Landesbühnen Sachsen zeigen eine Stückentwicklung nach Arthur Schnitzler
Hoch konzentriert und mit gleich vier ebenbürtigen Paraderollen, gestaltet durch die fulminate Schauspielkunst von vier Darstellerin fesselte das Gastspiel der Landesbühnen Sachsen in der Diskothek auch schon am früheren Abend ein großen, nicht mit Applaus sparendes Publikum in Leipzig.
Von Moritz Jähnig
Wer durch europäische Innenstädte flaniert und vielleicht gern in die Auslagen der trotz aller Krisen reichlich vorkommenden Kunst- und Antiquitätengeschäfte bestaunt, wird zustimmen, die Mehrzahl der dort zur Schau gestellten Stücke sind Porzellanfiguren mit der Darstellung von Frauen. Markenporzellan feiert den weiblichen Körper.
Auch und besonders während der Lebenszeit des österreichischen Arztes und Meistererzählers Arthur Schnitzler (1862 – 1931). Für eine Frauenplastik im Art Déco-Kostüme von der Wiener Firma Augarten werden horrende Summen aufgerufen und gezahlt.
Was die Novelle verhandelt
1924 erschien Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“, erstmals in Berlin übrigens, und darf zu seinem reifen Spätwerk gerechnet werden, in welchem er den Zustand einer mit dem 1. Weltkrieg untergegangenen gesellschaftlichen Epoche beschreibt. Die bürgerlichen Eliten sind eine Enttäuschung. Sie sind ihren Idealen untreu geworden und haben wie hier Rechtsanwalt T. Treuhandfonds veruntreut. Um sich persönlich zu retten und den öffentlichen Schein zu wahren, bieten sie die eigenen Kinder feil. Der Text „Fräulein Else“ reflektiert als Monolog, gesprochen von einer so zum Tauschobjekt gemachten Frau, die abnorm gewordene gesellschaftliche Situation. Es ist keine dezidiert feministische Literatur. Schaut man durch die Spielpläne deutscher Theater, sind in den letzten Jahren häufig Bühnenfassung dieser sprachstarken Novelle zu entdecken.
Was die Bühne erlebbar macht
Jan Meyer, Regie und Henriette Hübschmann, Bühnenraum und Kostüme haben eine flexibel wirkende, kurvige helle Lamellen-Holzwand als Hintergrund entrollt.
Das Spiel beginnt damit, dass die vier Darstellerinnen der Else sich in dieser Auslage zu einer einzigen großen weiblichen Skulptur vereinigen und als e i n e Figur im Kostüm verschiedener Epochen präsentieren.
Mehr als das und ein bisschen Licht und manchmal etwas Musik braucht es nicht. Im Laufe des anderthalbstündigen Spiels wird ein Holzsarg hereingetragen. Wer oder was darin begraben liegt, kann jeder für sich selbst entscheiden. Bei Schnitzler bleibt das auch offen. Bei ihm liegt für Else Veronal bereit.
Else T., die Tochter eines Wiener Rechtsanwaltes in heiratsfähigem Alter, befindet sich im Urlaub in San Martino di Castrozza in Trentin. Unerwartet bekommt sie Post von ihrer Mutter mit der Bitte, für Elses Vater, der Mündelgelder veruntreut habe und kurz vor der Verhaftung ins Kriminal stünde, die hohe Summe von 30.000 Gulden als benötigtes Darlehen von Herrn von Dorsday zu erbitten. Der, ein Vicomt und Kunsthändler, willigt ein, stellt aber eine Bedingung: Er fordert als Gegenwert die schöne 19jährige für eine Weile ungestört nackt betrachten zu dürfen.
Was uns das lernt
Das Betrachtet-werden, dieser Blick, sind Elses Problem, über das sie, hier vierfach besetzt, nicht monologisiert, sondern mit sich selbst unterhält. Die inneren Kämpfe, die das eigennützige Ansinnen der Eltern auslöst, gewinnen Gestalt. Die Sprache ist leicht modernisiert. Die wunderbar lockere Spielweise von Sandra Maria Huimann, Veronika Petrovic, Julia Rani, Maria Sommer macht Spaß. Jede Schauspielerin hat ihr Darstellersolo, aber stets sind sie pure Gemeinsamkeit und glänzen als Einheit.
Der Botschaften und Lerninhalte versendet die Inszenierung viele. Aber nie in bedrückender oder aktivistischer Dosis. Als alter weißer Mann kann man für sich schon mal mitnehmen, beim Gedrängel in der Tram jetzt im Sommer nicht allzu sonnenblöd direkt auf´s Nabelpiercing zu glotzen. Dieser Dorsday-Blick …
Und noch etwas Wichtiges: Arthur Schnitzler lesen lohnt.
Annotation
“Fräulein Else” (UA), Stückentwicklung nach Arthur Schnitzler. Landesbühnen Sachsen. Inszenierung und Textfassung: Jan Meyer, Bühne und Kostüme: Henriette Hübschmann, Dramaturgie: Elisabeth Guzy, Regieassistenz: Jeannine Wanek
Annabel Bayer
Besetzung
Sandra Maria Huimann, Veronika Petrovic, Julia Rani, Maria Sommer
Premiere 20.3.2024; besuchte Vorstellung 12. Theatertreffen, Diskothek, Leipzig 22.5.2024; veröffentlicht 23.5.2024
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Herausgeber
Fotos: © Landesbühnen Sachsen