Uraufführung von „Knöpfe“ nach Ilse Aischinger
Das Foyer 1, die kleine, in der repräsentative Garderobenhalle des Schauspielhauses betriebene Spielstätte ist am Vorabend des 1. Mai ausverkauft. Ein durchweg junges, bis sehr junges Publikum denkt auf Grundlage eines surrealen Stückes aus Omas Tagen über seine Arbeitswelt nach.
Von Moritz Jähnig
Vorlage für den in der Regie von Emily Huber uraufgeführten Theatertext „Knöpfe“ ist das 1953 erstausgestrahlte Hörspiel gleichen Titels von Ilse Aischinger (1921 – 2016). Es wurde danach noch mehrfach neu eingesprochen, so 1989 (!) von Radio DDR. Bis zur Bühnenreife brauchte das Hörspiel – zu Recht, wie man erkennt – 71 Jahre. Eine lange Zeit, in der sich gesellschaftlich vieles geändert hat.
Das merkt man dem Text an. Er ist in einem in den 50ern noch sehr populären künstlerischen Format für den Rundfunkt verfasst worden, also für das konzentrierte Hören. Aischinger war Meisterin solcher surrealen Parabeln. Heute steht das Werk der großen Fremden in der deutschen Literatur, die sie Zeit Lebens auch in ihrer Selbstwahrnehmung blieb, auf der Kippe zum Vergessen.
Blick in eine dubiose Knopffabrik
Das Stück erzählt den drei Frauen Ann, Rosa und Jean, die in einer dubiosen Knopffabrik arbeiten, in der ein Vertreter namens Bill die Ansagen macht. Bill, so sieht es diese Fassung vor, ist in Personalunion gleichzeitig John, der Partner von Ann. Dafür switcht Dirk Lange gekonnt zwischen dem neugierigen, vergeblich in den Docks nach Arbeit suchenden Normalo und einer zwielichtigen, diabolischen Type, die ihre Mitarbeiterinnen übergriffig führt und manipuliert.
John spricht davon, seine Frau sollte zuhause bleiben können. Das war so das Ideal. Allerdings hat die selbstbewusste Ann, sehr taff Sonja Isemer, gerade Arbeit in der Abteilung für die schönen, teuren Luxusknöpfe gefunden. In der Knopfbude ist ihr unheimlich. Sie hört und spürt irgendetwas hinter der Wand. Doch keine Frau gibt sich daran interessiert. Vielleicht wissen die Vertreter, die Männer also, mehr? Keine fragt nach. Sie stellen sich blind, denn in den unrentablen Abteilungen sind die Frauen bereits entlassen worden. Wen überrascht es, dass bald auch Ann sich bereit findet, zusammen mit Rosie, immer positiv denkend und strahlend gezeigt von Paulina Bittner, am Sonntag in der Firma zu bleiben. Sie arbeitet für die mysteriös verschwundene Jean mit, gespielt von Annett Sawallisch. Seit ihrem Wegbleiben produziert die Firma den neuen Luxusknopf „Jean“.
Spiel wird ins Spiel gebracht
Um körperliche Aktion ins wortlastige Spiel zu bringen, hat die Regie einiges versucht und zum Beispiel Bewegungsstereotype eingebaut, die die stupide Fließbandarbeit andeuten. Am Schluss lüftet Ann die düsteren Räume durch. Sie bindet die Zwischenwände aus opager Folie (Bühne Stella Former, Kostüme Carolin Schmelz) hoch. Es gab am Schluss verdient viel Beifall für die schauspielerische Leistung. Doch über Strecken bleibt das etwas über 60minütige Stück theater-trocken. Wo sich im Hörspiel über die Sinnlichkeit der menschlichen Stimme und Musik Spannung aufbaut werden kann und so die surreale Seite der Story anklingt, gelingt das in der gesehenen szenischen Fassung nur ansatzweise.
Beifall für die Schauspieler
Die Inszenierung ist trotz der genannten Einschränkung thematisch interessant. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf eine inzwischen eher randständige österreichische Autorin. Welches Menschenbild und welche Apelle stecken hinter ihrem Hörspieltext?
2024 endet das Stück keine Spur resigniert oder fatalistisch. Eine seiner Botschaften lautet: Gegen krankmachende Arbeitsverhältnisse hilft nur konsequentes Aussteigen, auch wenn es sozial heikel ist. Mag sein, dass sich darin der Aufstand einer Generation von Individualist:innen ausdrückt, die nicht – wie 1953 selbstverständlich – um jeden Preis auf den Arbeitsmarkt stürmt, sondern zuerst voll Achtsamkeit ihre Work-Life-Balance im Auge behält.
Annotation
„Knöpfe“. nach dem Hörspiel von Ilse Aichinger. Uraufführung. Schauspiel Leipzig, Foyer 1. Regie: Emily Huber, Bühne: Stella Vollmer, Kostüme: Carolin Schmelz, Dramaturgie: Georg Mellert, Licht: Mattheo Fehse, Video: Kai Schadeberg, Ton: Anko Ahlert, Soufflage: Christiane Wittig, Maske: Anja Engert, Requisite: André Sproete, Bühnenmeister: Patrick Ernst
Besetzung
Dirk Lange als Bill/John, Sonja Isemer als Ann, Paulina Bittner als Rosie, Annett Sawallisch als Jean, Samuel Sandriesser als Verkäufer (Stimme)
Premiere 24.4.2024; besuchte Vorstellung 30.4.2024; veröffentlicht 1.5.2024
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig, Herausgeber
Foto: © Rolf Arnold