Compania Sincaras Shakespeare-Maskenspiel liebäugelt zum Publikum
Sein oder Nichtsein, das ist hier nicht die einzige Frage … In ihrem „Hamlet“ erzählt die Compania Sincara die Tragödie um den Prinzen von Dänemark auf ungewöhnliche und verliebte Weise.
Von Moritz Jähnig
Ihr bestes Moment bekommt die erlebte Repertoirevorstellung vom Zufall geschenkt: wenn im großen Zitate-Reigen der hehre „Hamlet“-Ausspruch „To be, or not to be,“ an die Reihe kommt, fällt dem Musiker Johannes auf der Hinterbühne ein Becken runter. Und rums müssen die Companiere gegen das eigene Lachen reagieren und improvisieren. Das ist es, was die drei Mimen Rico Dietzmeyer (Eusebius), Ronja Oehler (Kerbel) und Felicitas Erben (Waldemar) exzellent wie nur wenige beherrschen. Aus dieser ihrer Kunst heraus lebt der Abend. Sie macht das Theaterkollektiv unvergleichlich.
Zumindest im Leipziger Raum. Hier werden Maskenspiel, Farce, Absurdes Theater seltener gepflegt. Nur einige Schritte vom heutigen Aufführungsort entfernt, soll die legendäre Prinzipalin Friederike Karoline Neuberin einstens den Hans Wurst mehr oder weniger erfolgreich von der deutschen Schauspielbühne vertrieben haben. Das ist allerdings ein ganz anderes Thema.
Über das gekonnte Spiel der 2017 im Dunstkreis des Leipziger theaterwissenschaftlichen Institutes gegründeten Compania Sincara ist bisher viel gesprochen, aber noch viel zu wenig geschrieben und veröffentlicht worden. Trotz seines bodenständigen, derben Witzes spielt das Kollektiv ein intellektuelles Theater. Die Spieler wenden sich an ein gebildetes Publikum. Ihre Clowns schöpfen voll aus William Shakespeares tiefsinnigem Textreservoire und reichern alles mit Goethe, Backett, Brecht und anderen Essenzen an.
Jeder darf sich persönlich begrüßt fühlen
Wenn Compania Sincara Hamlet spielt, spannt sie unverfroren das Publikum als seinen vollwertigen Mitspieler ein. Um 20 Uhr soll die Vorstellung beginnen und um 20 Uhr pünktlich öffnen sich die Saaltüren. Die Aufführung beginnt mit einem Defilee des Publikums vorbei an den drei erwartungsvoll im Bühnenraum sitzenden Clowns. Jeder eintretende wird beäugt, fast unmerklich begrüßt, irgendwie gewichtet. Spannung baut sich auf. Kommt noch jemand? Wann geht’s los? Fehlt wer?
Nach 13 Minuten schweigsamer Unruhe im großen Ensemble erscheinen endlich die Musiker und stimmen die Instrumente. Jetzt beginnen die eigentliche Aktion mit der Überlegung, was man denn hier mache und wolle. Warten natürlich.
Den maskierten Clownfiguren zu folgen, ist eine Freude. Sie erbauen mit nur einem auf den Boden gelegten dicken Seil König Claudius Reich. Wie Kinder es im Spiel tun, achten die Clowns darauf, „die Wände“, die sie errichtet haben, nicht zu überschreiten, sondern außen drum rum zu laufen.
Geister und Tote treten auf, ein Landsknechtslied wird gesungen. Das Publikum wird angespielt, muss bei der Geistervertreibung mithelfen. Das funktioniert perfekt wie beim Kasper im Puppentheater.
Nach 90 Minuten ist Finish. Die Drei sitzen wieder auf der Bühne und warten weiter. Einziges Ergebnis: Sie singen Brechts Seeräuberballade dazu.
0h Himmel, strahlender Azur
Enormer Wind, die Segel bläh
Lasst Wind und Himmel fahren nur
Lasst uns um Sankt Marie die See.
Ausblick
Die hier erlebten Produktion „Compania Sincara spielt Hamlet“ stammt aus dem Jahr 2022 und ist in diesem Jahr an weiteren Terminen im Oktober wieder zu erleben. Zum zweiten Mal beschäftigte sich die Truppe 2023 mit Shakespeare. In der Schausbühne Lindenfels kam das Stück „Wie es Euch gefällt oder Was Ihr wollt“ heraus und ist dort im Mai wieder erleben. Ein dritter Aufschlag ist angekündigt.Ausblick
Und es gibt mehr! So viel sei verraten: Alle guten Dinge sind drei. Einen Shakespeare machen wir noch. Und was für einen! Ein weiteres Mal kehren Waldemar, Eusebius und Kerbel zurück; und dieses Mal gibt es kein Halten mehr. Das Warten hat ein Ende. Welten wurden erkundet. Was noch fehlt, ist ein Traum. Ein Fest kündigt sich an – ein Theaterfest der Verwandlungen. Es folgt das große Finale! – »Gut gebrüllt, Löwe!«
https://compania-sincara.com/
Annotation
“Compania Sincara spielt Hamlet”. Frei nach William Shakespeare. Schauspiel Leipzig. Diskothek. Regie & Szenarium: Rico Dietzmeyer, Masken & Szenographie: Franziska E. Schubert, Bühne & Ausstattung: Lisa-Maria Totzke, Co-Regie & Licht: Christoph Püngel, Mitarbeit: Gerda Baumbach, Komposition & Musik: Johannes Cotta, Jakob Dinkelacker, Annegret Enderle, Paul Pötsch, Assistenz: Agnes Stecher, Theaterpädagogische Betreuung: Nele Hoffmann, Ton: Udo Schulze, Heribert Weitz, Inspizienz: Ute Neas, Kostüm- & Bühnenbildassistenz: Carolin Schmelz, Maske: Astrid Storch, Requisite: Sebastian Hubel, Bühnenmeister: Mattheo Fehse, Thomas Kalz
Besetzung
Rico Dietzmeyer, Felicitas Erben, Ronja Oehler
Eine Produktion der Compania Sincara in Koproduktion mit dem Schauspiel Leipzig und der Schaubühne Lindenfels im Rahmen der Dreiklang-Förderung der Stadt Leipzig. Gefördert durch das Kulturamt der Stadt Leipzig und die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
Premiere 9.12.2022; besuchte Vorstellung 25.4.2924; veröffentlicht 26.4.2024
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig
Fotos: © Rolf Arnold