Das Schauspielhaus uraufführt kein Drama, aber ein gut Stück Theaterrache.
„Erfolg ist die beste Rache“, meint Hollywoodstar Michael Douglas und hat recht. Nicht nur in Kunstberufen wünscht man Kollegen, Nachbarn, Politikern in Nah und Fern Schlimmstes. Hat man das Unrecht nach den eignen Werten korrigiert, ist man der Held.
Von Henner Kotte
Ohne Rachetragödien (darstellerisch wie privatim) ist Theater gar nicht denkbar, denn sie machen die Bühnenkunst nachvollziehbar menschlich. Immer wieder sieht man sie, die klassischen Rachetragödien, von Shakespeare, Moliere, von Oskar Wilde bis Friedrich Hebbel, von „Medea“, „Salomé“, „Othello“ bis hin zum „Besuch der alten Dame“ und „Frau Müller muss weg“. Racheengel, Rachegöttinnen, Rachegelüste, Rachedurst und Rachefeldzüge – Rachemotive sind dem Menschen eigen wie Geburt und Tod. So nimmt es nicht Wunder, dass Leipzigs Schauhausautor Thomas Köck sich rachegetrieben und besessen des Phänomens annimmt und wie die Mafiosi „vendetta vendetta“ ausrufen lässt. Sein Text ist wahrlich kein Rachedrama, eher ein literaturwissenschaftlicher Diskurs, doch den hat Köck sehr lebendig ins Leipziger Schauhaus gebracht: „Haben Sie heute schon Rachegedanken gehabt?“
Die „Bühne hinterm Eisernen“ wandelt sich dafür optisch geschickt (Bühne & Kostüme: Martin Miotk) in ein antikes Theater mit breiter Pergamontreppe. Darauf tritt Lukretia dreimal in gleicher Gestalt (Amal Keller, Dirk Lange, Denis Petković). Jene Römerin war die treue und wunderschöne Gattin des Collatinus, die Tarquinius vergewaltigte. Darauf vermochte Lukretia nicht weiter zu leben und tötete sich. Als die Allgemeinheit von der schrecklichen Todesursache erfuhr, schwor sie Rache und stürzte das alte Regime. So führte Lukretias Tod zur Gründung der römischen Republik. Welch ein Mythos! Die drei Lukretias erzählen ihre Geschichte und wandeln sich im Verlaufe des Abends zu all den Rachegöttern, die die Weltliteratur hergibt. Diese müssen sich, weil es der Mythos so will, für unser Glück opfern und opfern und opfern … und können unseren Rachedurst doch niemals stillen. Und wie im antiken Drama üblich, kommentiert ein (Frauen)Chor fein choreografiert das Bühnengeschehen: Die Damen erinnern optisch an Wutbürger, Erzengel, Leatherface, Politessen sowie die blinde schwertschwingende Frau. Sie zitieren musikalisch Rachearien von Mozart bis Händel und halten Rachewaffen von Keule bis MPi in ihren blutigen Händen. Am Ende reihen sich diese Damen in die Masse wutschnaubenden Allgemeinheit ein, die für den Nonkonformen die ultimative Rache einfordert: „Der Arsch hat mich Fascho genannt!“
Dramatisch ist das gebotene Geschehen nicht, aber es bietet Theater, wie man es zu sehen sich wünscht: Die Bilder der Bühne erinnern an Klingers zerstörtes Aulagemälde, an Antikensammlungen und an die Amphitheater des Südens. Daneben Liegestühle vom Swimmingpool (auf denen nur die Besetzt-Handtücher fehlen). Der Text durchläuft chorisch grandios Melodie und zerhackte Prosa (Einstudierung: Andreas Spechtl). Die Einzelakteure prononcieren silbengenau. Bühnendrehungen und Vorhangaufzüge verwirren, lassen aber schöne Bilder entstehen. Denn auch wenn man den Text nicht in jeder Sequenz ob seiner Fülle zu folgen vermag, bietet die gebotene Parade rächender Geister reichlich Stoff über rachelüsterne Gegenwart nachzudenken. Die demokratiefördernde Lukretia erscheint zwar dreimal, aber halt nur im Leipziger Schauhaus.
ANNOTATION
“vendetta vendetta“ (a bunch of opfersongs) von Thomas Köcke, UA, Auftragswerk des Schauspiel Leipzig
Inszenierung & Choreinstudierung: Thomas Köck; Musik & Choreinstudierung: Andreas Spechtl; Bühne und Kostüme: Martin Miotk; Dramaturgie: Torsten Buß, Matthias Döpke; Video: Kai Schadeberg; Licht: Jörn Langkabel
Besetzung: Amal Keller, Dirk Lange, Denis Petković
Tina Bolle, Sabine Brückner, Jennifer Demmel, Noa Flach, Anne Kerlin, Katharina Nürnberger, Carmen Orschinski, Robin Heleen Rauhut, Uta Sander als Chor
weitere Vorstellungen
Sa, 19.02. 19:30 — 20:50
So, 20.02. 19:30 — 20:50
So, 20.03. 19:30 — 20:50
Mi, 30.03. 19:30 — 20:50
CREDITS
Text: Henner Kotte
Foto (3): © Rolf Arnold
besuchte Vorstellung: Premiere 12.02.2022; veröffentlicht 15.02.2022