Dänisches Verwirrspiel spaßt auf großer Opernbühne
Auf der Bühne des Opernhauses am Leipziger Augustusplatz erfreut schon seit einigen Wochen die Inszenierung einer Komischen Oper das Publikum und erfährt reichlich Beifall, die alle Züge einer großen klassischen Operette hat. Für uns gesehen hat sie der ebenfalls begeisterte
Henner Kotte
„Sie zeigt uns ihre Kunst und Art, ‘s ist zum Weinen und zugleich zum Lachen!“ Die hiesige Kultur bereichern aus Europas Norden gemeinhin düstre Kriminalromane. „Lasst uns kühn und lustig kräh’n!“ meint dagegen Dänemarks Nationaloper „Maskarade“ und unterhält mit Witz, Gefühl und Elternschelte. Jedoch sieht man sie selten auf deutschen Bühnen. Jetzt entdeckt das Leipziger Opernhaus Carl Nielsens Werk und konterkariert mit dieser Inszenierung merklich die sonst Opern typischen Tragödien. Wie weiland die Geschichten der Courths-Mahler kommt Nielsens Mär daher: Der Leander begegnete auf dem Maskenballe einer Jungfer, deren Namen er nicht kennt. Tags drauf zur nächsten Maskarade will er die Schöne wiedertreffen. Mutti würde gern den Sohn zum Tanz begleiten, aber der Papa hat was dagegen, zum einen wegen der ständigen Partys, die den Ernst des Lebens stören, zum anderen will er den Sohn finanziell vorteilhaft mit der Tochter seines Geschäftspartners verehelichen. Da büxt sowohl der Junge wie Mütterlein aus ins Vergnügen. Logo: Herz findet zum Herzen, und der Olle gibt letztlich seinen Segen dazu. „Da weicht das Bangen und wir umfangen voll Glücksverlangen uns immerzu.“
Solch eine Geschichte ist alt. Ludvig Holberg verfasste sie im Jahre 1724 mit allen Mitteln der barocken Komödie. Das Stück geriet dem Kompositeur Carl Nielsen in die Hände, Vilhelm Andersen verfasste ein Libretto, dass zur Uraufführung 1906 von der Kritik als zu obszön empfunden wurde. „Ein Mann ist, sagen die alten Glossen, ein betrüg’risches Ding in der Hosen!“ Dem Publikum dazumal gefiel’s. Auch heuer können Opernzuschauer ihren Spaß daran haben. Mit Verve und Witz hat C. Rocholl den Text übersetzt, und Willy Dähnhardt hat ihn der Zeit angepasst. „Die Reime bleiben uns im Ohre stecken. Der Einklang soll bezwecken, dass wir uns niemals vor der Lieb‘ erschrecken und fortan ewig einander necken, necken, necken, necken.“
Cusch Jung, MuKo-bekannt für (feder)leichte Unterhaltung, setzt das heiter-nationale Opernwerk gekonnt in Leipzigs Opernhaus. Bühne und Kostüme von Karin Fritz beleben die trauten Kinokomödien der Fünfziger und mutieren beim Maskenballe zum LGBTQIA+Vergnügen. Da kann der Alte noch so wettern: „Nicht Schloss und Riegel, Band und Zügel, hilft heut‘ Nacht!“ Damit ist die Handlung im Streit der Generationen angekommen und kann gegenwärtiger nicht sein.
Die Geschichte ist so vorhersehbar wie kitschig. „Doch was kann man bess’res machen, als den Sumpf vergessen, drin wir täglich waten, sich Freude schaffen in der eignen Brust, sich keck zu baden in den Kaskaden von Tanz und Sang und Licht und Lust?“ Mit ironisch verstandenem Handwerk sind alle Protagonisten augenzwinkernd dabei, meistern in Aussehen, Bewegung und Timbre ihre Rollen grandios. Den verliebten Leander gibt Patrick Vogel jugendlich frisch. Sein Intimus Henrik verleiht Marek Reichert Charme und Stimme. Als Familientyrann echauffiert sich Magnus Piontek, derweil sich seine Gattin Barbara Kozelj in junger Pose gefällt.
In weitere Solopartien beeindrucken Dan Karlström, Sven Hörleifsson, Magdalena Hinterdobler, Sandra Jahnke und viele andere mehr. Auch der Chor maskiert sich in sichtbarer Spiellaune. Eine perfekt abgestimmte Ensembleleistung, deren Lust und gute Laune im Publikum Widerhall findet, was nicht auf allen Theaterbühnen der Stadt heute üblich.
Carl Nielsens Musik entbehrt der ohrwürmenden Arien und Hits, doch unter dem gefälligen Klang lauern die Abgründe der Charaktere. Stephan Zillas führt das Gewandhausorchester gefühlvoll über die Klippen. Soloinstrumente erlangen gebührenden Raum. Wie auch die Tänzer/in Elisa Fuganti Pedoni, Germán Hipólyto Farias und Davido De Biasi. Sie verleihen der Liebesgeschichte elegante Bewegung beim Hahnenkampf und Himmelsglück. Das beeindruckt nicht nur Party-Gäste, auch das Publikum fasziniert die Choreografie von Oliver Preiß. „Seht, welche Herzenslust!“
Denn fälschlich nehmen Erziehungsbeauftragte und Intendanten an: „Ihr wollt nur Unsinn, wollt Theater!“ Diese würzige, herzerwärmende Geschichte hätte man auf dem Spielplan des Operettentheaters vermuten können. Doch der Beweis ist angetreten: Das ist große Oper! Und wenn das Repertoire unserer Theaterhäuser stets nur das Erwartete bietet, wird‘s Langeweile und überinterpretierte Belehrung. Das es auch anders geht beweist diese Inszenierung: Ja, wir wollen solch ein Theater!
ANNOTATION
„Maskarade“ Komische Oper in drei Aufzügen von Carl Nielsen. Text von Vilhelm Andersen nach dem gleichnamigen Schauspiel von Ludvig Holberg. Oper Leipzig.
Musikalische Leitung Stephan Zilias, Inszenierung Cusch Jung, Choreographie Oliver Preiß, Bühne Karin Fritz, Kostüme Karin Fritz, Choreinstudierung Thomas Eitler-de Lint, Chor der Oper Leipzig, Gewandhausorchester
Besetzung: Magdelone: Barbara Kozelj, Leonora: Theresa Pilsl, Pernille: Sandra Janke, Jeronimus: Magnus Piontek, Leander: Patrick Vogel , Henrik: Marek Reichert, Arv: Dan Karlström, Leonard: Sven Hjörleifsson, Ein Nachtwächter: Sejong Chang, Ein Festordner: Jean-Baptiste Mouret, Ein Wachtmeister: Ondřej Potůček, Ein Maskenverkäufer / Magister: Fredrik Essunger, Student 1: Hunyoung Choi, Student 2: Máté Gál, Tänzer 1: Germán Hipólito Farias, Tänzer 2: Davide De Biasi, Tänzerin: Elisa Fuganti Pedoni
Premiere 23.04.2022, besuchte Vorstellung 15.05.2022, veröffentlicht 18.05.2022
Weitere Vorstellungen: 04.06., 19 Uhr
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CREDITS
Fotos: © Tom Schulze (4); Kirsten Nijhof (1)
Text: Henner Kotte, freier Autor und Theaterkritiker, Leipzig