Musical-Premiere „Cinderella“ in Annaberg-Buchholz.
Wenn zu Beginn einer Premiere der Intendant vor den Vorhang tritt, verheißt dies in der Regel nichts Gutes. Im hier zu besprechenden „Fall“ traf dies nicht zu. Dr. Ingolf Huhn verkündete im Corona-ausverkauften Hause (immerhin 50% der vorhandenen Kapazität) gut gelaunt eine neue Regel: Wenn sofort zum Schluss der Vorstellung die Türen geöffnet würden, dient solches lediglich der notwendigen Entlüftung. Der Beifall dürfe weiter gehen! Dieser Hinweis war nach Thomas Pigors liebenswertem Märchen-Musical „Cinderella“ im Annaberger Theater unnötig. Sofort und lange entlud sich der Jubel des Publikums. Man hatte Spass an der Handlung und ihren liebenswerten Figuren gefallen.
Von Frieder Krause
Der Komponist, Liedermacher und Satiriker Thomas Pigor orientiert sich in seinem 1990 in Regensburg uraufgeführten Musical an einem der ältesten Märchen überhaupt: Dem Aschenputtel. Natürlich erklingt als Anleihe auch die berühmteste Melodie aus den drei Haselnüssen. Und doch ist vieles anders. Titelheldin Cinderella, der Prinz und selbst der König sind der Märchenwelt verfallen. Der König erntet dadurch den Widerstand der Opposition, macht Zugeständnisse, die letztendlich den großen Ball und das sich Finden des zueinander passenden Paares ermöglichen. Dabei ist der bewusste Schuh nicht der entscheidende Fakt. Das Zauberwort aus „Kalif Storch“ wird der Schlüssel der an Kurzsichtigkeit leidenden Liebenden. Bei Pigor gibt es etliche neue Namen für die Handelnden und viel an Situationskomik.
Musikalisch bedient er nicht die Orientierung auf große Songs oder gar „Gassenhauer“, da werden eher kleinere Formen bedient, sieht man vom „Massier mich“ der Stiefmutter ab. Mitreißend jedoch seine Ensembleszenen wie beim Aufbegehren der Opposition oder beim Klagen über den langweiligen Ball. Und er nutzt vielfältig und wirkungsvoll die Klangwelt der Tanzformen.
Das Musiktheaterensemble des Annaberger Theaters erwies sich erneut als idealer Partner in der Umsetzung solcher Formen an Unterhaltung für in diesem Fall junge und jung Gebliebene. Regisseur Andreas Ingenhaag mixte all diese Zutaten zu einem kurzweiligen, Spaß bereitendem Theaterabend. Zu diesem trug das sehr wandelbare Bühnenbild (da waren alle Züge im Einsatz!) samt der wundervollen Kutsche von Martin Scherm wesentlich bei. Ebenso die phantasievollen und farbenreichen Kostüme von Brigitte Golbs.
Anna Bineta Diouf gab eine liebenswerte Cinderella mit auch musikalisch berührenden Momenten. Glaubwürdig vermittelte sie ihre Liebe zur Märchenwelt und ihre Kurzsichtigkeit. Letztere Aspekte bediente ebenbürtig Jason Lee als Prinz. Wenn auch mit dem Rücken an der Wand stehend: Laszlo Varga war der würdige Vater mit der Sorge um seinen Sohn und dem Tick zum Märchen. Die Liebe zur Tochter bestimmt auch den streitbaren Oppositionsführer. Als Herr Zinder erfüllte Michael Junge diese Kriterien.
Wie erwartet gelang Jason-Nandor Tomory eine köstliche Studie der überdrehten wie bösen Stiefmutter, auch wenn sie in seiner Darstellung gar nicht so böse ist. Mit Noblesse vermied er jeglichen billigen Klamauk und fuhr stimmlich beim Massieren das große „Kaliber“ nuancenreich auf.
Da waren ihre Töchter Olga und Emilie schon überdrehter. Bettina Grothkopf und Madelaine Vogt kosteten das Spiel in einem für sie anderen Metier voll aus. Vor allem Bettina Grothkopf ist dafür Respekt zu zollen. Beide überzeugten auch gesanglich. Die Würde in Person als Haushofmeister vertrat in der gesamten Handlung Matthias Stephan Hildebrandt. Bezüglich Respekt gebührte solcher wieder einmal mehr dem Chor des Winterstein-Theaters unter der Leitung von Jens Olaf Buhrow. Gleich ob gesanglich, im vielfältigen Spiel und beim Tanz mit Tango, Walzer oder Polka. In Choreographin Sigrun Kressmann hatten sie dabei eine gute Partnerin. Ein lautes Bravo dafür! Hervorgehoben seien hier die turtelnden Tauben von Juliane Prucha und Bridgette Brothers sowie die Herren Volker Tancke und Hans Gebhardt in den verschiedensten Rollen.
Die Musik Pigors erklang in einer Einspielung von Mitgliedern der Erzgebirgischen Philharmonie Aue unter der Leitung des 1. Kapellmeisters Dieter Klug, der während der Vorstellung die Fäden zum schönen Gesamtklang zusammenhielt. Klug dürfte in Vorbereitung der Aufführung viel arrangiert und gefeilt haben.
Zum eigentlichen Star des Abends wurde jedoch das Pferd Horst! Auch wenn da Sigrun Kressmann wesentlich mitwirkte, die Leistung der Brüder Dominic und Lucas Blutner ist sensationell. Was war da alles an Spiel- und Lauffreude, an Synchronität selbst in den schwierigen Tanzschritten zu erleben! Verdienter Jubel dafür.
Annotation
CINDERELLA. Märchen-Musical von Thomas Pigor
Inszenierung Andreas Ingenhaag
Musikalische Leitung Dieter Klug
Bühne Martin Scherm
Kostüme Brigitte Golbs
Choreographie Sigrun Kressmann
Chöre Jens Olaf Buhrow
Dramaturgie Annelen Hasselwander
Cinderella Anna-Bineta Diouff
Der Prinz Jason Lee
Die Stiefmutter Jason-Nandor Tomory
Olga, Stiefschwester Bettina Grothkopf
Emilie, Stiefschwester Madelaine Vogt
Herr Zinder Michael Junge
König Karlheinz, der Große Laszlo Varga
Der Oberhofmeister Matthias Stephan Hildebrandt
1. Taube Juliane Prucha
2. Taube Bridgette Brothers
Horst, das Pferd Dominic und Lucas Blutner
Der Chor des Eduard-von-Winterstein-Theaters. Mitglieder der Erzgebirgischen Philharmonie Aue
Was noch?
Weitere geplante Vorstellungen
Sa. 10.10.2020, 19.30 Uhr
Sa. 24.10.2020, 19.30 Uhr
Sa. 31.10.2020, 15.00 Uhr
Fr. 20.11.2020, 19.30 Uhr
So. 22.11.2020, 19.00 Uhr
Fr. 25.12.2020, 19.00 Uhr
Weiter Vorstellungen bis Mai 2021 sind geplant.
Credits:
Besuchte Vorstellung: 4. Oktober 2020, Premiere. Veröffentlicht: 6. Oktober 2020
Fotos: © Dirk Rückschloß/Pixore-Photography