Home | Theater/Musik | „OHNE TITEL NR. 1“- Gastspiel der Volksbühne in Leipzig – Oper von Herbert Fritsch
„OHNE TITEL NR. 1“- Gastspiel der Volksbühne in Leipzig – Oper von Herbert Fritsch
Foto ©Thomas Aurin

„OHNE TITEL NR. 1“- Gastspiel der Volksbühne in Leipzig – Oper von Herbert Fritsch

„OHNE TITEL NR. 1“
– oder das Gebabbele Babels –

An zwei Abenden im April 2015 kam die Inszenierung von Herbert Fritsch und dem Ensemble der Berliner Volksbühne im Leipziger Schauspielhaus zur Aufführung.

Transgressionen vollziehen sich und eine semantische Unverbindlichkeit steht im Zentrum von Herbert Fritschs ersten Oper. Es ist die Metapher für die Sprachlosigkeit der Kunst und der Sinnentleerung bis hin zum irdischen Jahrmarkt. Lass die Puppen tanzen oder die 1001 Arten der Lächerlichkeit. Die Bühnenwände werden mit der Projektion übergroßer Bretter, die die Welt bedeuten, tapeziert. Der Auftakt, die Ouvertüre – bereits eine Vorahnung auf all das was wir nicht erwarten.

Das Orchester im Graben, der Dirigent in Rituale geflochten und mit der dem Kunst- und Kulturbetrieb innewohnenden kindischen Quengelei und Eifersüchtelei geht es los. Die Figuren sind pittoresk und quietschig amerikanisch, mehr oder weniger festsitzende Frisuren aus bemaltem Gummi und schrille Kostüme nach den Entwürfen von Victoria Behr. Da ist dieses Sofa auf der Bühne, welches für den Zuschauer steht, es steht für den, der konsumiert, ganz individuell, und das in Serie. Die Figuren sind zu klein für das Möbel, rutschen ab an der überhöhten Herausforderung. Ein symbolisches Pendant steht in Taucha bei Leipzig. Eine Parkbank mit der Inschrift „Liberté, Égalité, Fraternité“. Diese wurde vom Leipziger Künstler Philipp Fritzsche entworfen und auch er nutzte die Möglichkeit, über die genormte Dimension des Möbels hinauszugehen, um damit unsere Unreife für unsere eigenen erhabenen Ziele abzubilden. Wir sind zu klein für das, was wir erschaffen, auch in der Kunst.

In einer filmischen Manier jagt eine „slapstick comedy“-Nummer die andere. Da kamen die Monroe und die Königin der Nacht aufreizend, kitschig und amerikanisch schrill, der Clown, der dumme August, der dilettierende, der Nummern der ArtistInnen und ZauberkünstlerInnen imitiert. Es kamen die menschelnden Benefiz-Auftritte der großen Stars dieser Welt, es gab auch die die den Kontext zur zeitgenössischen Kunst erfindenden KuratorInnen und KunsthistorikerInnen, deren Renommee wichtiger als das der KünstlerInnen ist.

Fritsch arbeitet lautmalerisch und greift in die Geräuschekiste der Welt der Trickfilme. Die Situationskomik basiert auf den Klassikern des Stummfilms und des Zirkus. Assoziationen werden von Freaks wie dem Zauberer, der amerikanisierten Popartfigur der Opernsängerin mit Monroetuch und artistischen Sprungeinlagen szenisch angereichert.

Die Musik von Ingo Günther und Herbert Fritsch ist das alles verbindende Element. Auch hier Zitate oder Assoziationen aus dem kollektiven Gedächtnis, die Gitarre von Hendrix, das Schlagzeugsolo von was weiß ich wem, Nestroys Tannhäuser, Chaplins Filmmusik usw.

Die Schlussszene reduziert all diesen bis dahin gezeigten, schnelllebigen Klamauk der vermeintlichen Vielseitigkeit der Kunst auf das fade unifarbene Bild der Anpassung und Gleichschaltung. Die abgerufenen großen Stars aus unserer medial geprägten Erinnerungskiste, ob sie welche waren oder zu diesen gemacht worden sind, werden auf der Bühne aufgefädelt, abgespielt und wie Marionetten zu szenischen Instrumenten. Der Zirkusforscher Paul Boissac sprach in einem ähnlichen Zusammenhang von einem „metakulturellen Code“.

Das Stück lässt die Figuren in ihrer Anonymität, es sind Rollen, die anders als im klassischen Theater wie im Zirkus Aufgaben haben, performativ agieren und die Register Artistik, Slapstick und Clownerie ziehen und dennoch unerkannt bleiben. Die Welt der Töne von Ingo Günther und Fritsch reichten von vermeintlichen Zitaten aus großen Werken bis zur Geräuschewelt der Trickfilme. Die Sprache arbeitet mit dem Unverständlichen, ähnlich wie im Trickfilm wird mit der Heliumgasstimme der Rezipient zum Lachen gebracht. Vergleiche mit dem Lachsackphänomen drängen sich auf und sind gewollt.

Die Inszenierung ist ein wunderbarer, über das, was man erwartet, hinauswachsender Zirkus mit den entsprechenden Erlebnisqualitäten.

 Text: Petra Kießling

Annotation

Mit: Florian Anderer, Matthias Buss, Nora Buzalka, Werner Eng, Patrick Güldenberg, Jonas Hien, Wolfram Koch, Inka Löwendorf, Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Axel Wandtke, Hubert Wild, Ingo Günther, Fabrizio Tentoni und Michael Rowalska

Regie: Herbert Fritsch

Bühne: Herbert Fritsch

Kostüme: Victoria Behr

Licht: Torsten König

Musik: Ingo Günther, Herbert Fritsch

Ton: Klaus Dobbrick

Video: Konstantin Hapke

Dramaturgie: Sabrina Zwach

Scroll To Top