Home | Theater | Leipzig: Schön. Aber uninteressant
Leipzig: Schön. Aber uninteressant

Leipzig: Schön. Aber uninteressant

„Rituale“. Choreographische Uraufführung von Mario Schröder in Leipzig.

Rituale bestimmen unser Leben. Ohne sie wäre die Spezies Mensch vermutlich längst ausgestorben. Immer wieder sind Rituale Gegenstand von Choreographien, so auch in Leipzig 2009 bei Heike Hennig. Damals für seine innovative Untersuchung einer menschlichen Grundkosntante zurecht preisgekrönt und ins Gedächtnis eingeschrieben. Für die Premiere der gleichnamigen Mario-Schröder-Choreographie gab es anhaltenden Applaus und Bravi aus den Reihen des vorwiegend jüngeren Publikums, die sich die Truppe verdient haben und in die wir einstimmen. Insgesamt war es ein Abend ohne Gewinn. Konfektionierte Wahrheiten wurden abgeleuchtet. Keine überraschenden Einsichten. ok. Das war wohl aber auch nicht vorgesehen.   

Von Moritz Jähnig

Ein Blick auf die Spielpläne zeigt die ungewöhnliche Häufung von gleichnamigen Tanzschöpfungen zu und über Rituale auf den deutschen Bühnen. Woher dieses vermehrte Beschäftigen mit den tief verwurzelten Strukturen der Gesellschaft und der Persönlichkeit rührt, darf vermutet werden. Dass es aber entscheidend das Medium Tanz ist, welches sich mit Ritualen befasst, liegt an seiner genuinen Nähe zum Ritus. Keine menschliche Ausdrucksweise ist ritualisierter als der Tanz selbst.

Für sein neues Ballett an der Oper Leipzig hat Mario Schröder Musik von drei Komponisten zusammengeführt: Franz Schubert (1797 – 1828), Toru Takemitsu (1930 – 1996) und Ferran Cruixent (geboren 1976). Unter der Stabführung von Felix Bender, gespielt vom Gewandhausorchester entwickeln sie jede für sich eine geradezu suggestive Klangkraft, die im Verbund mit genialem Licht auf eindrucksvoll ausgestatteter Bühne über eine inhaltliche Leere der fünf Akte hinwegträgt. Sie sind benannt als „Rituale des Körpers“, „Rituale der Gesellschaft“, „Vom Verschwinden der Rituale“, „Ritual des Verschwindens“.

Den philosophischen Überbau des ganzen lässt der Choreograph vor jeder seiner fünf Szenen in großen Buchstaben plakatieren. Die geschwollenen Sätze sind Auszüge aus Texten des deutsch-koreanischen Modephilosophen Byung-Chul Han aus Berlin, genauer aus seinem Buch „Vom Verschwinden der Rituale. Eine Topologie der Gegenwart“. Man nimmt es zur Kenntnis. Ob die Gedanken mehr als kulturphilosophisches Geklingel sind? Unwichtig und langweilend.

Die Musik macht es vergessen. Besonders die Kompositionen des japanischen Meisters bereichern Schröders Tanzstück überaus stark. Takemitsu europäisch geschulter Musik ist eine Affinität zum cinemaskopischen eingeschrieben, die zur Arbeit des Leipziger Choreographen genial passt. In „Now slow the wind“ und der „Ran-Suite“ gestaltet Schröder in seiner postmodernen, totalen Eisprinzessinnen-Bewegungssprache viele, immer neue, frische Gruppenbilder unter einer Girlande kalt leuchtender Monitore, die asiatischen Laternen erinnern. Das ist reizvoll und hält das Auge fest (Bühne Paul Zoller, Licht Michael Röger).

An dieser Stelle ein das Programmheft ergänzender Hinweis: der von Akiro Kurosawa geschätzte Filmkomponist Takemitsu war Mitglied der Akademie der Künste der DDR.

Wünschenswert ist, wen im Tanzstück die Inspiration vom Tanz ausginge. So wie im alles zusammenfassenden Solo von Marcelino Libao zur Komposition „Rituals II“ von Ferran Cruixent. Ein wirklicher Höhepunkt. Bestechend auch der Tanz von Marcos Vinicius da Silva in der Ran-Suite.

Muss man einer choreographischen Uraufführung eigentlich überhaupt mit dem Anspruch gegenübertreten, etwas mehr als gekonnte Unterhaltung mit heim zu tragen? Die Zuschauergruppe Alt-68, Spät-DDR und ähnlich sagt ja.

 

ANNOTATION

„Rituale“. Ballett von Mario Schröder | Musik von Franz Schubert, Toru Takemitsu und Ferran Cruixent | Choreografische Uraufführung

Musikalische Leitung Felix Bender, Choreografie Mario Schröder, Bühne, Kostüm Paul Zoller, Licht Michael Röger, Dramaturgie Thilo Reinhardt, Leipziger Ballett, Pauke Xizi Wang, Gewandhausorchester

CREDITS

Text: Moritz Jähnig freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig

Fotos: © Ida Zenna

Besuchte Vorstellung: Premiere 12.03.2022; veröffentlicht: 13.ß3.2022

Weitere Vorstellungen: 09.04.2022, 19.00 Uhr; 16.04., 19.00 Uhr; 05.06., 18.00 Uhr; 06.06., 15.00 Uhr

Scroll To Top