Hochschule für Musik und Theater Leipzig zeigt „Die lustigen Weiber von Windsor“
Wer sich von seiner durch die verkorkste Leipziger Lortzing-Pflege ausgelösten, schleichend auftretenden Aversion gegen unsere liebe biedermeierlich deutsche Spieloper erholen muss, sollt hurtigen Schenkels in die Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelson Bartholdy“ eilen. Noch wenige Male besteht dort Gelegenheit, die traditionelle Inszenierung zum Studienjahresausklang zu erleben. Gegeben wird von den Studierenden Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ und das rundrum gut.
Von Moritz Jähnig
Karoline Gruber hat Otto Nicolais lustige Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ auf die Bühne im Großen Saal der Hochschule gebracht. Ob sie bei der Entwicklung des Konzepts die Worte des ungefähr zeitgleich mit dem Komponisten lebenden Turnvater Jahn „Frisch, frei, fröhlich, fromm / Das ist der Turner Reichtum!“ im Sinn hatte, überliefert das von Dramaturgin Hella Bartnig zusammengestellte Programmheft nicht. Man kann die Weisheit des einst geschätzten Pädagogen an seinem Wohnhaus in Freyburg/Unstrut lesen. Er geht laut Wikipedia auf einen studentischen Reim zurück und führt zu einem anderen Kapitel deutscher Geistesgeschichte. Auf jeden Fall setzt die Regisseurin die Szene für ihre Studenten in einen Sportverein, das Fitness-Studio „Sport Weisse“.
Unschuldige Vorstadtweiber und ein rollender Falstaff
Im 1. Akt sieht man links ein Empfangsdesk, der Tisch, Bartresen für Softdrinks und Wirtshaus sein kann, rechts die Umkleide, ein paar Oberlichtfenster und eine Schwingtür. Im Hintergrund nur eine minimale Rückwandfläche für die obligaten Videospielereien, die natürlich nicht fehlen dürfen, aber dezent bleiben. Hier sitzen die Damen Fluth und Reich unschuldig wie die „Vorstadtweiber“ in der österreichischen TV-Erfolgsserie an ihren Tretmühlen und spielen ihr Spiel mit der Männerwelt. „Mann“ kennt das. Der nimmersatte Sir John Falstaff wird in einen Rollcontainer zwischen Handtücher und verschwitzten Sporttrikots gesteckt und vom Service quer durch die Menge der besorgten Bürger hinausgerollt.
Waschautomaten und versteckte Freier
Nicht einmal in Windsor kippen lustige Weiber Wäsche mehr aus dem Korb direkt in die Themse. Sie haben Waschautomaten, wie sie im 2. Akt quasi hinter dem Club stehen, wo das Sportzeug gewaschen und – das ist sicher ein preisrelevanter Faktor für die Sportclubmitglieder – auf der Leine getrocknet wird. Die aufgehängten Wäschestücke sind ideale Verstecke für die sich um Töchterlein Anna scharenden Freier Herr Junker Spärlich und Herr Dr. Cajus. Die traktiert derweil wie jede Altersgenossin ihr Handy und hat nur Gedanken für ihren Angeschwärmten Fenton.
„Die lustigen Weiber von Windsor“ an der Hochschule für Musik und Theater noch einmal zu sehen und zu hören am 28., 29. und 30. Mai, Beginn 19.00 Uhr
Romantische Schattenspiele im Wald
Der 3. Akt führt in die Natur, einen Wald aus Nadelholzweigen, mal romantisch illuminiert mit Laternen oder mal geisterhaft, vielleicht durch das krank-grüne Leuchten von Handydisplays. Gut zur romantischen Stimmung passt an dieser Stelle der Rückgriff auf die alte Theatertechnik des Schattenspiels. Die einfallsreiche Ausstattung (Bühne von Matthias Morgenstern und Roy Span, Kostüme bunt in Zeit, lustig in Machart von Kira Fasbender) verbunden mit der wirbligen und trotzdem doch übersichtlich bleibenden Personenführung auf engstem Raum sind ein großes Plus des Projektes.
Musikalisch gelungen
Das zweite ist die vortrefflich gelungene musikalisch-sängerische Darbietung von Otto Nicolais Musik. Sie ist geradezu preußisch – bei einem in Königsberg geborenen Komponisten darf man zu dieser Vokabel greifen – akkurat. Aber sie lacht gern wie im Scherz, wo es hingehört, mit. Wenn es heiter wird, geht Matthias Foremny allen voran. Sein Pult wird zu einer zweiten Bühnenebene, wenn er tänzerisch mitschwingt und sein dicht gedrängt sitzendes Orchester und die jungen Sänger führt. Vor den erlebten Sängerleistungen verbeugen wir uns durch die Bank tief. Sie sind dem Charakter eines studentischen Projektes gemäß unterschiedlich. Das tut der freudigen Hervorhebung jedoch keinen Abbruch. Ein gut harmonisierendes junges Paar: Lorraine Pudelko, in der Höhe strahlend singend als Anna und Oleksander Volzniuk mit dem osteuropäisch geformten tenoralen Klang als Fenton. Die braven Eheleute Reich: Nina Schumertl und Bastian Röstel (a.G.). Die skurrile Verehrerschaft: Miltiadis Tzimourtos, Junker Spärlich und Joshua Geddes, Dr. Cajus.
Freude werden bei Theatern, die sie hoffentlich bald in ihren Ensembles aufnehmen, drei junge Künstler auslösen: Tom Nicholson mit dominantem Baritonmaterial als Herr Fluth, die sehr bühnenpräsente und koloraturstarke Kristin Guðmundsdóttir als Frau Fluth sowie Vincent Hoppe, ein jugendlicher Spielbass, dem die schwarze Tiefe noch zuwachsen wird, als Sir Falstaff.
Nachbemerkung
Hoppe lag mit seiner Auffassung der Figur deckungsgleich mit der interpretatorischen Linie dieser klugen Inszenierung. Das berühmt-berüchtigte Trinklied des dicken Falstaff, der nur das Saufen und die Weiber im Kopf hat – im Klammern: wie alle Männer – dieses gern gegebene Bravourstück sang er nicht aus voller Kehler als Prahlerei vor seinen Kumpels. Die Regie hielt dafür die Zeit an. Die Mitzecher verharrten im Standbild und John erinnerte sich stimmlich zurückgenommen an früher, seine Kindheit, „Als Büblein klein an der Mutter Brust“.
In einer vom Genderdiskurs beherrschten Bühnenwelt wird der Würde und Reflexionsfähigkeit des Mannes selten Raum gegeben. Wenn den Studierenden und künftigen Theaterschaffenden der Blick für solche erweiterte Differenziertheit mit auf den Berufsweg gegeben wird, nur gut!
Annotation
„Die lustigen Weiber von Windsor“. Komisch-phantastische Oper in drei Akten von Otto Nicolai, Text Salomon Hermann Mosenthal; Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelson Bartholdy“ Leipzig.
Musikalische Leitung: Prof. Matthias Foremny, Inszenierung: Prof. Karoline Gruber, Projekt der Fachrichtung Klassischer Gesang/Musiktheater
Hochschulsinfonieorchester, Chor und Solisten der Fachrichtung Klassischer Gesang/Musiktheater
Premiere 25.5.2024, besuchte Vorstellung 27.5.2024, veröffentlicht 28.5.2024
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker Leipzig, Herausgeber
Fotos: © Jörg Singer
Titelbild des Beitrags oben, von links: Frau Fluth (Kristin Guðmundsdóttir) und Frau Reich (Nina Schumertl)