Zemlinskys legendäre Oper „Der König Kandaulus“ als Gabe zum Kurt-Weill-Fest
Es ist ein Werk, das dem Hörer kalte Schauer über den Rücken jagt und in Dessau von Jakob Peters-Messer und kongenialen Team zu einer Freude fürs Auge inszeniert worden ist. Markus L. Frank und die Anhaltinische Philharmonie heben dieser reich instrumentierten Musik auf die Ebene des Unvergeßlichen.
Von Moritz Jähnig
Wenn man weiß, dass Alexander Zemlinsky dieses Opernwerk im Exil in den USA in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts fertiggestellt hat, dort aber nie zur Aufführung bringen konnte, wird verständlich, warum mit diesem bedeutenden Werk das diesjährigen Kurt-Weill-West in Dessau eröffnet und beschenkt wurde. Verblüffend ist, wie top-aktuell das Thema Emanzipation in den heutigen Diskurs passt. Wobei der Stoff ja noch etwas weiter auf einen Schauspieltext von André Gide zurückgreift. Gide übt heftigste Kritik an einem geschmäcklerischen Umgang mit dem Objekt Frau, der ihre Schönheit ins Irrationale überhöht und sie ganz irdisch als rechtloses Wertstück zwischen zwei Männerfreunden hin und her schiebt.
Die Szene spielt am Hofe eines märchenhaft reichen Königs, dessen größter Schatz seine sagenhaft schöne Königin ist. Ein ganz, ganz armer Fischer, der nur seinen Stolz besitzt, avanciert zu seinem Freund, wohnt auf Grund unterkomplexer Umstände der Frau unerkannt bei. Frauen sind in dieser Welt gesichtslose, verschleierte und dienende Wesen – bist zu dem Punkt, an dem sie die Schleier herunterreißen, sich auf die völlig abgehoben lebenden Männer bei Hof stürzen, um sie blutig zu meucheln. Zu diese Schärfe findet André Gides „Le Roi Candaule” (1899) noch nicht.
Dieses seltsame, eindeutig patriarchalische System entschlüsselt die Dessauer Inszenierung von Jakob Peters-Messer besonders für das Heute, indem sie alles die gelackte Welt der Werbung und öffentlichen Kommunikation transportiert: ein Fotostudio mit Kulissen, Vorhängen, Reflektoren, Scheinwerfern. Solche Orte dienen dem Zweck, schöne Bilder von Frauen zu produzieren. So inszeniert hebt die Königin Nyssia das Image von Kandaules. Wir kennen die weiblichen Werbeikonen aus der Tagespolitik.
Die Ausstattung der Oper wirkt berauschend. Guido Petzold (Bühne) und Sven Bindseil (Kostüme) schaffen eine elegante, versnobt dekadente Szenerie, die schwebt und schillert und glänzt wie die Komposition. Die Anhaltinische Philharmonie genießt hörbar und nachvollziehbar die große Sinnlichkeit dieser oft einem Richard Strauss sehr nahen Klänge. Unter der feinfühligen Leitung von Markus L. Frank wird die von Antony Beaumont für die Hamburger Uraufführung reich ausgestattete Instrumentierung der Orchesterfassung erlebbar.
Sängerisch fließt alles elegant und ausgeglichen, aber höhepunktarm über drei lange Akte hin bis zur großen Katastrophe. Königin Nyssia erkennt, dass ein anderer Mann die Nacht mit ihr verbrachte. Ein Missbrauch. Kammersängerin Iordanka Derilovas dramatisch-expressiver stimmlicher Ausbruch ist Racheruf und Urschrei, der in die Glieder fährt.
Das Sängerensemble der Hofleute Kostadin Argirov (Phedros), Musa Duke Nkuna (Syphax), Baris Yavuz (Nicomedes), Pawel Tomczak (Pharnaces), Yunus Schahinger (Philebos), Alexander Dubnov (Simias), David Ameln (Sebas), Stephan Biener (Archelaos), Cezary Rotkiewicz (Koch) erlebten wir sowohl sängerisch wie als Sprecher der Zwischentexte am Mikrofon hochkarätig besetzt. Tilmann Unger ist ein stimmlich präsenter, immer wie etwas abwesend agierender König Kandaules und Kay Stiefermann mit seiner männlichen, warmen Baritonlage der Fischer Gyges.
Wegen der musikalischen Raffinesse, der zu erlebenden hohen sängerischen Qualität und der die offene Geschlechterfrage zwar nicht beantwortende aber aktuell diskutierend und aus noch vielen hier nicht genannten Gründen ist eine Reise nach Dessau ans Anhaltinische Theater zum „König Kandaules“ zu empfehlen.
Annotation
„Der König Kandaules“. Drama in drei Akten von André Gide; deutsche Umdichtung von Franz Blei; Musik von Alexander Zemlinsky; Instrumentierung vollendet von Antony Beaumont. Anhaltisches Theater Dessau. Musikalische Leitung Markus L. Frank; Inszenierung Jakob Peters-Messer; Bühne, Lichtdesign, Video Guido Petzold; Kostüme Sven Bindseil; Dramaturgie Marie Poll; Nyssia KS Iordanka Derilova; König Kandaules Tilmann Unger; Gyges Kay Stiefermann; Phedros Kostadin Argirov; Syphax Musa Nkuna; Nicomedes Baris Yavuz; Pharnaces Pawel Tomczak; Philebos Yunus Schahinger; Simias Alexander Dubnov; Sebas David Ameln; Archelaos Stephan Biener; Koch Cezary Rotkiewicz; Trydo Emely Richter; Statisterie des Anhaltischen Theaters Dessau; Anhaltische Philharmonie Dessau
Premiere 24.2.2023; besuchte Vorstellung 5.3.2023; veröffentlicht 8.3.2023
weitere Vorstellungen 25.3., 17 Uhr, 2.4.,16 Uhr, 6.5.,17 Uhr
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig
Fotos: © Claudia Heysel
Szenenbilder