Grandios! Die MuKo feiert Albert, den Schuster Hans und sich selbst*
Auch mit dieser Neuinszenierung beweist die Musikalische Komödie Leipzig wieder Mut und zeigt ihr Gespür für Stücke mit gesellschaftsrelevantem Anspruch.
Von Henner Kotte
Da rollt was auf uns zu: Die Debatten um politische Führungsqualitäten haben längst begonnen. So nimmt es nicht Wunder, dass sich die Kunstwelt ihr Verslein darauf macht. Die Bühne ist blau, die Fahnen sind bunt. Es erscheinen die Schwätzer, das Volk und die Reden. Am Ende spricht Kaiser Maximilian ein Machtwort und stellt die gebührliche Ordnung wieder her.
Mein Wirken und mein Streben,
Soll Alles neu beleben.
Der Handel soll floriren,
Die Wissenschaft brilliren,
und Künste wie Gewerke,
Gewinnen neue Stärke,
Da ich nun Bürgermeister bin.
Hans Sachs, 1. Akt
„Hans Sachs“ komponierte Albert Lortzing in Leipzig, damalig an hiesiger Bühne Publikumsliebling, Compositeur und bissiger Gesellschaftskritiker. „Der ‚Hans Sachs‘ war zur Verherrlichung der vierten Säcularfeier der Erfindung des Buchdrucks bestimmt, welche Feier am 23. Juni 1840 in Leipzig besonders festlich begangen wurde, denn jede andre Vermittlung steht räumlich wie zeitlich so unendlich weit in Kraft und in Wirkung hinter der Presse zurück, daß die Buchdruckerkunst mit dem vollstem Recht als der eigentliche Funken des Prometheus für das geistige Leben bezeichnet werden kann. An jenem Tage also erschien denn auch Lortzings neue Oper zum ersten Male im dortigen Stadttheater und fand von vornherein ein warm angeregtes, dankbares Publikum, welches seinen Beifall in fast enthusiastischem Jubel vielfach zu erkennen gab.“
Das Sujet des Werks passte: Hans Sachs war einst ein Meister des Schuhwerks und der Dichtkunst gewesen. Der Dramatiker Johann Ludwig Deinhardtstein hatte bereits eine manierliche Liebesgeschichte um dessen Leben verfasst. Die nahmen Philipp Reger, Philipp Jakob Düringer und Lortzing höchstselbst zur Grundlage eines Librettos. Das ist schnell erzählt: Hans Sachs liebt Kunigunde, doch die hat deren Vater einem andern versprochen. Als er nun zum Bürgermeister Nürnbergs gewählt ist, ruft er einen Sängerwettstreit ins Leben. Der Sieger steht vordem bereits fest: Eoban Hesse, Bräutigam in spe und Intrigant. Er gibt Hansens Verse gar als die eigenen aus. Das Volk hat den Wahlbetrug sofort erkannt, doch erst das Machtwort des Staatsoberhaupts stellt die rechten (Liebes-)Verhältnisse wieder her: „Wir jauchzen laut aus voller Brust, / Heil Max Dir, Deutschlands Sonne! / Du bist des Volkes Glück und Lust, / Bist seine höchste Wonne!“
„Hans Sachs“ steht im Schatten von Lortzings eigenen Evergreens „Zar und Zimmermann“ und dem „Wildschütz“, vor allem aber nahm Richard Wagner dieselbe Geschichte zum Anlass seiner „Meistersinger von Nürnberg“. So wird dieses Musikstück selten auf Deutschlands großen Bühnen gegeben. Und doch hat Albert Lortzing hier „in einigen Nummern mit das Beste geleistet, was man von seiner Muse erwarten konnte. Nicht allein entwickelt er an vielen Orten seine bekannten Vorzüge der melodischen Frische und jovialer Eindringlichkeit, sondern wirklichen Humor in bedeutender Fülle und eine Innigkeit und Herzlichkeit der lyrischen Empfindung, die zu dem Herzen sprechen muß.“
Erneut beweist Leipzigs Musikalische Komödie, dass sie ein Gespür für Geschichte(n), Publikumsgunst und gesellschaftlichen Anspruch besitzt. Regisseurin Rahel Thiel hat den alten Text gut entrümpelt und verzichtet auf peinlich direkte Bezüge zur Gegenwart. Renée Listerdals Kostüme verweisen auf die bigotten Heimatschnulzen der Wirtschaftswunderzeit mit Sonja Ziemann und Grete Weiser.
Das Bühnenbild Elisabeths Vogetseders ist schmucklos und hellblau, die Podien darinnen werden mal Rednertribüne, mal Schanktisch, mal Ratssaal. Und ein Cupido, der an Raffaels sixtinische Engel erinnert (herzallerliebst: Julian Brandão), ist Vorhangverantwortlicher und bemüht sich, dass sich Herz zum Herzen findet. Großes Lob gebührt dem Orchester unter Tobias Engeli, welches Lortzings Nuancen seitenfein ausspielt, und Mathias Drechsler, der den Chor vielstimmig exakt singen lässt.
Mit keinem mäkeligen Wort kann man die Solisten bedenken, sie scheinen mit Musik, Text und Handlung förmlich verwachsen, vor allem a capella brillieren sie. Justus Seeger als Hans ist lederfest und lyrisch. Mit Mirjam Neururer als verzweifelt liebende Kunigunde leidet man mit. Sandra Maxheimer als deren Freundin versucht, Hoffnung nicht nur aus den Karten zu schöpfen.
Adam Sánchez singt lebendig über alle emotionalen Klippen hinweg. Andreas Rainer mimt den Intriganten so widerlich nett, dass ihm die Aufmerksamkeit (nicht nur) der Honoratioren im schwarzen Anzug gebührt. Milko Milev als Bürgermeister trägt mit Würde seine falsche Entscheidung. Und Christian Henneberg steigt wohltönend vom Throne und lenkt die Geschicke im Staate gerecht. Ja, nach Verwirrung, Niederlage und Streit wird alles so gut, wie wir kaum zu hoffen wagten.
Sicher: „Hans Sachs“ ist ein Stück der Vergangenheit, doch kann eine künstlerisch sensible Hand in ihm die Gegenwart deutlich machen. Das ist die Aufgabe jeglicher Kunst. Die MuKo zeigt erneut den Mut, den Bühnenhäuser brauchen, wollen sie nicht gänzlich den banalen Worten der Mediengesellschaft anheimfallen. Tiktok, tiktok, tiktok schlägt weder die Uhr noch ist solcher Klang Kunst. Der Kritiker fühlt sich bestätigt …
Annotation
„Hans Sachs“, Musikalische Komödie von Albert Lortzing.
Musikalische Leitung Tobias Engeli, Inszenierung Rahel Thiel, Bühne Elisabeth Vogetseder, Kostüme Renée Listerdal, Dramaturgie Inken Meents, Choreinstudierung Mathias Drechsler, Chor und Zusatzchor der Musikalischen Komödie, Komparserie der Oper Leipzig, Orchester der Musikalischen Komödie
Besetzung
Kunigunde: Mirjam Neururer / Nora Lentner, Cordula: Sandra Maxheimer, Hans Sachs: Jstus Seeger / Ivo Kovrigar, Görg: Adam Sánchez / Jeffery Krueger, Eoban Hesse: Andreas Rainer, Meister Steffen: Milko Milev, Kaiser Maximilian I.: Christian Henneberg, Cupido: Julian Brandão / August Karlström / Fritz Rösch
Premiere und besuchte Vorstellung 13.4.2024; veröffentlicht 14.4.2024
*Aktualisierung:
Durch ein Versehen des Herausgebers wurde nicht die vom Autor vorgeschlagene Originalüberschrift veröffentlicht. Das korrigieren wir gern und danken für das nötige Verständnis.
Wahlkampf in Blau
Grandios! Die MuKo feiert Albert, den Schuster Hans und sich selbst
aktualisiert 15.4.2024, 16:15 Uhr
Credits
Text: Henner Kotte, freier Theaterkritiker und Autor, Leipzig
Foto (5): © Kirsten Nijhof