Ballettabend von Mário Radačovský und Sergei Vanaev
Zum Sächsischen Theatertreffen werden die Companien des Freistaates eingeladen, die bei ihrem Publikum besonders erfolgreichen Inszenierungen vorzustellen. Das Theater Plauen-Zwickau entsandte den Ballettabend „Masken“, der auf der Großen Bühne im Schauspielhaus Leipzig getanzt wurde und Beifall im Festivalpublikum fand. Indirekt erlebte es ein Appetihäppchen auf das am 22.6. beginnende Festival „Leipzig tanzt“
Von Moritz Jähnig
Seit 2022 heißt das Zauberwort für die Zwickauer Tanzwelt Sergei Vanaev. Er brachte Handlungsballette wieder überzeugend auf die Bühne des Gewandhauses und des Vogtlandtheater in Plauen. 2023 setzte seine „Schwanensee“-Choreografie eine Markierung.
Choreografisches Miteinander und Induvidualität
Der 1967 in Moskau geborene und in Bremerhaven ansässige Choreograf wurde ab seinem zehnten Lebensjahr an der Bolschoi-Ballett-Akademie, einer der renommiertesten Ballettschulen der Welt, ausgebildet und machte nach acht dort 1985 seinen Abschluss. Sein Weg als Tänzer und Choreograf führte ihn über verschiedene Stationen in Europa zum Theater Plauen-Zwickau, wo er jetzt mit einem 16-köpfigen Ensemble Großes im Aufbau hat.
Für den Ballettabend „Masken“ sicherte sich Sergei Vanaev die Mitarbeit eines international gefragten Choreografenkollegen und begeisterte den 1971 in der Slowakei geborenen Leiter des Ballettensembles am Nationaltheater Brünn, Mário Radačovský, von „mährischen Manchester“ am Fluss Schwarza in die in der europäischen Tanzszene noch nicht so bekannten, ebenfalls von der Industriekultur geprägten Theaterstädte an der Weißen Elster beziehungsweise der Zwickauer Mulde.
Vielschichtiges Thema Maske
Beide haben sich ganz individuell für den zweiteiligen Ballettabend thematisch mit Masken befasst. Jenseits der Pandemie weckt dieser Begriff diverse Assoziationen: rituelle Masken, Theatermasken, Masken, die wir im Alltag tragen, um unsere wahren Gefühle oder unsere Identität zu verstecken, Masken, mit denen sich der Mensch schützt, und Masken, mit denen er sich darstellt.
Mário Radačovský spielt in seinem Part die Wirkung und Notwendigkeit der Maske im sozialen Bereich durch. Wie lange kann der Mensch unmaskiert dem Druck der Gruppe der Maskierten widerstehen? Was wird aus Menschen, die sich ihrer Masken als lästig entledigen? Einzelne und Gruppen zu zweit oder zu dritt treten hervor und deklinieren die Möglichkeiten und Risiken tänzerisch durch. Das Ensemble tritt geschlossen gegen Vereinzelung auf und macht den von der Masse ausgehenden Druck spürbar. Einzelne hasten aufgescheucht durch den schwarzen Bühnenraum, der dann in der Mitte rot aufreißt und die Welt spaltet. Wer keine der janusköpfigen Masken übergezogen hat, kann sein langes Haar zeigen und bei den Sprüngen wehen lassen. Schönes Symbol für die Chancen der Maskenfreiheit, schöne Bilder insgesamt, die jedoch vermitteln, wie utopisch es ist, zu glauben, in einer menschlichen Gesellschaft unmaskiert bleiben zu dürfen.
Sergei Vanaev beschäftigt sich mit der Kraft der Manipulation. Eine einzelne charismatische Figur übt hier eine gewinnende Faszination auf die Gruppe aus. Doppelt maskiert schleicht sich eine böse Maske quasi unter falschem Label in eine friedliche Gruppe unmaskierter Wesen ein. Die Maske als Mittel der Täuschung.
Trotz anfänglichen Zögerns wird die Maskierung des Verführers, ein Totenschädel, übernommen. Schließlich folgen alle im Gleichschritt.
Problematisch
Gleichschaltung erfolgreich vollzogen. Jetzt wird eine Techno-Party gefeiert. Als sich einige zu langweilen beginnen und der Maskierung überdrüssig werden, stirbt die auflehnende Gesellschaft im Kugelhagel der Kalaschnikow. Doch kein Problem: Sprüche des Propheten Ezechiel werden pathetisch eingedröhnt, Kapitel 37, die Verheißung Gottes von der Auferstehung der Gebeine. Folgend „Una Furtiva Lacrima“, Pavarotti singt seinen Donizetti-Hit, den jedes Kind als Trostspender von TikTok kennt. So bezaubernd das Solo von Minsu Kim auch getanzt war, inhaltlich versank der zweite Teil im Gefühlskitsch.
Apart und durch die an der Stelle für seine weitere Zukunft erahnbar werdende Steigerungsfähigkeit des Ensembles ist Vanaevs Idee, den „Bolero“ von Ravel zur Melodie der Überwältigung in Düsternis zu deuten. Das Ergebnis der getanzten und jeder Ekstase ist Gleichschaltung.
Außergewöhnliches
Außergewöhnliches leisteten die beiden Paare Kristina Kelly Zaidner/Davide Gentilini und Miyu Fukagawa/Lucien Zumofen. Kristina Kelly Zaidner gilt es besonders zu erwähnen. Bei ihren ersten Rückwärtsschritten auf der Gastspielbühne stürzte sie von der Rampe auf den Rücken ins Parkett, sprang sofort wieder auf und tanzte den 90-minütigen Abend weiter als die den Charakter der Choreografien prägende Solistin.
Danke.
Annotation
„Masken”. Choreografie, Regie und Bühne: Mário Radačovský und Sergei Vanaev; Kostüme: Stephan Stanisic; Dramaturgie: Christina Schmidt;
Trainingsleiterin, Assistentin des Ballettdirektors: Wen-Hua Chang; Ballettrepetitor: Masayuki Carvalho
Besetzung
Mit Jieun Choi, Rita Di Bin , Lucie Froehlich, Miyu Fukagawa, Sofia Iseppato, Juhee Kang, Yoon Seo Kim, Soyoung Ko, Veronica Sala, Yuria Takahashi, Kristina Kelly Zaidner; Davide Gentilini, Luca Di Giorgio, Minsu Kim, Stefano Neri, Marco Palamone, Lucien Zumofen
Premiere 13.5.2023, besuchte Vorstellung 23.5.2024, veröffentlicht 24.5.2024
Credits
Text; Moritz Jähnig, freier Theater Kritiker, Leipzig, Herausgeber
Foto: © André Leischner