Neuinszenierung „Der fliegende Holländer“ an der Oper Leipzig.
Ich liebe es, wenn Theater mich mit seinen ureigensten Mitteln überwältigt! Kommt eine geradezu machtlos machende Musik wie in Richard Wagners „Fliegender Holländer“ hinzu, vom Leipziger Gewandhausorchester unter Christoph Gedschold wunderbar gespielt – dann ist für mich alles gut.
Von Moritz Jähnig
Schauen wir in die Archive, fällt auf, dass Inszenierungen des „Fliegenden Holländer“ am Leipziger Augustusplatz nie bloße Repertoireroutinen waren. Der letzte Zugriff auf Richard Wagners 1843 in Dresden uraufgeführte Oper mit einer Inszenierung von Michael von zur Mühlen beispielsweise überlebte die Premiere um ganze acht Vorstellungen. Ein so trauriges Schicksal bleibt der Neuinszenierung von Michiel Dijkema garantiert erspart. Natürlich werden nicht nur die reiselustigen Wagnerpuristen ihre kritischen Anmerkungen herausbuhen. Auch die Musikkritiker bekommen für kleine Mäkeleien diverse Belege frei Haus serviert. Aber alles in allem hat Dijkema gewonnen. Als gelernter Bühnenbildner setzt er auf Optik, auf Überwältigung, auf die Kraft der großen Theatermaschinerie. Dabei wechselt er die Mittel. Wenn während der Ouvertüre technizistische Bilder produziert werden, die eine klare, reduzierte Ästhetik erwarten lassen, trumpft die Inszenierung im 3. Akt mit einem mächtigen Holländerschiff mit prächtigen blutroten Segeln auf. Anhaltender Szenenapplaus. Die Handykameras klicken. Romantik. Fluch und Zauber der Karibik.
Aber auch die „Versenkung“ des Holländers am Schluss und der „Sturz“ Sentas in den Freitod verlassen sich auf Theatermittel der alten, bewährten Art, die scheinbar ewig funktionieren. Auffällig ist andererseits, dass die Darsteller von der Regie allein gelassen wurden. Sie agieren folglich klischeehaft und vielfach untereinander beziehungslos.
Eine weitere Bemerkung: Total überflüssig fand ich anfangs, dass Dijkema Textpassagen aus Heinrich Heines „Memoiren des Herrn von Schnabelewopski“ auf großformatigen Hängern plakatiert. Über diese leicht frivole Lektüre war der junge Richard Wagner einst auf den Holländermythos gestoßen. Alles in allem fügt sich aber auch diese dick aufgetragene Inszenierungsidee ins positive Gesamtbild. Zu diesem haben sonderlich die Bühnentechnik und die Werkstätten, die Lichtführung von Michael Fischer, die Kostümbildnerin Julia Reindell und die Chefmaskenbildnerin Miriam Mendler-Benkendorf beigetragen.
Wir besuchten die zweite Vorstellung, die wir zu den Eindrücken von der Generalprobe in Beziehung setzen können. Erleben durften wir fast einhelligen Jubel. Langer Schlussapplaus des positiv und fröhlich gestimmtes Publikum im wohl ausverkauften Haus.
Das Gewandhausorchester spielte unter der Leitung von Christoph Gedschold viel differenzierter, quasi wie ausgeruht und ganz bei der Sache. Die Sänger erfuhren Begleitung.
Die großen Chorpartien des „Holländer“ wurden von den Damen und Herren des Leipziger Opernchores, vorbereitet von Thomas Eitler-de-Lint, glanzvoll als die großen Hits der Opernliteratur dargeboten, die sie sind. Ein My mehr Zurückhaltung, hätte die Delikatesse noch erhöhen können.
Im Sängerensemble gefiel der stimmlich seinen Anforderungen entsprechend schmelzende und aus sich heraus spielfreudige Sven Hjörleifsson als Steuermann (Premierenbesetzung Dan Karlström).
Die Amme Mary sang – ebenfalls stimmlich gediegen – Karin Lovelius. Sie trug eine Augenklappe und war, um darauf noch einmal zurück zu kommen, wie alle Personen in Kostüm und Ausstattung eine Versehrte. Die Gesellschaft in Dalands Norwegen: ein Gruselkabinett.
Von strahlender Erscheinung und plausiblem Auftreten erlebten wir den Erik von Ladislav Elgr. Seinem Tenor fehlte an diesem Abend die zur Figurenhaltung gehörende Überzeugungskraft. Randall Jakobsh gab den Daland gesanglich als handfesten Mann, stark auf seinen Vorteil bedacht. Seine Worte: „Mögst du, mein Kind…“ bekommen bei ihm etwas ungeheuer Forderndes. Dass sich seine Tochter Senta in solchem Klima leicht ihre deutlich vorhandene Macke eingefangen haben kann, schließt diese Inszenierung nicht aus.
Senta liebt und entscheidet sich sofort für den widergängerischen, fremden Seemann. Iain Paterson erfüllt mit reifem Wohlklang in Leipzig alle Wünsche an die Partie des Holländer. Der Holländer ist kein geheimnisvoller Ahasver, sondern ein bemitleidenswerter Mann. Schon zu lange trägt er ermüdet sein Schicksal, ohne große Hoffnung auf einen guten Ausgang seiner sich aller sieben Jahre wiederholenden Affäre.
Christiane Libor als Senta war unter den Darstellern das Erlebnis des Opernabends. Dalands verstörte Tochter ist vielleicht eine der bewegendsten von Wagners Frauen-Partien. Libor schenkte ihr große Überzeugungskraft. Nachdem sie stimmlich erst zurückhaltend und zaudernd wirkte, fand sie zu extrem kraftvoller Höhe und machte die Senta wie aus dem Nichts mit zu einer starken Frau.
Tiefere kulturelle Schichten deutet die Inszenierung des Theatermenschen Dijkema nur unaufdringlich an. Sie will durch Musik, Bilder und Sinnlichkeit erfreuen. So garantiert „Der fliegende Holländer“ an der Oper Leipzig einen ausgesprochen unterhaltsamem Theaterabend und bei differenzierter Betrachtung einen musikalischen Genuss.
Annotation:
„Der fliegende Holländer“, Romantische Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner; Oper und Gewandhausorchester Leipzig, Premiere 30. März 2019; Musikalische Leitung Generalmusikdirektor und Intendant Ulf Schirmer; besuchte 2. Vorstellung 22.April 2019, Musikalische Leitung Christoph Gedschold, veröffentlicht 23.April 2019
Was noch?
Weitere Vorstellungen: 12., 17., 30. Mai, 10. Juni, 10., 17. Oktober, 2., 24. November 2019
Credits und Besucherzahlen:
Fotos: © Oper Leipzig/Tom Schulze