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LEIPZIG: Interview mit einem, der auf dem Klo saß

LEIPZIG: Interview mit einem, der auf dem Klo saß

Weiteres Bücherdrama im Schauhaus – Diesmal: Anke Stelling: „Schäfchen im Trocknen“

A:        Das Schauspiel war ja ganz schnell mit dem Spielplanbeginn nach dem Lockdown. Und dann gleich mit einer Premiere. Toll.

B:        Kannste auch lesen. Wieder ein Buch, dass sie spielen.

A:        Ich denke, Theater zeigt die Dramatik.

B:        Dachte ich auch. Aber das Schauspiel Leipzig empfindet sich wohl als bessere Bibliothek. Bulgakow: Meister und Margarita. Grass: Die Rättin. Lukas Rietzschel: Mit der Faust in die Welt schlagen.

A:        Hat aber einen anderen Titel: Widerstand

B:        Aber es bleibt ein Roman. Und noch ein alter Russe, Nikolai Gogol: Tagebuch eines Wahnsinnigen.

A:        Während des Lockdowns liest man halt alte Bücher, hat man ja Zeit.

B:        Muss man die aber auch noch spielen?

A:        Wie haste denn in diesem Theaterroman gesessen nach so langer Zeit?

B:        Aufm Klo.

A:        Aufm Klo?

B:        Ja: Für dreißig Zuschauer haben die Klos hingestellt. Sitzt mer drauf. Ich rate dir: Klappe hoch, Lehnen gibt’s keine.

A:        Na das das passt doch zum Lesen. Macht mer doch aufm Klo. Da liegt alte Werbung, alte Journale, alte Fernsehprogramme und so. Wars denn ein altes Buch, wie das der Junge beim Plenzdorf da ehedem aufm Klo fand?

B:        Nee, Goethe wars nicht. Das war so was Hippes, von Prenzlberg, von jungen Müttern und Vätern, von gemeinsamen Bauen und Wohnen und Trinken und Ficken und Pullern.

A:        Klo passt da doch: Scheiße.

B:        Aber das Buch hat Preise gekriegt! Sogar den der Leipziger Buchmesse.

A:        Wer hats denn geschrieben?

B:        Na, die Frau, die da ihr Leben beschreibt: Anke Stelling. Die schreibt sogar wie se den Preis kriegt und nicht weiß, was sie anziehen soll: rote Strumpfhosen oder doch blaue Hose.

A:        Sowas kann sich zum Drama auswachsen.

B:        Nee, nicht wirklich. Die bumst nach der Verleihung wieder mit ihrem Mann. Stell dir vor, nach zehn Jahren!

A:        Literaturpreise machen halt schön, schlau und sexy.

B:        Die Frau aber nicht, die mobben sie mit vier Kindern aus ihrer Wohnung. Die muss nach Marzahn!

A:        Jesses! Ein Drama … und das zeigen die auf der Bühne?

B:        Naja, zeigen ist übertrieben. Die viere die die eine Frau spielen, laufen und laufen und laufen und laufen und sprechen den Text durcheinander, nur beim Tanzen sind se dann still.

A:        Gibt’s keinen Höhepunkt?

B:        Ja, gleich am Anfang. Da saugt’s den Vorhang in einen Gulli.

A:        Abwasser eben. Und das Bühnenbild auch unterirdisch?

B:        Ist so ne Guckkastenbühne von Christoph Ernst, schwarzweiß gestreift. Verschwimmt nach zehn Minuten vorm Auge. Kannste aber sowieso nicht immer hingucken, der Schaukasten geht schräg nach oben, und ich hab schon gesagt, das Klo hat keine Lehne. Kriegstes erst im Hals, dann im Kreuz.

A:        Aber die Schauspieler sind wenigstens gut?

B:        Naja, die laufen und laufen und laufen und laufen und sprechen den Text durcheinander, nur beim Tanzen sind se dann still. Und wenn de hinguckst ist Thomas Braungardt so kalkweiß wie sein Mantel. Bettina Schmidts Ballkleid trägt ihr an Gewicht zu. Der Anne Cathrin Buhtz sitzt der Schlüpper tief in der Ritze. Und Tilo Klügel hat dicke Eier.

A:        Woher willste das wissen?

B:        Der war wieder nackt. An den Regisseur*innen kann das nicht immer liegen, oder?

A:        Mann oder Frau?

B:        Frau. Thirza Bruncken.

A:        Gab’s Beifall?

B:        Der war frenetisch! Die haben sich noch und nöcher verbeugt und dann nochmal. Wollte gar nicht aufhören der Beifall.

A:        Na, dann war’s ja doch kein Stück fürs Klo.

B:        Der Applaus kam vom Band. Hast du dir denn je beim Lesen aufm Klo Beifall geklatscht?

A:        Nee, irgendwie peinlich.

B:        Eben.

A:        Was geben se denn im Schauhaus als nächstes?

B:        „Das Schloss“ von Franz Kafka.

A:        Wieder Drama aus einem Roman.

B:        Sag ich ja: Bücher sehen im Schauhaus.

A:        Kannste aber gleich in die Bibliothek gehen und gucken. Is billiger.

Das Interview führte Henner Kotte

ANNOTATION

„Schäfchen im Trockenen“ nach dem Roman von Anke Stelling; eine Produktion auf der Hinterbühne des Schauspielhauses Leipzig

Autorin: Anke Stelling; Regie: Thirza Bruncken; Bühne/Kostüme: Christoph Ernst; Tanz: Romy Avemarg; Dramaturgie: Marleen Ilg; Theaterpädagogische Betreuung: Amelie Gohla; Besetzung: Thomas Braungardt, Anne Cathrin Buhtz, Tilo Krügel, Bettina Schmidt

CREDITS

Besuchte Vorstellung Premiere 15.1.2022; veröffentlich 16.1.2022

Foto: Rolf Arnold

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