Ein großer Theaterabend mit Georges Bizet „Carmen“
Auf solche konnte das Mittelsächsische Theater Freiberg/Döbeln bei seinen jüngsten „Carmen“-Premieren setzen. Da bremst eine stimmliche Beeinträchtigung den geplanten Tenor für den Don Jose (Frank Unger) aus, so dass er „nur“ spielen kann. Doch schon steht ein sich entwickelnder junger Tenor (Inkyo Park) bereit, der aus der Gasse für die nötigen Töne sorgt. Der Morales (Gregor Roskwitalski) ist ebenfalls beeinträchtigt, doch das meistert der geniale Charakterbass Frank Blees neben seiner Partie des Zuniga gleich mit. Und es ist in der Titelpartie mit Kirsten Scott eine in jeder Hinsicht faszinierende Carmen erlebbar. Und das alles an einem scheinbar kleinem Theater. Garantie für einen ausgiebigen Premieren- wie weiteren Jubel.
von Frieder Krause
Frank Unger ist eine baldige Genesung zu wünschen. Wer sich an seine Annaberger Zeiten erinnert, wird dem Freiberg/Döbelner Publikum dieses Klangerlebnis jetzt und in der kommenden Spielzeit wünschen. Inkyo Park steigerte sich im Laufe der Vorstellung zum nötigen tenoralen Glanz im Schlussbild des dritten Aktes, der das Wunder schuf, dass durch Ungers immense Gestaltungskraft eine unerwartete Synchronität beider Akteure entstand.
Kirsten Scotts Mezzo bringt mit seiner Skala von Folklore bis Dramatik alles für die Glaubhaftigkeit der wild hin- und hergerissenen Titelpartie mit. Dazu ihre Gestaltungskraft in Bewegung sowie die ihr eigene Figürlichkeit. Mit Lindsay Funchal als Micaela wartet die Inszenierung mit einer starken zweiten Frauenrolle auf. Ihr klangschöner Sopran berührt beim Erzählen der eigenen Liebe und dem Berichten von Don Joses Mutter.
Beomseok Choi verleiht mit Stimmgewalt, Beweglichkeit und Figürlichkeit dem Escamillo ail das, was diese Partie benötigt. Das tut auch das Schmugglerquartett mit Marina Medvedeva, Heain Youn, Angus Simmons und Juhyuk Kim, wobei Heain Youn hervorsticht.
Dass es neben den genannten Hauptrollen noch viele, viele Rollen gibt, ist Regisseurin Judica Semler zu verdanken. Sie haucht Jaromir Sedlmajer als Lillas Pastia und jedem Akteur in Chor, erweitertem MiT-Chor, Extraballett, der Freiberger Domkurrende mit Moritz Winkler als kleinem Don Jose und Astrid Fehse als kleine Micaela soviel an Beweglichkeit und charakterlichen Feinheiten ein, dass das reine Beobachten Freude bereitet.
Natürlich hat sie in Choreograph Rodrigo Opazo Castro und Chorleiter Pawel Serafin beste Mitstreiter. Überhaupt hat man bei der Klangfülle des Chores von Anfang an den Eindruck, man sitze in einem großen Opernhaus.
Mit dem sich verwandelnden Spint des Sergeanten Don Jose und der als Taube fliegenden Carmen steuert Semler zwei bemerkenswerte Regieeinfälle bei. Beide stehen für das Unstete der Hauptakteure. Bravo!
Was wäre das alles aber ohne die fesselnden spanischen Klänge des Franzosen Georges Bizet. Sie sind bei der Mittelsächsischen Philharmonie unter Jose Luis Gutierrez in den besten Händen.
Annotation
„Carmen“, Oper in drei Akten von Henri Meilhac und Ludovic Halevy nach der Novelle von Prosper Merimee; Deutsche Übersetzung der Originalfassung von Walter Felsenstein. Musikalische Leitung: Jose Luis Gutierrez, Regie: Judica Semler, Ausstattung: Ulv Jakobsen, Choreografie: Rodrigo Opazo Castro, Choreinstudierung: Pawel Serafin
Besetzung
Carmen: Kirsten Scott, Don Jose: Frank Unger/Inkyu Park, Micaela: Lindsay Funchal, Escamillo: Beomseok Choi, Zunica: Frank Blees, Morales: Gregor Roskwitalski/Frank Blees, Frasquita: Marina Medvedeva, Mercedes: Heain Youn, Dancairo: Angus Simmons, Remendado: Juhyuk Kim, Lillas Pastia: Jaromir Sedlmajer, Erweiterter MiT-Chor, Extraballett, Mittelsächsische Philharmonie, Freiberger Domkurrende, Kleiner Jose: Moritz Winkler, Kleine Micaela: Astrid Fehse
Premiere Freiberg und besuchte Vorstellung 11.5.2024; veröffentlicht 13.5.2024
Credits
Text: Frieder Krause, freier Theaterkritiker, Altenburg
Foto: © Detlev Müller