Zeichnung und Objekt von Ricarda Hoop und Johanna Kintner
Die Arbeiten der beiden Künstlerinnen Johanna Kintner und Ricarda Hoop eint ihr Interesse an topografischen Fragestellungen, seien es konkrete Raumbezüge oder imaginäre Orte, Abgrenzungen und Übergänge. So verwundert es kaum, dass ihre gemeinsame Ausstellung in der Aula der Alten Handelsschule den Titel „Enclosure“ trägt, welcher sämtliche Bezüge zu umgrenzt definierten Gebieten aufweist.
Von Dr. Barbara Röhner
Dennoch erscheint mit Blick auf die ausgestellten Werke auch der Begriff „hortus conclusus“ eine unterschwellige Bedeutung zu haben, welcher aus der Mariensymbolik der bindenden Künste des Spätmittelalters stammt.
Der Topos des „Hortus conclusus“ steht in der Bedeutung von „verschlossener Garten“ als Gleichnisbild für die Unberührtheit Mariens, in dem zahlreiche Pflanzen ihre Tugendhaftigkeit symbolisieren. In diesem Garten als Ort der Verschlossenheit und Abgeschiedenheit treten zuweilen auch mystische Wesen wie Einhörner in Erscheinung.
Am ehesten mag man solch einen Garten in Ricarda Hoops großformatigen Zeichnungen vermuten. Blumen, Tiere und sogar Fabelwesen bevölkern ihre Bilder, von Maria aber keine Spur. Menschen sucht man in Hoops Zeichnungen ohnehin vergebens.
Vielmehr könnte ein raumhohes schattenrissartiges Objekt Johanna Kintners auf ein menschliches Wesen verweisen, denn von der Decke hängen zwei überlängte Beine. Schaut man sich die Füße aber genauer an, kommen dann doch Zweifel auf, ob hier wirklich auf einen Menschen oder eher auf eine uns unbekannte Spezies verwiesen wird – ein gigantisches Wesen, dessen Beine sich allein über fünf Meter Deckenhöhe der Aula erstrecken und welches in gedanklicher Vervollkommnung über den Dachbereich hinausschauen würde. Was für ein Wesen das aber sein könnte, bleibt völlig offen.
Bei allen Objekten, Zeichnungen und deren Konstellationen im Raum gibt es nur Andeutungen und Verweise auf etwas, das sich innerhalb und außerhalb des Raumes befindet. Damit werden sowohl physische als auch psychische Räume gebildet – real abgegrenzt hier in der Aula und als Denkgebäude in unserem Kopf.
Beide Künstlerinnen setzen somit auf die Imagination des Betrachters, einer Fähigkeit, Andeutungen, Spuren und Symbole zu deuten und individuelle Phantasiewelten aufzubauen. Ganz offensichtlich bei eben genannten Gliedmaßen, aber vor allem auch bei den Zeichnungen Ricarda Hoops.
Hier greift die Künstlerin auf eine in der zeitgenössischen Kunstszene bislang vernachlässigte Tradition der Bildtapeten zurück. Diese zieren schon seit dem Teppich von Bayeux Kirchen und Herrschaftshäuser, zuerst gewebt oder wie in Spanien seit dem 11. Jh. aus prächtig veredeltem Leder gefertigt. Ein halbes Jahrtausend später sollten unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. in der Werkstatt der Gebrüder Gobelin kostbare Wandteppiche entstehen, bis diese dank der Einführung von Seiden- und Papiertapeten seit dem 18. Jh. in den Hintergrund rückten.
Beeindruckt von solcherart Tapeten wurde Ricarda vor allem während eines Stipendiums in der Schweiz, wo sie das Glück hatte, in einem Schloss mit Bildtapeten aus Papier zu arbeiten. Ganze Wände über Räume hinweg prägten vor allem Genrebilder oder Jagdszenen.
Diese übertrug sie teilweise in ihre Zeichnung, erfand Muster hinzu, oder setzte die Alpenlandschaft vor Ort als Panorama in Szene. Einzelne Berge oder Höhenzüge sind allerdings nicht auszumachen, vielmehr gleichen sich die Berge einem Rapport von Mustern an, wodurch ein Umschlag vom Drei- zum Zweidimensionalen entsteht.
Bei Johannas Arbeiten ist solch ein Umschlag oder Übergang ebenfalls auszumachen, wenn auch in völlig anderer Art. Objekte erscheinen in der Fläche oder Flächen imaginieren Dreidimensionalität, wie z. B. der gescannte Spiegel, hier zu sehen auf dem Boden des Ausstellungssaales. Johanna interessieren vor allem die Übergänge, die Schnittkanten oder Umbrüche von Materialien, aber auch durch Licht eingefangene Bewegungen wie der bereits erwähnte abgescannter Spiegel verdeutlicht: Hier die Bewegung des Scanners wie die Bewegung der Künstlerin beim Transport desselben über dem Spiegel.
Überhaupt spielt Scantechnik in ihrem Schaffen eine besondere Rolle. Das Reproduzieren von Materialität gewinnt dadurch eine ganz andere Dimension. Nicht der Mensch, sondern eine Maschine „tastet“ die Farbwerte bzw. Lichtreflexion bestimmter Materialien ab, die unserem Auge und Bewusstsein oft verborgen bleiben. Beim Spiegel wird allerdings das Gerät selber reflektiert, welches in Bewegung versetzt Rasterstreifen hinterlässt.
So entstehen Bilder abstrakter Art, die das Auge herausfordern. Ganz konkret auch in der angedeuteten Markierung eines Halbkreises oder den lediglich mit schwarzen Strichen indizierten Tigern. Objekte wie der im Raum gruppierte Blumenkohl aus Keramik, der mit Perlmutt versehene Keramikstab oder ein mit blauer Flüssigkeit gefüllter Ballon ergänzen Kintners Kunstlandschaft, durch die sich der Betrachter frei bewegen kann. Dadurch ermöglicht sie wiederum den Umschlag vom realen zum imaginierten Raum voller Geschichten und Ereignisse. Scheinbar zusammenhangslose Objekte verbinden sich zu Raumlandschaften, worin der Betrachter zum Protagonisten wird. Die erwähnten Bodenmarkierungen mögen hierfür Halt und Orientierung bieten, ebenso aber auch erst für Verknüpfungen sorgen.
Ordnung, Struktur, Verknüpfung sind demzufolge unverkennbare Merkmale der Ausstellung, sowohl in den Objekten Johanna Kintners also auch in den Zeichnungen Ricarda Hoops.
Sie bilden umgrenzte Orte, eine Welt im Kleinen und mit den Worten Michel Foucaults: „einen anderen wirklichen Raum, der so vollkommen, so sorgfältig, so wohlgeordnet ist wie der unsrige ungeordnet, mißraten und wirr …“ (Michel Foucault: „Andere Räume“)
Annotation:
„Enclosure. Zeichnung und Objekt von Ricarda Hoop und Johanna Kintner“
Austellung noch bis 29.03.2019
Alte Handelsschule Leipzig | Gießerstraße 75 | 04229 Leipzig
Öffnungszeiten: Sa + So: 11.00 -15.00 Uhr, Mo – Do: 9.00-11.30 Uhr und nach Vereinbarung unter: info@arsavanti.de
Lesung: Johanna Kintner/ Paul Watermann „Es ist Sommer in Grönland“, 23. 3. 2019, 19 Uhr im Rahmen von „LEIPZIG LIEST“
Credits:
alle Rechte bei den Künstlerinnen