Ana Durlovski rettet die Wiederaufnahme von “Lucia di Lammermoor” an der Oper Leipzig.
Anlass für diesen Vorstellungsbesuch war eigentlich das Hausdebüt des Ensemble-Soprans Bianca Tognocchi, deren sehr gute „La sonnambula“ bei den Tiroler Festspielen zum Jahreswechsel auf ihre Titelpartie in Gaëtano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ neugierig machte. Für die kurzfristig erkrankte Italienerin sollte Olga Jélinkova einspringen. Doch zur Generalprobe stellte man fest, dass die musikalische Fassung des Staatstheaters Saarbrücken mit jener der Oper Leipzig nicht übereinstimmt. Die mazedonische Sopranistin Ana Durlovski, die gerade an der Oper Graz für eine neue „Lucia“-Produktion probt und in Mainz mit dieser Partie ihre Karriere in Deutschland begann, rettete die von einem Großteil des Publikums lautstark bejubelte Wiederaufnahme.
von Roland H Dippel
„Lucia von Lammermoor“ hat es in sich. Seit Erscheinen der quellenkritischen Edition von Jesús López Cobos vor vierzig Jahren minimierten sich die bis dahin überall gespielten Rumpffassungen, die das Werk von ca. 145 auf maximal 110 Minuten eindampften. Trotzdem halten sich lieb gewordene Traditionen auch in ungekürzten Aufführungen: Mehrere Szenen der Titelpartie werden um einen Ganzton nach unten transponiert, um deren Sängerinnen die in den originalen Tonarten kaum erreichbaren (und von Donizetti nicht geforderten) Spitzentöne zu ermöglichen.
Die Leipziger Produktion beharrt auf der Flöte (Judith Hoffmann-Meltzer) anstelle der von Donizetti vorgesehenen Glasharmonika. Neben dem wichtigen Rezitativ zwischen dem Intriganten Normanno (unauffällig: Dan Karlström) und Lucias Erzieher Raimondo Bidebent gibt es nur einen weiteren auffallenden (und unsensiblen) Strich. Also fehlt in der Cabaletta Raimondos die zweite Strophe. Das ist nicht nur schade, weil dadurch einige wirkungsvolle Phrasen von Lucias Part entfallen, sondern vor allem, weil Sejong Chang in der oft unterbesetzten Partie eine an diesem Abend vor allem von der Einspringerin zu erlebende musikdramatische Empathie zeigt.
Wie machen sich jetzt Katharina Thalbachs Inszenierung und ihre blassen bis groben Figurenskizzen, Momme Röhrbeins hochragende Bergmassive mit schönem Mondschein und Angelika Riecks Kilt- und Gouvernanten-Fashion? Zur Premiere im Herbst 2016 sang Anna Virovlansky, weil sie sich einen Bänderriss zugezogen hatte, die meisten Szenen aus dem Rollstuhl, geschoben von der ihr gewalttätiges Regie-Werk mit wuselnder Präsenz befeuernden Regisseurin. Ohne Rollstuhl wirkt Lucia jetzt so anämisch wie im Roman Walter Scotts, der Donizetti (und viele andere) zur Vertonung inspirierte.
Kyungho Kim, der ihren aufbrausenden Geliebten Edgardo mit durchgängig schöner Linie, klarer Kontur, guter Diktion singt und in der Inszenierung schon deshalb heraussticht, weil bei ihm Wut und Zärtlichkeit von bemerkenswert milder Ausgeglichenheit sind, erhielt den stärksten Applaus. Das war ungerecht gegen die Einspringerin Ana Durlovski, deren Rollenporträt auf der Basis einer jahrelangen künstlerischen Entfaltung an der Staatsoper Stuttgart entstand und in diesem Ambiente wirkt wie Seidenstickerei auf ganz grobem Sackleinen. Ana Durlovski entwickelt die umfangreiche Partie von einer starken Tiefe nach oben in eine aparte, minimal gutturale Mittellage und hat ein sattes Höhenspektrum, das sie immer in den Dienst der Handlung stellt. So übertreffen die beiden letzten Teile der Wahnsinnsarie in Ana Durlovskis Gestaltung sogar noch ihre warm gesetzte Kadenz mit der Flöte und gipfeln in perfekt angesetzten Extremhöhen, mit denen sie synkopisch variierend und am Schluss vorsätzlich abbrechend Donizettis Drama freisetzt. Graz kann sich freuen auf diese Lucia, deren Leistung an diesem Abend keine annähernd ebenbürtige Erwiderung aus dem Graben findet und vom gelassen vorgeführten Wohlklang des Gewandhausorchesters begleitet wird.
Neben Patrick Vogel in der zu kurzen Partie als vorgesehener Bräutigam Bucklaw und der hier endlich einmal in den lautstärksten Ensembles noch immer expressiv vernehmbaren Alisa von Dorothee Schlemm-Gál gibt es ein Wiederhören mit Mathias Hausmann und Anthony Bramall, die offenbar sehr gerne als künstlerisches Duo vom Münchner Gärtnerplatz-Theater (Dantons Tod, Don Giovanni) zu Kurzbesuchen an die Oper Leipzig zurückkommen. Mathias Hausmann zeigt sich wenig gewillt, sein in München offenbar zu anrauender Markanz geweitetes Material mit Ana Durlovski in einheitlichen Puls zu bringen. Wenn Anthony Bramall mit dem Gewandhausorchester nach der von ihm mit sensibler Emotion gefüllten Gärtnerplatz-Produktion von Donizettis „Maria Stuarda“ die inzwischen nicht einmal mehr bei frühen Verdi-Opern ohne weiteres legitime Rhythmus-Keule schwingt, kann es nur einen Grund geben: Offenbar mag er „Lucia di Lammermoor“ nicht. In affiner Passform agiert der Chor und ergeht sich mit dekorativ versilberten Armleuchtern im Mondschein. Hinsichtlich musikalische Passion und Stil hat die quellenkritische Ausgabe von „Lucia di Lammermoor“ Leipzig also noch nicht ganz erreicht.
Annotation
Oper Leipzig – Gaetano: Donizetti: Lucia di Lammermoor – So 17.02.2019, 18:00; verlöffentlicht am 19.02.2029
Was noch
Oper Leipzig – Lucia di Lammermoor – Fr 22.03. – www.oper-leipzig.de
Ana Durlovski als Lucia di Lammermoor – Oper Graz am Sa 23.03., Do 28.03., So 31.03., Mi 03.04.,
So 07.04., Mi 10.04., Fr 03.05., Fr 10.05., Sa 18.05., Mi 22.05., Sa 25.05., So 02.06., Fr 14.06. – www.oper-graz.com
Credits
Szene aus „Lucia di Lammermor“ am Opernhaus Leipzig. Foto: © Kirsten Nijhof