Ausstellung “DER OPTIMIERTE MENSCH”: Performance mit unliebsamen Denkanstößen.
Da kenne sich noch jemand aus. Erst wird die haptische Welt zunehmend unwichtig. Denn was wirklich zählt, ist doch das Twittern und Googeln auf Monitoren, Touchscreens und Displays. Aber bei der Vernissage zur in Kooperation mit dem Industriekultur Leipzig e. V. entstandenen Ausstellung „DER OPTIMIERTE MENSCH“ im Museum der bildenden Künste Leipzig passierte etwas anderes: Die Humanoiden kommen und wandeln unter den Besuchern. Der Fotograf Olaf Martens (geb. 1963) kreierte als Nebenprodukt im Untergeschoss des Leipziger Museums der bildenden Künste Leipzig eine Performance, die Fragen nach den Entwicklungen der nahen Zukunft stellt.
von Roland H Dippel
Wie kann es weitergehen? Für die Bewegungen der Performance-Akteurinnen gibt es noch kein mustergültiges Wort. Es ist kein Tanz und keine Pantomime. Verständliche Gesten sind weitgehend vermieden. Aber der Übergang zum Androiden oder Roboter ist noch nicht ganz geschafft. Die Kostüme sind sogar richtig schön, zum Beispiel ein Hosenanzug und ein lange geraffter Rock – auf diesem hängen Kugeln aus Illustrierten-Blättern. Ein Hinweis auf die im medial-elektronischen Zeitalter überflüssigen papiernen Wissensspeicher? Hell und hygienisch wirken die Stoffe, genauso wie die haarlosen Kopfmasken. Die rollenden und springenden Augen der Darstellerinnen sind das lebendigste an ihnen in den fast ganz vermummten Körpern. Wenn nicht durch Textilien, dann durch Silikonflächen und -korsagen über Gesichtern, Schultern, Brüste. Die Grenze zwischen Mensch und selbstregulierender Schaufensterpuppe schwindet.
Was hat das mit der von Industriekultur Leipzig e. V. forcierten und in der extrem knappen Zeit von einem Jahr realisierten Ausstellung zu tun, einem lokalen Beitrag zum „Sächsischen Jahr der Industriekultur 2020“? Der vierstufige Überblick 1.0 bis 4.0 beginnt im Zeitalter der Dampfmaschine, führt über das Zeitalter der Elektrizität zum Zeitalter der Automatisierung und endet (vorläufig) im Zeitalter der Digitalisierung: 39 Kunstwerke aus den Beständen des Museums und von privaten Leihgebern. Mehrere von ihnen offenbaren einen sehr spezifischen Blick aus dezidiert ostdeutscher Perspektive auf die seit Verbreitung des Internets mit explosiver Geschwindigkeit voranschreitende Entwicklung, die in vielen Gesellschaftsbereichen und Prozessen Irritationen zu Hürden türmt. Die Performance von Olaf Martens verdichtet, was sich in der ‚digitalen Phase‘ der von Barbara Röhner, Dietulf Sander und Heinrich Moritz Jähnig kuratierten Ausstellung Bahn bricht. Das physisch-psychische Menschenmaterial ist schon längst Teil der technokratischen Veränderungsmasse – genauso modellierbar oder sich freiwillig modellierend wie die Gerätschaften und verbliebenen Biosphären auf dem ergrauenden Planeten. Diesen sollte sich die Menschheit laut Genesis eigentlich untertan machen, jetzt aber wurde die Versklavung durch Selbstoptimierung schon längst vom Zukunfts- zum Gegenwartsszenarium. Ausstellungskonzepte wie „Bodysounds“ in der Kunsthalle Dominikanerkirche Osnabrück (2008), wo man den technisch und kosmetisch optimierten Körper zum Thema machte, oder „Painting 2.0: Malerei im Informationszeitalter“ im Münchner Museum Brandhorst (2015/16) stellten noch an sich selbst, an die Kunstwerke und Besucher fordernde Fragen. Doch in der Performance zur Vernissage von „Der optimierte Mensch“ gibt es keinen Diskurs und erst recht keine Gewissheit. Nicht einmal das alle Phänomene der (Selbst-)Optimierung umfassende Wort „Enhancement“ (Erweiterung, Ausdehnung, Verbesserung) fand dort auch nur ein einziges Mal Verwendung.
Olaf Martens‘ Fotowelten strotzen von synthetisch dargebotenen Körperlichkeiten und Materialien. „Mein Stolz ist ja, dass die Männermagazine bei mir immer noch nicht Schlange stehen, obwohl ich von den gängigen Versatzstücken: Brüste, Pos, lange Beine usw. einiges biete. Die Medien haben ein untrügliches Gespür dafür, wo sie – und sei es durch leichte Abweichungen oder selbstironische Reflexionen – nicht mehr bedient werden.“ sagte der Künstler in einem Interview. Man könnte seine Motive auch als virtuelles Gipfeltreffen zwischen Tomi Ungerer, Herlinde Koelbl und Claes Oldenburg bezeichnen – also aus kalter Porn-Fiction, fragender Gesellschaftlichkeit und Konsumgüter-Persiflage. Oft entspringt eine derart eisige und abgebrühte Kälte entpersönlichten Motiven, die im Kunstwerk ihren Nimbus oder in der Recycling zum Kult stilisierenden Wegwerfgesellschaft verloren haben.
Das Infame dabei: Ursprung von Martens‘ Idee war ein humanistisch gedachtes Projekt aus dem Jahr 2016. Über Aktionen zum Leibniz-Jahr, für die er ähnliche Materialien wie zur Performance der Vernissage ausgewählt hatte, näherte sich der Fotograf dem „optimierten Menschen“. So täuschend wurden die einzelnen Fotos für ein künstlerisch gestaltetes Video gereiht, dass sie wie Filmaufnahmen wirkten: Eine Devotion mit sachlichen, dekonstruierenden Mitteln für den Ansatz des Humanisten Leibniz. Auch jetzt durchstreifen die Performance-Akteurinnen die Ausstellung wie Zwitter aus technischen und anatomischen Monaden. Produkte und Materialien wie Krücken oder Fahrzeuge sind nicht länger Hilfsmittel, sondern selbst-konstituierend wie eine zweite Haut ohne Feuchtigkeit. Immer wieder blicken die Figuren mit von Emotionen befreiter Lebendigkeit auf die Exponate, die neben ihrer thematischen Aussage auch von einer komplizierten bis kämpferischen Auseinandersetzung mit Materialien, Konstruktion und Präsentation zeugen. Für die Performance-Figuren ist das allerdings irrelevant. Sie baden in der Menge und ziehen durch diese ihre unregelmäßigen Bahnen. „Der optimierte Mensch“ als Ausstellungsraum und Artefakt wird zur Schnittstelle zwischen Industriekultur, Enhancement und der totalen Funktionalisierung. Schöne Neue Welt!
Annotation:
Ausstellung „Der optimierte Mensch“ bis 01.03.2020 – Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstraße 10, 04109 Leipzig, T +49 341 21 69 90, mdbk@leipzig.de – Öffnungszeiten: Di, Do bis So 10-18 Uhr, Mi 12-20 Uhr, Feiertage 10-18 Uhr – Tickets: 10€/ermäßigt 5€ und Sonderpreise
Rahmenprogramme, Kuratorenführungen, Informationen u. a.: http://deroptimiertemensch.de/
Was noch?
Die Künstlerinnen wurden eingekleidet von rosentreter modedesign Leipzig.
Performance am 11.12.2019; veröffentlicht am 13.12.2019
Credits:
Fotos: © moritzpress