Einen im Sinne des Wortes Getriebenen ist die jüngste Opernproduktion von Theater und Philharmonie Thüringen gewidmet. Mit Benjamin Brittens „Peter Grimes“ meistert dessen Ensemble voller Engagement die Herausforderung dieses Werkes in bester Qualität. Regisseur und Hausherr Kay Kuntze stellt in seiner Inszenierung die Titelfigur Peter Grimes in die von der Gesellschaft getriebene Außenseiterrolle des wegen vermuteten Kindesmissbrauchs Verachteten. Seine Zwänge durch erfolgreichen Fischfang wie -verkauf gesellschaftliche Anerkennung zu finden und erst danach an Hauskauf und Heirat zu denken, werden deutlich herausgearbeitet. Ebenso die Mitschuld der Ortsbewohner am Tod des Jungen durch das ständige Drängen ihrer Vorurteile, denen wir im Heute ebenfalls in allen Facetten begegnen.
Regie und Ausstattung gehen bei der Konzeptionsumsetzung Hand in Hand. Das Spiel auf zwei Ebenen vermeidet unnötige Zeitverluste durch aufwändige Umbauten. Die obere dient im Prolog als Richtstatt, später durchaus als Fels in der Brandung bzw. Kirchenraum, die untere als Ortshafen, Fischerhütte oder Wirtshaus. Ein portalfüllender handgespritzter Prospekt schafft mit seinen Wellen von Beginn an Meeresflair, der sich mittels Licht- und Videotechnik in der Sturmszene beeindruckend verstärkt. Letztere schafft im Lynchprozess und mit der Erscheinung des Jungen hinter Grimes unter die Haut gehende Bilder. Das berührende Verängstigtsein dieses für den Erfolg des Fischzuges missbrauchten Jungen (Kevin Henkel) reiht sich da ebenfalls ein.
Brittens Werk ist den großen Choropern zuzurechnen. Der mit Gästen verstärkte Chor von Theater und Philharmonie Thüringen unter der Leitung von Holger Krause leistet stimmlich wie darstellerisch Beachtliches, vermittelt in atmosphärischer Dichte Beklemmendes sowie das Alltagsleben in einem Fischerdorf.
Die Partitur zu „Peter Grimes“ enthält mit ihren sechs Zwischenspielen ungewöhnlich viel Sinfonisches. Der Komponist vermag es, mit ihnen Gefühls- und Naturstimmungen auszudrücken. Der Nuancenreichtum dieser Musik ist beim Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera unter GMD Laurent Wagner in den besten Händen. Zugleich ist es ein sicherer Partner für Chor und Solisten bei der Wiedergabe der nicht einfachen Singstimmen.
Jeff Stewart ist als Gast in der Titelrolle erlebbar. Britten schrieb diese für die stimmlichen Möglichkeiten seines Lebenspartners, den Tenor Peter Pears. Dessen erreichbare Höhen sind für jeden Tenor eine Herausforderung ersten Ranges, die Stewart faszinierend meistert. Zugleich trägt seine Mitwirkung als waschechter Engländer im Ensemble wesentlich dazu bei, britisches Flair zu vermitteln. Dennoch wünschte man sich von ihm stellenweise mehr Spielintensität. Diese wiederum hat Anne Preuß als Ellen Orford in ihrer Zuwendung und Stellungnahme für Grimes und im Gespräch mit dem Lehrjungen. Ihr Sopran verfügt über feinfühlige lyrische Töne und Dramatik. Mit prägnantem Bass zeichnet Johannes Beck die Würde des alten Kapitäns Balstrode. Facettenreiche Charakterstudien steuern Judith Christ als Witwe Sedley und Mark Bowman-Hester als Bob Boles, Fischer und Methodist bei.
Die in der Geraer Premiere umjubelte Inszenierung erklang in englischer Sprache mit Übertitelung. Deren Sichtbarkeit auf dem Wellenprospekt wäre technisch noch zu verbessern. Dank der guten Textverständlichkeit des Sängerpersonals hat man jedoch bei erworbenem Schulenglisch gute Karten.
Frieder Krause
ANNOTATION
„Peter Grimes“ – Oper in einem Vorspiel und drei Akten
Libretto nach George Crabbes Poem „The Borough“ von Montagu Slater
Musik von Benjamin Britten
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: GMD Laurent Wagner
Inszenierung: Kay Kuntze
Bühne: Markus Meyer
Kostüme: Mathias Rümmler
Dramaturgie: Felix Eckerle
Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera
Opernchor von Theater und Philharmonie Thüringen mit Chorgästen
Leitung: Holger Krause
Mitglieder des Thüringer Opernstudios
Peter Grimes, ein Fischer Jeff Stewart
Ellen Orford, Witwe und Gemeindelehrerin Anne Preuß
Balstrode, ehemals Kapitän eines Handelsschiffes Johannes Beck
Bob Boles, Fischer und Methodist Mark Bowman-Hester
Swallow, Rechtsanwalt und Bürgermeister Kai Wefer
Mrs. Sedley, Witwe Judith Christ
John, Peter Grimes Lehrling Kevin Henkel/Tim Stenzel