Die Masken fallen bravourös.
Mit großer Spannung fieberten das Meininger Opernpublikum und ich dem Premierenbesuch am 20.04.2012 entgegen. Eine Verdi-Oper über Liebe, Macht, Rache, Intrigen, Verrat und Mord nach einer authentischen Vorlage und mit so vielen Bezügen ins jetzt und hier. Was wird die Meininger Lesart der Oper uns über die Masken eines Landes, seiner Gesellschaft, Politik und Wirtschaft erzählen?
Von Ronny Steinkopf
In der Meininger Theaterzeitung „Spektakel“ vom April 2012 lese ich zur bevorstehenden Maskenball-Premiere, dass die Inszenierung wie der Filmklassiker „Vom Winde verweht“ zur Zeit der Sezessionskriege spielt. Intendant Ansgar Haag hat in seiner neuesten Regiearbeit Ort und die Zeit der Handlung – Boston/USA, 1862 – original beibehalten. Die Handlung der drei Akte in sechs Bildern wird von im auf der neuen Bühne opulent in Szene.
Dank der Drehbühne können die Zuschauer den Ereignissen im Gouverneurspalast und im Bostoner Hafen wunderbar folgen. Der Regisseur hatte das werk während der sanierungsbedingten Schließzeit des Großen Hauses in Meiningen bereits als Koproduktion am Lübecker Theater in Szene gesetzt, und zwar in den Originalabmessungen, die die neue Meininger Drehbühne dann haben würde. Ein Beispiel für optimal gelungene Zusammenarbeit.
Die Bühne ist opernhaft bildgewaltig. Sie zeigt im Verlauf der Handlung wechselnde Masken, die die Gesellschaft im damaligen amerikanischen Boston mit ihren Problemen und Widersprüchen antizipieren. Viele Parallelen in der Gegenwart drängen sich auf: Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Unzufriedenheit, Bürgerkrieg, Rassismus, Präsidentschaftswahlkampf sind die zentralen Fragen, die auch Verdi in seiner Oper behandelte. Sklaverei und die Verfolgung der Schwarzen waren unter Strafe gestellt. Dennoch trieben Geheimbünde (Ku-Klux-Klan) ihr Unwesen. Rassistische Lynchmorde stehen auf der Tagesordnung. Die Indianer bekamen keine Chance, die ihnen zugesprochenen Menschenrechte in der Gesellschaft ausleben zu können. In Verdis Maskenball soll die Indianerin Ulrica wegen verbotener Wahrsagerei (Voodoo) in die Verbannung geschickt werden. Der verzweifelten Amelia empfiehlt sie, nachts ein magisches Kraut zu pflücken, um ihre ehebrecherische Liebe zu bekämpfen und Riccardo sagt sie einen gewaltsamen Tod durch Freundeshand voraus. Er kann darüber nur lachen. Überraschend kommt Renato und reicht Riccardo als erster die Hand. Das Volk jubelt. Die Masken fallen ab.
Rita Kapfhammer singt und spielt ihre Rolle der Ulrica grandios und führt uns packend authentisch im zweiten Bild hinter die alten Lagerhallen im Hafen von Boston und ins Milieu der Seemänner, Hafenarbeiter und Tagelöhner mit ihren real-wirtschaftlichen Problemen, die Riccardo als Gouverneur ignoriert. Eine Verbesserung der Lage scheint nach dem zehrenden Bürgerkrieg scheint nicht so schnell in Sicht. Die Masken fallen ab.
Riccardo ist beim Volk und den Mitarbeitern in seinem Regierungsstab sehr beliebt. Oscar, seine persönliche Sekretärin, ist aus unerwiderter Liebe zu Riccardo sogar bereit, die geheimen Amouren zu Amelia zu organisieren. In dieser zwiespältigen Rolle besticht Sonja Freitag durchgängig während des gesamten Abends. Sie singt und spielt ihre kompliziert angelegte Partie bravourös. Eine bevorstehende Wiederwahl Riccardos im Amt des Gouverneurs ist dennoch nicht sicher und seine politischen Gegner planen ein Attentat gegen ihn. Die Situation spitzt sich im Verlauf des Abends dramatisch zu. Die Masken fallen ab.
Inmitten dieser unterschiedlichsten Problemlagen erleben wir eine leidenschaftliche Dreiecksgeschichte mit tödlichem Ausgang. Riccardo, Gouverneur von Boston (Massachusetts) und Renato, sein Amtsleiter, lieben dieselbe Frau, Amelia. Für diese drei Hauptpartien verfügt das Meininger Musiktheaterensemble wunderbare Sänger, die die Dramatik und die Leidenschaft dieser großen Liebesgeschichte sensationell umsetzen. Bettine Kampp gibt eine die Herzen der Zuhörer erreichende Geliebte, voller Hingabe und im Zwiespalt ihrer Gefühle. Anfänglich klingt ihre Stimme zwar aufgeregt angestrengt, aber mit dem Duett (Amelia/Riccardo) im zweiten Akt (drittes Bild) verfliegen alle Zweifel. Im Duett mit Xu Chang steigern sie sich einander mitreißend und führen zu einem grandiosen Finale. Auch Dae-Hee Shin, als Renato der dritte im Sängerbunde, singt sich mit seiner Arie im dritten Akt (viertes Bild) in die Herzen des Premierenpublikums. Für seinen betörend schmerzerfüllten Rachegesang bekam er anhaltenden Szenenapplaus und viele Bravo-Rufe.
Aus persönlicher Rachelust schließt sich Renato den Verschwörern an und zwingt Amelia das Los mit dem Namen des Mörders zu ziehen. Da die Lose alle den Namen Renatos tragen, wird er zum Mörder Riccardos bestimmt. Eine Einladung zum bevorstehenden Maskenball kommt den Verschwörern wie gelegen. Riccardo will seiner Liebe zur verheirateten Amelia endgültig entsagen, da trifft ihn der tödliche Dolchstoß. Dem Mord aus Rachelust folgt der aus politischem Kalkül. Renato stirbt durch die Hand seiner Mitverschwörer. Die politische Intrige geht weiter. Amelia bleibt allein zurück. Der Maskenball geht weiter, aber die Masken sind gefallen.
Der Jubel des Publikums nach dieser Premiere war besonders groß und galt allen beteiligten Sängerinnen und Sängern, dem phänomenal spielenden Chor und Extrachor, der Meininger Hofkapelle unter der Leitung von Alexander Steinitz und dem Regieteam um Ansgar Haag.
Termine unter: www.das-meininger-theater.de
Premiere 20.04.2012