Home | Theater/Musik | Leipzig: Lebensfroh vom Tod berichten
Leipzig: Lebensfroh vom Tod berichten

Leipzig: Lebensfroh vom Tod berichten

Slowenisches Nationalballett Maribor gastiert mit „Peer Gynt“ von Edward Clug

Leipzig tanzt!

Eine kluge Entscheidung, für den Auftakt des ins Leben gerufenen internationalen Ballett-Festivals „Leipzig tanzt!“ den „Peer Gynt“ in der Choreographie von Edward Clug auf die Bühne der Leipziger Oper einzuladen. Der Choreograph und sein 2015 uraufgeführtes und mehrfach nachgestelltes Werk sind beide weit gereist – natürlich unter einem erfolgreicheren Stern als die Hauptfigur. Mit dem märchenhaften Drama zur Musik Edward Griegs vollzieht das Neue den Schulterschluss mit der Musikstadt Leipzig. – Clug hatte erst im Mai Gera seine Choreographie “Le Sacre du Printemps” für einen zweiteiligen Ballettabend am Theater Altenburg/ adaptiert.

Von Moritz Jähnig  

Scene „Peer Gynt“ mit Milos Isailovic k.g. und Sytze Jan Luske (v.L.)

Die leicht verästelte Story findet sich gut nachlesbar. Edward Clug erzählt sie rein über den tänzerischen Ausdruck. Ohne die für das 19. Jahrhundert typische Romantisierung berichtet er, manchmal wie im Plauderton, über ein märchenhaftes Leben mit dem hohen Realitätsgehalt. Die Bilder sind poetisch und in einem freundlichen Sinne volkstümlich.

Heiter, mit Distanz

Oft kommt Heiterkeit auf. Zu Beginn des 2. Aktes, wenn der wohlhabende Peer im feinen Zwirn nach Afrika starten und sich in ein Kinder-Flugzeug setzt. Doch dem reichen Mann fehlt die Münze. Um das Blechteil in Gang zu setzen, muss er sich erst etwas borgen. Jetzt beginnt das Gewandhausorchester die berühmte Nr. 4 aus der 2. Suite zu spielen. Statt ergriffen zu verharren, kommt Lachen auf, denn Peer wippt auf dem blechernen Spielzeug albern hin und her.

Übertriebene Gefühligkeit kommt so nicht auf. Distanz zum Thema wird gehalten.

Lebensfrohe Erzählweise und freche Figuren

Für die lebensfrohe Erzählweise des Choreographen spricht auch, wie frech und doppelgesichtig die Grüne (Teiana Svetlicina) angelegt ist. Die Tochter des Trollkönigs taxiert die Männer nicht nur mit den Augen, sondern greift wie bei der ersten Begegnung mit Peer ihm gleich in den Schritt und nimmt Maß. Das junge Publikum um uns im Parkett, das gerade noch Brautmoden auf Tiktok durchgeblättert hatte, reagierte mit vollstem Verständnis.

Als Titelheld gefordert

Der zweigeteilte Abend wird von der Titelfigur zusammengehalten. Den Peer tanzt der vielseitige, tänzerisch wie schauspielerisch mitreißende Milos Isailovic. Der athletische wie ausdrucksstarke Darsteller ist fast pausenlos auf der Bühne und dabei im steten Wandel. Als Kind Peer steigt er im Wald immer wieder auf den Rücken des Hirsches (Sytze Jan Luske), als leidenschaftlicher Verführer raubt er dem Freund (Lucio Mautone) die Braut (Tijuana Kitzman Hudernik) und ist von besitzergreifender Garstigkeit zu seiner treuen Jugendliebe Solvejg (Evgenija Koskina).

Szene Peer in Solvejs Höhle

Meister der kleinen großen Geste

Genial ist die Bühnenlösung von Marko Japelj, der mit Kostümbildnerin Leo Koplas das Ballett ausstattete. Ein ovaler Laufsteg, der eine zügige Aufeinanderfolge der vielen Bilder ermöglicht.

Eine Sensation ist, dass Edward Clug in Leipzig selbst die Rolle des Tod tanzt. Wieder eine seiner heiteren Figuren, die das ganze Leben Peers moderiert. Clug beherrscht die Kunst der Gestik, die knappe, ausdrucksstarke Bewegung der Augen, des Kopfes, der Finger oder einer Hand. Er verfügt über beneidenswerte Bühnenpräsenz.

Alle bedeutenden Leistungen des zahlenmäßig großen Ensembles können an dieser Stelle nicht angemessen umfänglich gewürdigt werden. Dank für die Aufführung.

Musikalisch temperamentvoll wie einfühlsam

Victorien Vanoosten leitet, ein die Orchestergräben dieser Welt kennender Dirigent und Pianist, das temperamentvoll spielende Gewandhausorchester. Neben Griegs Schauspielmusik und dem Streichquartett in g-Moll gibt das ergreifend interpretierte Klavierkonzert Clugs Ballett den Rahmen. In der Musik wird Tiefe spürbar, die in der hier hervorgehobenen lockeren Tanzgeste eben fehlt und so ein schmerzliches Manko bleibt. Unter diesem interpretatorischen Gesichtspunkt setzen Andreas Seidel, Solovioline und der Solorepetitor der Leipziger Oper, Paulo Almeida, als Solist in Griegs Klavierkonzert dem Gesamtkunstwerk Glanzlichter auf.

Annotation

„Peer Gynt“. Ballett in zwei Akten von Eward Clug mach dem gleichnamigen Drama von Hendrik Ibsen; Musik Edvard Grieg. Gast Spiel des Opera Ballet Maribor, Slovensko Narodno Gledalise im Rahmen des Festivals „Leipzig Tanzt!“ am Opernhaus Leipzig. Musikalische Leitung: Victorien Vanoosten, Choreographie: Edward Clug, Bühne: Marko Japelj, Kostüme: Leo Kulaš, Licht: Tomaž Premzl, Solo-Pianist: Paulo Almeida

Besetzung

Company Slowenisches Nationalballett Maribor, Chor Damenchor, Gewandhausorchester

Uraufführung 2015 in Maribor; besuchte Vorstellung 22.6.2024; veröffentlicht 23.6.2024

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig

Fotos: © Slowenisches Nationalballett Maribor

Scroll To Top