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Halle: Tristan, Isolde und die Bilderwand

Halle: Tristan, Isolde und die Bilderwand

Überzeugende Übernahme aus Hagen bald nicht mehr im Spielplan.

Nur noch einmal ist nach jetzigem Stand die „Tristan und Isolde“-Inszenierung von Jochen Biganzoli in der Oper Halle zu bewundern sein. Sie folgt nach 18 Jahren auf eine Aufführung voll bemühter Originalität, die der von uns hochverehrte René Kollo dem Publikum der Saalestadt schenkte. Die Sicht von Biganzoli und Kollegen ist nicht originell, sondern auf besondere Weise zeitgetreu. Sie schildert eine sehr, sehr traurige Liebe in ungetreuer Zeit.

Von Moritz Jähnig

Ausstatter Wolfgang Gutjahr hat fünf rätselhafte Bühnenkästen wabenartig vorn an der Rampe aufgetürmt. Fünf separate Bilder. Sie stehen wie eine Ikonostase vor dem Allerheiligsten. Tristan sitzt oben links, Isolde unten rechts. Über ihr das Gemach König Markes voll von 60er-Jahre Mief. Kurwenal, mit einer Flecktarnhose bekleidet, pappt Zeitungsausschnitte und Fotos seines Idols Tristan an schäbige Tunnelwände. Brangänes Kammer ist ein unterkühltes Labor mit Badewanne und Einbauschrank. Hier mixt die Kundige obsessiv ihre Tränke.

Zwischen seinen Ikonenkästen hat Gutjahr eine Schluppe für die Auftritte von Seemann, Steuermann und Hirt gelassen, durch die der Zuschauer auf das Allerheiligste blicken kann: Das Orchester. Es sitzt hinten im Bühnenraum verteilt. Sein Dirigent Michael Wendeberg wird zu den Vorspielen per Video großflächig auf die Bildwand projiziert. Das ist, nebenbei gesagt, wirklich sehr eindrucksvoll.

Die Staatskapelle folgt ihrem Dirigenten sensibel und spielt voller Leidenschaft. Überzeugen kann die Positionierung der Musiker hinter den Sängern und hinter der Bilderwand nicht. Zumindest sind das hintergründige Klangbild, der Chor nicht live und Blecht im Rangfoyer eine Herausforderung.

Alle, Tristan, Isolde, Marke, Brangäne, Kurwenal, stecken als Gefangene in ihren Sphären. Alle sind sich nah, bilden ein Ganzes und doch gelangen sie nicht zueinander. Vereinigung, ob in Liebe oder Hass, ist in der Welt der Bilder und Zeichen ausgeschlossen. Der Mensch bleibt mit den unterschiedlichen Graden seiner Verzweiflung oder Sehnsucht allein.

Sängerisch war der erlebte Repertoireabend ein absoluter Glücksfall. Gerd Vogel ein starker, fordernder Kurwenal. Der Blick hängt an Marlene Lichtenbergs intensiven Spiel. Stimmlich adelt sie die Brangäne. Ki-Hyun Park ist ein eindrucksvoller König Marke.

Auch die sogenannten kleinen Partien, Melot, Hirte, Seemann und Steuermann sind mit Daniel Blumenschein, Robert Sellier, Andrii Chakov in Halle ausgeglichen und überzeugend besetzt.

Das schönste aber zum Schluss. Das große Liebespaar Tristan und Isolde, Heiko Börner und Magdalena Anna Hofmann, singt und strahlt wie schon von aller Last befreit. Ihre beiden Stimmen umschlingen sich akustisch. Im sich ergänzenden Schönklang gelingt emotional überzeugend die Überwindung der Grenzen, die die Bilderkästenwelt setzt. Ihre Bereiche sind unterschiedlich. Tristan in eitles Weiß gekleidet post vor dem eigenen Groß-Foto an der Wand. Er liebt eine Frau, die mit ihrem alten IKEA-Ledersessel in einem düsteren Raum feststeckt und Verse an die Wand schreibt oder mit Kreise die Umrisse von sich und Tristan zeichnet.

ANNOTATION

“Tristan und Isolde”. Handlung in drei Aufzügen von Richard Wagner
Bühnen Halle (Übernahme einer Produktion des Theaters Hagen).Musikalische Leitung: Michael Wendeberg, Regie: Jochen Biganzoli, Bühnenbild nach Wolf Gutjahr, Kostüme: Katharina Weissenborn, Video: Iwo Kurze, Choreinstudierung: Johannes Köhler, Dramaturgie: Francis Hüsers: Carlo Mertens 

Besetzung: Tristan Heiko Börner, Isolde Magdalena Anna Hofmann, König Marke Ki-Hyun Park, Brangäne Marlene Lichtenberg, Kurwenal Gerd Vogel, Melot Daniel Blumenschein, Ein Steuermann Andrii Chakov, Ein Hirt, Stimme eines jungen Seemanns Robert Sellier

Herrenchor der Oper Halle, Staatskapelle Halle

CREDITS

Premiere 06.01.2022, besuchte Vorstellung 27.02.2022, veröffentlicht 22.03.2022

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig

Bildquelle: © Bühnen Halle, Fotos: Falk Wenzel

Letzte Vorstellung: 18.04.2022

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