Operettennovität „Redoute in Reuß“ reüssiert
Wahrlich! Es gibt Momente, da wünschte sich jeder in die Postkutschenzeit zurück beamen zu können. Zum Beispiel wenn man am Ostermontagabend nach einem beschwingten Operettenbesuch im RegionalExpress Saalfeld – Gera – Leipzig stehend heimwärts tuckelt. Und die Verspätung wird länger und länger und länger und länger. Alles auf der Bühne erscheint da lustiger gewesen zu sein. Wenn man sich kaum festhalten und nur seine Nase in das echt kluge Geraer Programmheft stecken kann, bekommt der Satz von der Operette als Realitätsflucht unerwartet Sinn im eigenen Leben…
Von Moritz Jähnig
Die auf dem Spielplan des Geraer Theaters stehende Pasticcio-Operette „Redoute in Reuß“ ist eine verflixt gut gemachte Sache. Pasticcio als künstlerische Produktionstechnik bedeutet, bereits existente Musikstücke, die natürlich möglichst erfolgreich sein sollten, werden gewieft untertextet und neu zusammengesetzt. Fertig ist der Erfolg.
Applaus für die Schöpfer und Akteure
„Redoute in Reuß“ recycelt in diesem Sinne Johann Strauß Sohn und lehnt sich dabei auch dramaturgisch an so große Erfolge wie „Fledermaus“ an. Blaupause ist die Johann-Strauss-Operette „Wiener Blut“, ebenfalls uraufgeführt erst nach dem Tode des Meisters.
Im Falle unserer Novität stammt die Idee von der am Hause beschäftigten Dramaturgin Sophie Jira. Sie stammt aus Wien und bringt eine starke Operettenaffinität mit. Nach verschiedenen beruflichen Stationen in Thüringen angekommen, bemerkte sie die auch witzigen Seiten der hier beheimateten Dynastien. Nicht wenige Operetten sind in Zwergstaaten verortet und spielen mit dem schrulligen Material von Hofschranzen, nativen Naturburschen, neunmalklugen Fräuleins oder alten Haudegen.
Um den Witz der Reußen aufs Tapet zu heben, verschwor sich das Wiener Mädel, das nicht nur ihren Strauss kennt, mit einem versierten Komponisten warb erfolgreich um das Wohlwollen des Kapellmeisters und gewann den Segen des Intendanten. Der Komponist Olaf Kröger schuf Übergänge und Zwischenspiele und formte alles in Strauss‘scher Manier. Der Kapellmeister Thomas Wicklein sorgte mit dem Philharmonischen Orchester stilsicher für hier angemessen Schwung. Der Intendant Kay Kuntze öffnete den großen Werkzeugkasten der Operettenregie und setzte die leicht verständliche, aber unbegreifliche Handlung flott in Szene. Martin Fischer entwarf dafür eine leichte und passende Ausstattung. Fertig ist eine Uraufführung.
Daran ist gar nichts verwerflich. Das Publikum im ausverkauften Haus ging nicht nur mit, sondern war den zu erwartenden Gags oft schon lachend voraus. Man amüsierte sich. Gesang und Spiel verdienten den erlebten Beifall. Die mediale Resonanz ist überregional und wohlwollend positiv.
Wer aus dem bis jetzt Gesagten eine gewisse Reserviertheit gegenüber dem Reuss-Projekt herausliest, liegt richtig. Wenn die Operettenmacher nur Bekanntes miteinander verbinden, kommt nur das Erwartbare heraus.
Erfolgreich durch Zeitkritik
Operette ist in ihrer langen und schillernden Geschichte immer dann ganz eins mit sich selbst ist, wenn sich ihr Spott auf die Schwächen behaftete Gegenwart ergießt. Ihr Aufblühen ist damit ein Indikator für die gesellschaftlichen Verhältnisse. Man sagt: je schwerer die Zeiten, desto leichter die Muse.
2023 gab es auf deutschen Bühnen verschiedentlich Operetten-Uraufführungen, vom Typ sehr unterschiedlich. Zum Beispiel am stets mutigen Theater Neustrelitz oder im benachbarten Annaberg-Buchholz. Dort vergoss Komponist Daniel Behls in seiner Neuschöpfung „Hopfen und Malz“ krügeweise Musik, die von humorvollen Zitaten schäumende Musik überschäumt. In seinem Stück geht es um Konkurrenz unter Bierbrauern.
In Wien verulkte Moritz Eggert mit einer „Mythen-Operetten“-Uraufführung an der Volksoper mutig und respektlos ein gefährliches Zeitproblem. Seine „Die letzte Verschwörung“ zieht die Anhänger von Verschwörungstheorien satirisch ins Lächerliche.
Operette sich wer kann
In Berlin probt außerhalb des institutionellen Theaters das „Kollektiv für zeitgenössische Oper*ette tutti d*amore“ am konsequentesten den mit Uraufführungen den Operettenaufstand. Das Format an sich wandert an neue Aufführungsorte. Für seine Auseinandersetzung mit dem Matriarchat in „Magna Mater“ stellte tutti d*amore 2022 „Die schöne Galathée“ von Franz von Suppé in einem Zirkuszelt nähe Berlin, Greifswalder Straße auf den Kopf. Die Macherinnen und Macher wollen etwas bewegen und Theater für alle.
Will sagen: Operette kann noch immer weit mehr als harmlos sein.
Annotation
„Redoute in Reuß“. Operette in drei Akten; Libretto von Sophie Jira; Musik von Olav Kröger nach Motiven von Johann Strauß II. Uraufführung am Theater Altenburg/Gera. Musikalische Leitung Thomas Wicklein, Inszenierung Kay Kuntze, Bühne Martin Fischer, Kostüme Martin Fischer, Andrea Eisensee, Tanz Ingo Ronneberger, Choreinstudierung Dr. Alexandros Diamantis, Dramaturgie Sophie Jira, Philharmonisches Orchester Altenburg Gera, Opernchor & Kinder- und Jugendchor des Theaters Altenburg Gera, Thüringer Staatsballett
Besetzung
Prinz Heinrich XIX. von Reuß-Greiz Johannes Pietzonka, Graf von Herzmansthal Johannes Beck, Gabriele von Herzmansthal Anne Preuß, Balduin Graf Zedlau Alexander Voigt, Emmerich Horch von Guckendorf Johannes Emmrich, Prinzessin Adelheid von Reuß-Schleiz Julia Gromball, Fürst Heinrich XLII. von Reuß-Schleiz Kai Wefer, Fürst Heinrich LI. von Reuß-Ebersdorf Alejandro Lárraga Schleske, Prinz Heinrich LXXII. von Reuß-Ebersdorf Jannis Hähle, Fürst Heinrich LIV. von Reuß-Lobenstein Heiko Retzlaff, Graf Heinrich XXXVIII. von Reuß-Köstritz Roman Koshmanov, Graf Heinrich LXIII. von Reuß-Köstritz Raoni Hybner de Barros, Fürst Heinrich XIII. von Reuß-Greiz Andreas Veit, Mona Lopez Giacomo Ruben Repetti / Matteo Castellaro
Premiere / Uraufführung 9.2.2024; besuchte Vorstellung 1.4.2024; veröffentlicht 3.4.2024
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig
Foto: (9) © Ronny Ristok, (1) Autor