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Leipzig: „J.S.Bach – Die Apokalypse“

Leipzig: „J.S.Bach – Die Apokalypse“

Ensemble OPERA2DAY und Nederlandse Bachverenigingaus Den Haag gastierten mit einer Oper, die nie geschrieben wurde

“J.S.Bach – Die Apokalypse” ist ein Musiktheater-Vergnügen, das aus Anlass des Bachfestes 2024 als Gastspiel seinen Weg aus den Niederlanden nach Deutschland fand. Im Mai wurde die Inszenierung beim Bachfest Münster gezeigt, wo im Stück gezeigte „Apokalypse“ thematisch beheimatet ist. Jetzt beeindruckte sie an zwei Abenden auf dem weltgrößten Barockmusik-Festival in der Oper am Augustusplatz vor weitgehend ausverkauftem Haus ein herzlich Applaus spendendes Publikum, dass im Anschluss die Diskussion aufnahm: Braucht Bach solche Dramen?.

                    Moritz Jähnig

Szene aus „J.S.Bach – Die Apokalypse“

Geschichtsexkurs und Bühnenbild

Unter lauten revolutionären Rufen, wie dem legendären Leipziger „Wir sind das Volk“, hebt sich unvermittelt der symbolische Vorhang zu einem Geschichtsexkurs.

Man sieht im großen, dunkel bleibenden Raum auf einer kleinen Drehbühne das Weltgeschehen vorbeirauschen. Podeste, Thronstuhl, Wandschirme, die schrecklichen, hängenden Käfige und der zerborstene Kirchturm der Lambertikirche von Münster genügen Herbert Janse als Tableau für elf für die Ereignisse von 1536 exemplarische Spielszenen.

In den Käfigen enden nach der Hinrichtung zerstückelt die sogenannten Ketzer und werden vom siegreichen Bischof an den Kirchturm gehängt, wo sie symbolisch noch heute erinnern und mahnen.

1517 hatte der Augustinermönch Martin Luther in Wittenberg seinen revolutionären Weg begonnen. Die Bürger von Münster folgten ihm 20 Jahre später. Ihre Radikalität fand nicht die Billigung des Reformators. Er unterstützte keine „Schwarmgeister“. Überhaupt blieb jede Hilfe für Münster aus. Und so brach die Gemeinde der brutal Wiedertauften unter dem eigenen Wahn rasch wieder zusammen.

Szene aus „J.S.Bach – Die Apokalypse“

Inszenierung und Darstellung

Mit großem Ernst gestalten die Ensembles OPERA2DAY und der Nederlandse Bachvereinigung dieses grausige Un-Heilsgeschehen. Heutiger Totalitarismus steht in seinen Folgen dem Mittelalter darin in nichts nach. Das wird einem in diesem Stück voll bewusst und gelegentlich zieht leichtes Frösteln über den Rücken. Wohl wahr, die Geschichte kennt viele Apokalypsen.

Uri Rapaports Licht und Mirjam Paters Kostüme sind zeitlos. Dieses zeitlos Gültige der Bilder und Serge van Veggel jedwede Drastik vermeidende Regie halten die für uns unbegreiflich bestialische Geschichte im erträglichen Rahmen.

Szene aus „J.S.Bach – Die Apokalypse“

Solisten und Musik

Hernán Schvartzman führt das Orchester der Niederländischen Bachvereinigung sehr sängerfreundlich. Musiziert wird ausgesprochen transparent, aber zurückhaltend und herb. Das steigert die Dramatik der Bachschen Musik auf eigene Weise.

Aus dem Kreis der Gesangssolisten fallen der Countertenor James Hall, Bischof Franz von Waldeck und Predigerprophet Jan Matthijsz nebeneinander gestaltend, der hoch exaltiert in die oberen Fächer des Stimmregals greift und der in Leipzig-Land ansässige Tenor Florian Sievers als Jan van Leiden. Jan, der vom gescheiterten Kneiper zum König der Wiedertäufer mutierte, charismatische Abenteurer, behält in jeder Lebenslage eine elegante Note, grausam nobel selbst bei der Beichte und im Tod.

Unter den Frauenfiguren ragen die Sängerinnen Michaela Riener und Lauren Armishaw heraus. Insgesamt eine sehr geschlossene, gute Leistung.

Fazit und Reflexion

Mit der Musik Bachs wurde „Apokalypse“ zu einem faszinierenden Theaterabend, der neben der Theaterüberraschung auch Nachdenklichkeit bescherte. Bedarf die Musik des Meisters wirklich einer nachträglichen Dramatisierung zu einem Bühnenstück? Und mit welchem Stoff? Innerhalb des Bachfestival-Programms ist ein künstlerisch so attraktiver Denkanstoß wohl passend. Insbesondere auch aus den sich ergebenden „aktuellen gesellschaftspolitischen Bezügen“ heraus. An „J.S. Bach – Die Apokalypse” erinnert man sich gern.

Annotation

„J.S.Bach – Die Apokalypse“. „Die Oper, die Bach nie geschrieben hat“ – über Jan van Leyden, basierend auf Musik von J. S. Bach und P. Iliopoulos

OPERA2DAY, Serge van Veggel (Regie, Konzeption und Musikauswahl), Thomas Höft (Libretto), Herbert Janse (Bühnenbild), Uri Rapaport (Lichtgestaltung), Arne Bock (Tontechnik), Ronald Tebra (Technische Produktion), Mirjam Pater (Kostüme), Pilo Pilkes (Maske), Femke Luyckx (Choreographie, Regieassistenz), Nederlandse Bachvereniging, Leitung: Hernán Schvartzman

Besetzung

Florian Sievers (Tenor − Jan van Leyden), Wolf Matthias Friedrich (Bass-Bariton − Bernhard Knipperdollinck), James Hall (Countertenor − Bischof Franz von Waldeck / Jan Matthijsz), Georgia Burashko (Mezzosopran − Dieuwer Brouwersdochter), Mattijs van de Woerd (Bariton − Bernhard Rothmann), Kaspar Kröner (Countertenor − Henrick Hendricksz (Heuchelei) / Jacob Dusentschuer), Wiebe-Pier Cnossen (Bass − Claes Janssen (Unschuld) / Abgesandter des Bischof / Kaplan Johannes von Siberg), Michaela Riener (Sopran − Marijtje IJsbrandsdochter / Elisabeth Wandscherer), Jobst Schnibbe (Schauspiel − Heinrich Gresbeck), Lauren Armishaw (Sopran − Katarina)

Premiere 17.1.2024 in Den Haag; besuchte Vorstellung 11.6.2024, Gastspiel an der Oper Leipzig; veröffentlicht 13.6.2024; aktualisiert 22.6.2024

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig; Herausgeber

Fotos: Pressematerial Bachfest Leipzig/Marco Borggreve

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