Wiederaufnahme des Ballettabends „Rachmaninow“ von Uwe Scholz und Mario Schröder
Der Jahreswechsel 2022/23 bescherte dem Publikum des Leipziger Balletts die Möglichkeit, dem 2014 edierten Ballettabend „Rachmaninow“ wieder erleben zu können. Damals schon zeigte sich unser Kritiker begeistert. Neun Jahre später zur Wiederaufnahme nimmt auch er den Jubel wieder auf.
Von Moritz Jähnig
Viel Gutes gelangt über Zürich nach Leipzig. Diese kalauernd vorgetragene Lebenserfahrung triff ohne Abstriche auf das Wirken des 2004 viel zu früh und nicht ohne Tragik verstorbenen Ballettdirektors Uwe Scholz zu, dessen künstlerischer Wege von Stuttgart über Zürich, wo er zuvor in der Chefposition am Opernhaus wirkte, nach Leipzig führten. Am Augustusplatz konnte er unter der künstlerisch weiten Perspektive der Ägide Udo Zimmermann das Leipziger Ballett neu aufbauen und zu einem Niveau führen, an das sich die große Tanzgemeinde Leipzigs immer erinnert.
Als Uwe Scholz 1997 seine bereits 1987 mit 28 Jahren in Zürich uraufgeführte „Rachmaninow“-Choreografie zum. 3. Klavierkonzert in der Leipziger Oper zur Premiere brachte, waren wir hier etwas schmallippig darob, dass der Meister sich nichts Neues für den neuen Standort einfallen ließe. Heute, wieder 26 Jahre Tanzentwicklung weiter, kann man über solche eigenen Fehleinschätzungen nicht mal mehr lachen. Angesichts eines bedeutenden Werkes, das ästhetisch gültig steht!
Der Weg von Schwermut ins Licht
Scholz liebte die Opulenz. Auch die personelle. In der 2023 getanzten Version, Einstudierung Rosa Munoz Massanas, stehen weniger Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne. Diese Konzentration und die wahrgenommen weniger artistischen Acts verstärken den emotionalen Eindruck.
2014 war das 3. Klavierkonzert von Rachmaninow im Gedenken an den 10. Todestag von Uwe Scholz ins Repertoire des Leipziger Balletts wieder aufgenommen worden. Der jetzige Ballettdirektor, Mario Schröder, erweiterte den Abend mit seiner Choreografie zum 2. Klavierkonzert Rachmaninows. Und das führt noch einmal zu einer Emotionsverstärkung. Manche Momente berühren auf geradezu unheimliche Weise.
Trotz der oppressiven sinnlichen Eindrücke bleibt den Zuschauern die Möglichkeit zu eigenen Gedanken. Die Geschichten sind offen. Eine Gemeinsamkeit der beiden Choreografen ist dabei, das ihnen das Kunststück gelingt, die spätromantisch, schwelgerische Musik des Russen Sergei Rachmaninow (1873-1943) nicht durch die optische Flut des Tanzes zu erdrücken oder in der Wirkung zu relativieren, sondern auch dem akustischen Erleben seinen gebührenden Raum zu lassen.
Für die Gestaltung der Bühne und der Trikots stand Wassily Kandinsky Pate. „Zeichenreihen“, „Etagen“, „Zarter Aufstieg“. Von den drei abstrakten Gemälden hat sich Scholz inspirieren lassen und sie auf die Rückseite der riesigen Bühnenwand projiziert. Auch die Applikationen der Trikots zitieren raffiniert Kandinskys-Art. Das Licht rahmt die drei Szenen: gold-bronze Töne im ersten Satz, abweisendes Petrol im zweiten und reines, lichtes Weiß im dritten, alles vereinenden Satz. Wunderbar wenn am Anfang ein einzelner Tänzer (Otto Wotroba) zu sehen ist. Er bricht auf und führt durch die sich delikat steigernden Bilder. Der Einsame inspiriert die Truppe zu kämpferischen Auftritten, wechselnd mit virtuosen Soli, Pas de deux, de trois, kleinen Gruppen. Perfekter neoklassizistischer Spitzentanz im perfekten Einklang mit der Musik.
Spannendes Ineinanderwirken
Im zweiten Teil des Ballettabends bleibt dieser außergewöhnliche Einklang von Bewegung, Raum und Musik erhalten. Es wird mehr Sohle getanzt und die Trikots haben keine glamouröse Finesse sondern erinnern an Trainingszeug. Ein Bühnenbild hat sich Mario Schröder gespart (Bühne, Kostüme, Video: Paul Zoller, Licht: Michael Röger). Das alles mach den zweiten Teil nicht minderwertig oder zeitnaher, sondern erzählt von den selben Gefühlen. Nur anders.
Die Tänzer werden direkt von um sie bedrängend umkreisen Scheinwerfern und Lichtelementen beschienen, besser bestrahlt. Sie tanzen nicht im, sondern mit dem Raum und dem ihn fragmentierenden Lichtkegeln. Nach einer von diesem irisierenden Miteinander in Erschöpfung ausklingendem zweiten erreicht alles einen dramatischen Höhepunkt im dritten Satz des 3. Klavierkonzertes.
Das Allegro scherzando aufnehmend, lotet Mario Schröder die gesamte Bühnenweite aus und lässt die Diagonalen aufplatzen. Dann schäumt im Orchestergraben das bekannte, schwermütig-schwülstige Rachmaninow-Thema auf. Die Musik überflutet alles. Der eben riesig groß gemachte Bühnenraum bleibt leer und gehört nur diesem Klanggefühl.
Tiefer kann eine respektvolle Verneigung nicht sein. Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Matthias Foremny bleibt den beiden Werken nichts an magischer Klangsinnlichkeit und Farbigkeit schuldig.
Luiza Borac (Klavierkonzert Nr. 3 in d-Moll, op 30) und Paulo Almeida (Klavierkonzert Nr.2, c-Moll, op.18) sind mit hoher Feinfühligkeit Pianisten dieses Aufführung. Sie stellen sich in den Dienst dieses Theaterabends.
Annotation
“Rachmaninow”. 2teiliger Ballettabend von Mario Schröder und Uwe Scholz, Musik von Sergej Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 3, d-Moll op. 30, Choreografie Uwe Scholz / Klavierkonzert Nr. 2, c-Moll op. 18, Choreografie Mario Schröder. Oper Leipzig. Leipziger Ballett. Gewandhausorchester. Dirigent Matthias Foremny, Bühne, Kostüme, Video Paul Zoller, Bühne und Kostüme Uwe Scholz, Dramaturgie Marita Müller, Licht Michael Röger.
Besetzung 3. Klavierkonzert Otto Wotroba, Soojeong Choi, Yun Kyeong Lee, David Iglesias Gonzalez, Marcelo Ferreira, Diana Sandu, Marcos Vinicius Da Silva, Andrea Carino, Madoka Ishikawa. Pianistin (3. Klavierkonzert) Luiza Borac. Corps de ballet.
Besetzung 2. Klavierkonzert Marcos Vinicius Da Silva, Marcelo Ferreira, Vincenzo Timpa, Urania Lobo Garcia, Monica Barbotte. Pianist (2. Klavierkonzert) Paulo Almeida. Corps de ballet.
Besuchte Vorstellung Wiederaufnahme 29.12.2022; veröffentlicht 02.01.2023; überarbeitet 04.01.2023
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Journalist und Herausgeber, Leipzig
Foto (3): © Ida Zenna
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