In der Leipziger Schauhausdiskothek: Frauen an und für sich
Mit der Dramatik an den Schauspielhäusern ist dies augenscheinlich so ‘ne Sache: Mangels Mut und greifbarer Theatertexte verhunzen Dramaturgen und Regisseure Bestsellerromane, stellen Archivalien, Protokolle und Augenzeugenberichte als Scheindokumentationen zusammen oder peppen ihre Inszenierungen mit Video, Audio, Schlamm und Schleim so auf, dass die Bühnenkunst schlicht nicht mehr zu erkennen ist. Löblich ist seither je der Ansatz, Autoren für sich die themenpassenden Stücke schreiben zu lassen. Uraufführung und mediale Aufmerksamkeit inklusive. Das kann man als modernes Mäzenatentum verstehen, aber auch als Rettungsanker für die eigene Behäbigkeit.
Die Voraussetzungen beim nun uraufgeführten Stück „Ein Wahnsinn, was Menschen einander“ scheinen für alle Beteiligten nur ein Gewinn: Das Schauspiel leipzig präsentiert sich auf der schriftstellerischen Höhe der Zeit. Autorin Kristin Höller ist jung und ihre Texte preisgeehrt, sie wird zumal in Krisenzeiten finanziell gefördert. Regisseurin Katrin Plötner bekommt in Leipzig ihre nächste Aufgabe, u.a. mit „Frau Ada denkt Unerhörtes“ ist sie bereits auf dem hiesigen Spielplan. Johanna Hlawica kreierte auch hier farblich passende Kostüme. Bühnenbildnerin Bettina Pommer setzte fünf knallpinke Zimmer auf eine Drehbühne, und das Musikerduo Geza Cotard untermalt die Salongespräche spielfilmreif. Das ist alles sehr apart anzusehen und zu -hören.
Personage: Vier Frauen. Der Titel verspricht Gewalt und Heute: Britta (Anne Cathrin Buhtz) und Marion (Bettina Schmidt) kennen einander aus Kindertagen. Nana (Katharina Schmidt) ist Tochter von Britta, Ruth (Claudia Burckhardt) eine ältere Kollegin von Marion. Das apostrophierte Konfliktpotential ist dann weit geringer als vermutet, und kommt daher wie ein Hörspiel über Frauenemanzipation. Solches hat in hiesigen Breiten Tradition von „Franziska Linkerhand“, „Guten Morgen, Du Schöne“ bis hin zu den „sieben Affären der Donna Juanita“. Doch so gesellschaftlich engagiert und diskussionswürdig sind die kurzen Szenen Kristin Höllers nicht, aber sie zeigen das gegenwärtige Frauenbild im ganz Privaten: Karriere, Kinder, Selbstverwirklichung und -anspruch. Letztlich bleibt festzustellen: „Wenn ich sterbe, macht ein anderer irgendwo Picknick.“
Ja, doch, ja, ein Bühnenstück. Das Manko von zu wenig Text überbrückt die Bühne, die sich wortlos zu oft dreht. Den Mangel an Konflikt macht schon die Puppenstubenfarbe deutlich: Unterm Rosarot erscheint uns Lady Di. Die Charakterhaltung der verstorbenen Königsmutter wird mit der eigenen verglichen wie brisant, taff, exclusiv und Leute heute uns täglich nahelegen. Dass hinter solcher Oberflächlichkeit der pinken Bilder mehr liegen muss, kann der Zuschauer erahnen, nicht sehen. Und deshalb ließ „Ein Wahnsinn, was Menschen einander“ mehr erhoffen, als uns dann geboten wird. Das ist nicht schlimm, aber was hätte draus werden können: Ein Drama! So bleibt’s halt ein Kaffeehausgespräch mit „Frauen, die Prosecco trinken“.
Henner Kotte
ANNOTATION
„Ein Wahnsinn was Menschen einander“ (UA) von Kristin Höller; ein Auftragswerk des Schauspiel Leipzig
Inszenierung: Katrin Plötner, Bühne: Bettina Pommer, Kostüme: Johanna Hlawica, Musik: Geza Cotard (Friederike Bernhardt & Johannes Cotta), Dramaturgie: Benjamin Große Licht: Thomas Kalz, Theaterpädagische Betreuung: Babette Büchele; Besetzung: Anne Cathrin Buhtz als Britta, Claudia Burckhardt als Ruth, Bettina Schmidt als Marion, Katharina Schmidt als Nana
Weitere Vorstellungen:
14.11., 8.12., 21.12.2021, 20 Uhr Schauspiel Leipzig Diskothek
CREDITS
Foto: © Rolf Arnold
Premiere: 2.10.2021
veröffentlicht: 2.11.2021