Laientheater vom Arbeitsamt bei Friedrich Schillers Jubiläum. Diesmal wird der Mummenschanz von Operettenseligkeit genüsslich auseinandergenommen. Und nicht nur der: Die Verdrängungsmechanismen von Kultur und Politik werden spielend vorgeführt. Freies Künstlervolk kann auf zu engem finanziellen Boden eben einfach nicht existieren. Das ist böse. Das ist lustig. Das ist das perfekte Sommertheater. Selten so gelacht.
Das Publikum spendet dem Ensemble deshalb zu Recht frenetischen Applaus, hat aber handlungstechnisch längst den Überblick verloren. Beherrscher des Abends soll Heribert Fritzschen sein, der nun ob der politischen Maßgaben qualvoll alles merzt, was Kosten kostet: Streicher, Spieler, Honorar. Die verbliebenen Crewmitglieder müssen nunmehr nicht nur ihre Rolle spielen, sondern deren viele und noch mehr. Schwieriger macht das Ganze, die genehmigten Kulturgroschen sind streng Verwendungszweck gebunden und dürfen nicht anders ausgegeben werden: Also Mauerfall und Wendeeuphorie müssen mitspielen. So mixt man nun Offenbachs Musik mit den Hits der Zeit von Karussell bis ABBA. Die Räuberpistole wird neues Deutschland, und die Mimen haben keine Wahl.
Armin Zarbock begeistert einmal mehr als Manager, dem alles entgleitet. Seine Darstellerkunst ist so wandlungsfähig wie den Situationen angemessen. Maria und Michael Hinze (wir erinnern uns mit Wehmut dem Starensemble der Maria-König-Kapelle und warten auf deren Auferstehung) haben die musikalischen Themenwechsel voll im Griff. Carolin Masur, Lissa Meybohm und Benjamin Mahns-Mardy sind ausgebildete Sangeskünstler, was dem dilettantischen Geschehen Pep verleiht, denn sie meistern die Stimm- und Stilbrüche bravourös. Auch Kostüme und Maske müssen Erwähnung finden, denn sie lassen erstaunliche Assoziationen zu. Man glaubt Evelyn Hamann, Die Amigos oder Martin Kesici u.v.a. zu erkennen – ihr Geist schwebt über allem. Erstaunlich sangeslastig ist diesmal dies Theater und es setzt auf Hits, die jeder kennt, nur nicht in diesem Zusammenhang vermutet. Mancher im Publikum war geneigt mitzusingen und schämte sich dessen selbstvergessen nicht. Genauso muss des Sommers das Theater sein: Allen, aber auch allen Beteiligten herzlichen Dank.
Der Kritiker hat nichts zu kritisieren, denn auch er war hingerissen und vermochte nicht mehr zu unterscheiden, ob‘s gespielte oder tatsächliche Pannen waren, die erheiterten. Auf manch andrer großen Bühne sind die wahrlich nicht gespielt und machen nicht Lachen, sondern Schrecken. Bevor also der große Dilettantenstadl zu seinem Wahltheater öffnet, schnell in die Moritzbastei zur Kunst.
Annotation:
Jaques Offenbach „Die Banditen oder Die Mauer muss weg“, eine Inszenierung des Theaters Inselbühne in der Moritzbastei Leipzig.
weitere Vorstellungen: 13., 14., 16., 17., 18. und 19.07., 20 Uhr; 20.07., 11 Uhr, 14 Uhr, 20 Uhr; 23., 25., 26., 27., 28.07., 20 Uhr;
Credits:
veröffentlicht am 12.07.2019