Der an der Oper Leipzig erlebte Premierenabend mit einem Doppel aus Bela Bartóks „Herzogs Blaubarts Burg“ (1918) in Kombination mit „Pagliacci“ (bekannter als „Der Bajazzo“) von Ruggero Leoncavallo (1892) war ein mit Applaus bedachtes großes Erlebnis, das sich rumsprechen und einen anhaltenden Erfolg werden wird.
Von Moritz Jähnig
Es fällt schwer zu entscheiden, ob für den Spielplan nun Bartók mit Leoncavallo ergänzt wurde oder andersherum. 2015 erlebte Leipzig die unglückliche Paarung „Bajazzo“ mit vorangestelltem „Gespenst von Canterville“. 1992 paarte die Intendanz Udo Zimmermanns „Herzog Blaubart“ mit der Arnold Schönbergs „Erwartung“. Das bescherte einen künstlerisch unvergesslich delikaten Abend, der in der Folge freilich nicht die erwünschte Publikumsresonanz fand.
Diese Befürchtung braucht die nunmehrige Kombination nicht haben. Der mitentscheidende Grund für den erlebten großen Erfolg der Premiere liegt beim Gewandhausorchester unter dem sehr einfühlsamen Dirigat des Magdeburgers Christoph Gedschold. Er wird beiden Komponisten gerecht und hat, das fällt auf, einen zauberhaft leisen Draht zu den Sängern auf der Bühne, über den er Gefühlsanstöße präzise zu vermitteln weis und die Künstler seine kleinen Tempi-Hinweise annehmen.
Im ersten Teil des Abends schwelgt das Orchester in den spätromantischen Klangteppichen und schnellt bei Bartóks auch aggressiven Tonballungen daraus wieder geradezu hoch. Nuanciert werden die musikalisch feinen Ziselierungen der großen Partitur herausgehoben. Ganz anders dann werden Orchester und Dirigent dem „Pagliacci. Der Bajazzo“ und dessen oft gehörten Melodien gerecht. Gedschold lässt kein Versinken in den süßen Wogen der eigenen Klangseligkeit zu und bleibt doch – italienisch.
Inszenatorisch und bühnenästhetisch bekommt der Zuschauer auf anregende Weise zwei unterschiedliche Angebote. „Herzog Blaubarts Burg“ wird vom Leipziger Multitalent Philipp J. Neumann auf die Bühne gebracht. Er erzählt kein Märchen, sondern wickelt ohne viel Schnickschnack eine Frau-Mann-Beziehung ab. Damit konzentriert er sich auf den psychologischen Aspekt des Melodrams. Im Entstehungsjahr der Oper war Sigmund Freud 62 und lehrte in Wien.
Der junge Regisseur bemüht ansatzweise Symbolik und verrätselt. Ob wir uns die Blaubart-Burg auf bemoosten irischen Hügeln vorzustellen haben, ob sieben Ventilatoren nötig sind und ob gar die Trommelwaschmaschinen aus Muttis Aufrütteltheater der 70er her müssen, diskutiere ich nicht. Der Regisseur arbeitet erfolgreicher mit dem Licht und mit den beiden Darstellern. Nach der Düsternis des Anfangs erhellen Judiths Schritte mehr und mehr die Burg, bis letztlich alles wieder zurück in die Düsternis kippt. Es ist vor allem die Judith von Karin Lovelius, die kämpft und sich verausgabt und das beste für ihre Liebe erringen will. Emotion pur. Die Expressivität der an Debussy angelehnten Komposition Bartóks in seiner einzigen Oper wird bei Lovelius aber auch bei Tuomas Pursio in der Titelpartie körperliches Ereignis. In das Spiel führt ein Sprecher mit einem Prolog ein, den Máté Gál gib. Auch die Prologe verklammern die beiden Opernwerke. Das zweite ist nicht minder gelungenen von Antony Pilavachi inszeniert, den eine stimmig-schönen Ausstattung von Tatjana Ivschina unterstützt.
Optisch sind ihre Genrebilder das Kontrastprogramm zu den vagen Hügeln im „Herzog Blaubart“. Beim Pilavachi regnet und kracht es. Auf der Szene wird viel und gern gelacht und geneckt. Der Opernchor Leipzig läuft bei diesen Spielereien zur komödiantischen Höchstform auf. Das von lauernder Tragik begleitete Spiel der Komödianten wird vom fröhlich agierenden Kinderchor umwirbelt. Spätestens an dieser Stelle müssen die auch im zweiten Teil überdurchschnittlichen Sängerleistungen Erwähnung finden. Luca Grassi strahlt da heraus! Sein Tonio serviert die Töne geradezu als Delikatesse. Langsam arbeitet er auf die baritonalen Spitzentöne hin, die er dann nicht nur antippt, sondern eben mit Vollklang erreicht. Er lässt den Ton breit auf den Endpunkt zufließen, wo er steht und bewundert werden darf.
Der ernste, zurückhaltende Canio von Zoran Todorovich ist das zweite Geschenk auf der stimmlichen Habenseite der Leipziger Inszenierung. Er führt einen schönen Tenor. Ein Gesang ohne Selbverliebtheit. Er zaubert die Höhen ohne demonstrativen tenoralen Kraftaufwand herbei. Diese gesteuerte Zurückgenommenheit, das sei noch einmal gesagt, ist das Besondere des Premierenabends.
Eun Yee You fügt mit der Nedda ihrem Leipziger Partienkanon eine weitere unvergesslich bleibende Facette hinzu. In großer und guter stimmlicher Verfassung und beide sehr spielastisch in ihrem Auftritt sind Alik Abdukayumov als Silvio und Dan Karlström als Peppe zu erleben.
„Herzogs Blaubarts Burg“ und „Pagliacci“ – ein Opernabend, der Vibrationen auslöst.
ANNOTATION
„Herzog Blaubarts Burg“, Oper von Bela Bartók. Oper Leipzig. Premiere 7.April 2018. Gewandhausorchester Leipzig, Musikalische Leitung Christoph Gedschold, Inszenierung, Bühne: Philipp J. Neumann, Kostüme Karoline Schreiber. Sprecher: Máte Gál, Herzog Blaubart: Tuomas Pursio, Judith: Karin Levelius.
„Pagliacci Der Bajazzo“, Drama von Ruggero Leoncavallo. Oper Leipzig. Premiere 7.April 2018. Gewandhausorchester Leipzig, Musikalische Leitung Christoph Gedschold, Inszenierung: Anthony Pilavachi, Bühne, Kostüme Tatjana Ivschina, Choreinstudierung: Thomas Eitler-de Lint, Kinderchor: Sophie Bauer, Nedda: Eun Yeo You, Silvio: Alik Abdukayumov, Canio: Zoran Todorovich, Toni: Luca Grassi, Peppe: Dan Karlström, Ein Bauer: Andreas David, Ein anderer Bauer: Máte Gál, Braut/Famme Fatale: Luise Krause, Bräutigam: Andreas Hanke.
Fotos: © Oper Leipzig/Tom Schulze