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Dresden: Der fluide Mann

Dresden: Der fluide Mann

„Dorian“ an Staatsschaupiel – Regie Robert Wilson und Team, Darsteller Christian Friedel gefeiert

Es ist hilfreich Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ gelesen zu haben. Es ist hilfreich die Lebensumstände des getriebenen irisch-britischen Autors zu kennen. Es ist hilfreich, den Alben von „Woods of Birnam“ nicht fremd gegenüber zu stehen. Alls das braucht es aber auch nicht, um am Staatsschauspiel Dresden mit „Dorian“ bestens unterhalten zu werden.

Von Moritz Jähnig

Der große Robert Wilson, 81 Jahre jung, ist des Inszenierens nicht müde. 2022 nahm er Wildes 1890 erschienenen Roman bzw. den auf seiner Grundlage entstandenen Theatertext von Darryl Pinckney als Arbeitsgrundlage für eine Szenencollage über Autofiktion und Camouflage am Schauspiel Düsseldorf. Sie wird dort und nun auch am Statsschauspiel Dresden ganz grandios getragen von dem vielgesichtigen Schauspieler Christian Friedel. Er macht den Abend zu einer – seiner – One-Man-Show. Friedel ist dem Dresdner Haus seit 2009 verbunden. Hieraus resultiert der usus, Inszenierungen wie auch schon den „Hamlet“ an beiden Orten zu zeigen. So kommt es zur ersten Regiearbeit Wilsons in Ostdeutschland, wenn man ausnahmsweise Berlin bei ostdeutschen Verortungen außen vor lässt.

„Das Bildnis des Dorian Gray“ ist berühmt durch ihre Grundidee: Ein schöner junger Mann der besseren Gesellschaft delegiert das Altwerden an sein Porträt, während er selbst körperlich wie eingefroren der bleibt, der er ist. Eine zeitlose narzisstische Wunschvorstellung.

Wilsons Scriptwriter Pinckney erzählt den Roman nicht in seinen Stationen und dem unsäglich moralisierenden Finale nach, sondern collagiert Romanpassagen mit Briefzitaten und diversen zeitgenössischen Sentenzen. Die textkritischen Zusammenhänge sind für das neu entstehende Bühnenbildnis „Dorian“ nicht wesentlich. Seine oft kryptischen Sätze dienen in Wiederholungsschleifen der szenischen und akustisch-melodiösen Rhythmisierung. Schier unendlichen Redundanzen sind eines der wichtigsten Mittel in Robert Wilsons Theater. Sie macht seine Stücke und Adaptionen unverwechselbar.

Auf diesen wild-brausenden Textwogen vermag ein Schauspieler wie Christian Friedel zu surfen wie vielleicht zur kein Zweiter im deutschsprachigen Theater der Gegenwart. Der Alleskönner spricht, singt und performt wie zwei Personen in einem Körper. Sprache und Text haben diesen Mimen ergriffen. Er ist besessen. Zwei und dunkel gefühlt noch weit mehr Personen sprechen aus ihm. Sein körperlicher Ausdruck gibt eine Ahnung von dem, was den fluiden Mann ausmachen könnte.

Zu Beginn ist im Dunkel der Bühne ein altes Radiogerät zu erkennen, dessen Röhren leuchten. Es steht in einem chaotisch bestückten Maleratelier. Dann erscheint Friedel wie ein düsterer Magier. Er ist schwarz gewandet, mit einem einzigen weißen Handschuh. Er singt von Straßenkater Alley Cat. Er schildert den Mord aus Überdruss. Und singt und spiel und spielt und singt. Klamauk schwankt auf, die Musik steigert sich und hebt ab, bis der Sänger selbst schwebt.

Das ist Entertainment vom Feinsten und ohne das man wirklich weiß, worum es gerade konkret geht, wünscht man sich, dass die geheimnisvolle Handlung nie abreißt und der Abend nie enden möge. Das tut er dann letztlich mit einem gesteppten Auftritt des Künstlers im Glamourjacket vor einem minimalisierten Theaterprospekt. Das Schlußbild weist wieder auf das Wesen der Aktion zurück weist – das Spiel.

Die Kompositionen der Gruppe „Woods of Birnam“ komplettieren diesen Theaterereignis in seiner Dreifaltigkeit: Musik, Bob Wilsons Theatergerüst und der Schauspielkunst Friedels. Standing ovation in einer Repertoirevorstellung im ausverkauftem Haus, nebst Zuschauern, die zusätzlich stehend diese anderthalb Stunden genossen.

Noch auf ein Wort

Das Buch „Das Bildnis des Dorian Gray“ wurde als Beweisstück herangezogen, als sein Autor wegen praktizierter Homosexualität vor Gericht stand und ins Gefängnis mußte.

Wem jetzt in der Inszenierung die Queer-Debatte fehlt, darf gesagt sein: gerade weil „Dorian“ sie nicht expressiv verbis führt – ist sie ein Diskursbeitrag, wenn wenige Stunden vor dem brausenden Applaus sich draußen Demonstrationen von rechts und Gegendemonstrationen gegenüberstehen. Auch deshalb hat „Dorian“ gefallen.  

Annotation

„Dorian“ von Darryl Pinckney (Text) und Robert Wilson (Visual Book) nach Motiven von Oscar Wilde; Uraufführung im Staatsschauspiel Dresden.
Konzept, Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson; Besetzung: Dorian: Christian Friedel, Dorians Schatten: Robin Baumgärtel/Kasimir Pretzschner; Stimme im Radio: Darryl Pinckney (Originalton)

Premiere 9.1.2023; besuchte Vorstellung 11.2.2023; veröffentlicht 12.2.2023; aktualisiert 12.2.2023

weitere Aufführungen: 4., 5., & 6. März: 19.30 Uhr, 3. April: 19:30 Uhr, 4. April: 19:00 Uhr, 5. April: 19:30 Uhr

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig

Fotos: © Luci Jansch

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