Wiederaufnahme der umjubelten Andreas-Homoki-Inszenierung
Am 15. November sowie im nächsten Jahr erstmals am 19. Januar 2025 besteht Gelegenheit, jene von den Fans legendär genannte „La Traviata“-Inszenierung wieder zu erleben, die der heute in Zürich wirkende Andreas Homoki 1996 unter der Intendanz von Udo Zimmermann dem Leipziger Publikum geschenkt hatte.
Von Moritz Jähnig
Publikumsbegeisterung und thematische Relevanz
Es gibt viele Gründe, warum diese Inszenierung in Leipzig die Publikumsreihen füllt und manche Vorstellung wie ein Klassentreffen derjenigen wirkt, die Homokis Arbeit schon einmal gesehen haben. Das Erlebnis wird oft mit persönlichen Ereignissen aus der eigenen Zeit in Leipzig, wie Studium oder Familiengründung, verbunden.
Die Plätze in der von uns besuchten Vorstellung hätten es verdient, noch besser ausgelastet zu sein. Es waren vornehmlich Schüler und Jugendliche, die die Oper erlebten, daneben Einzel- und Gruppentouristen. Wir sprachen mit zwei Gästen aus der Bundeshauptstadt, die einzig dieser Vorstellung wegen nach Leipzig gereist waren. Die Themen Liebe, Beziehung und ihre Zerstörung durch gesellschaftliche Konventionen bleiben zeitlos aktuell.
Fokussierung auf Charaktere
Ein großer Vorteil von Homokis Konzept (Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Kostüme: Gabriele Jaenecke) ist, dass die leere Bühne, die lediglich mit aus dem Boden sprießenden Blumen und einigen Stühlen versehen ist, alle Aufmerksamkeit auf die Charaktere lenkt.
Die Kurtisane Violetta Valéry ist hin- und hergerissen zwischen ihren widersprüchlichen Wünschen nach Liebe und Unabhängigkeit. Alfredo Germont, ihr Geliebter, wird von seinem Vater Giorgio Germont gezwungen, sich von ihr zu trennen. Giorgio Germont, gespielt von Mathias Hausmann, ist besorgt, dass Violettas Ruf die zukünftige Ehe seiner Tochter zerstören könnte. Das Schöne an Hausmanns Darstellung von Giorgio ist unter anderem, dass der Familienpatriarch nicht als kaltes Scheusal denunziert wird. Er zeichnet mit Wärme in der Stimme das Bild eines Vaters, der sich durch die Konventionen gezwungen fühlt, auch seine Tochter gesellschaftlich abzusichern.
Starke darstellerische Leistungen
Olga Jelínková als Violetta Valéry, die an fortschreitender Tuberkulose leidet, beherrschte die Bühne sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Wenn Violetta mit der Gesellschaft lacht, bleibt sie dennoch eine tieftraurige Frau. Sie ist in ihren Kreisen eine Fremde, die keine Freunde hat. Jelínková macht deutlich, dass der einzig erfüllende Weg für Violetta in der Beziehung zu Alfredo liegt. Diese Beziehung bringt ihr die gesellschaftliche Freiheit, für die sie alles opfert, was sie besitzt. Stimmlich zeichnet Jelínková die Figur sowohl melancholisch als auch stark – eine sehr berührende Leistung.
Musikalisch Brillanz
Matthias Stier singt Alfredo mehr als nur einen naiven jungen Mann. Auch körperlich präsentiert er sich als starker, zugewandter Partner. Sein verzweifelter Ausbruch auf Flora Bervoix‘ (Nora Steuerwald) Abendgesellschaft trägt eine tief existenzielle Komponente, die jeglichen jugendlichen Überschwang hinter sich gelassen hat. Seine spätere Trauer über Violettas Tod wirft die Frage auf, was nach diesem Verlust aus Alfredo wird.
Alle Partien sind bestens und überzeugend besetzt. Das Gewandhausorchester, an diesem Abend unter der Leitung von Christoph Gedschold, musizierte Verdi leidenschaftlich und sehr temporeich. Das zügige Spiel vermied jegliches Auftrumpfen. – „La Traviata“ in Leipzig bietet ein großes Erlebnis, das unbedingt empfohlen sei.
Annotation
„La Traviata“, von Giuseppe Verdi. Melodramma in drei Akten | Text von Francesco Maria Piave, nach dem Roman »Die Kameliendame« von Alexandre Dumas, Oper Leipzig. Musikalische Leitung: Christoph Gedschold, Inszenierung: Andreas Homoki, Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Kostüme: Gabriele Jaenecke, Licht: Michael Röger
Besetzung
Violetta Valery: Olga Jelínková, Flora: Nora Steuerwald, Annina: Julia Pastor, Alfredo Germont: Matthias Stier, Giorgio Germont: Mathias Hausmann, Gastone: Einar Dagur Jónsson, Barone Douphol: Jonathan Michie, Marchese d´Obigny: Peter Dolinšek, Dottore Grenvil: Žilvinas Miškinis, Giuseppe: Ruben Olivares, Diener Floras: Marian Müller, Ein Dienstmann: Klaus Bernewitz
Chor der Oper Leipzig, Gewandhausorchester Leipzig
Premiere 21.12.1996; Wiederaufnahme 8.9.2024; besuchte Vorstellung 2.10.2024; veröffentlicht 13.10.2024
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig
Fotos: © Ina Zenner