Giuseppe Verdis „Die Macht des Schicksals“ hoch konzentriert und reduziert.
Giuseppe Verdis Oper „Die Macht des Schicksals“, 1862 am Mariinski-Theater in Sankt Petersburg uraufgeführt, ist ein prächtiger Bilderbogen um Liebe und Verstehen, um Freundschaft, Tod und die ewig trennenden kulturellen Konflikte. Die delikate szenische Vielfalt, mit welcher der Maestro diese existenziellen Fragen für den russischen Zarenhof im 19. Jahrhundert noch durchspielte, ist für den heutigen Theaterbetrieb vermeintlich zu aufwendig.
Von Moritz Jähnig
Die gleichermaßen ambitionierte wie intelligente Inszenierung am Anhaltischen Theater reduziert. Ihre Ausstattung besteht aus Stuhl und Tür, gelegentlich einem Tisch und einem transparenten Roll up, bedruckt mit knallroten Traumblumen, die Welt der beiden Liebenden symbolisierend. Das Mohnblumenbild wird immer wieder vor einer echt großmannssüchtigen, schmutzig-grünen Velourtapete aufgehängt, die für Leonoras Vaterhauses steht. Schließlich endet das Tuch als Tischdekoration für die Gewaltszene im III. Akt, die alle Blütenträume niederwalzt.
Die Reduzierung durch das Inszenierungsteam Tobias Rebitzki (Regie) und Stefan Riekhoff (Bühne und Kostüme) geht noch weiter. Einzelne Darsteller übernehmen mehrere Rollen, was allerdings auch üblich geworden ist. Der verstorbene Vater wird so zu Leonoras neuem Beschützer Pater Guardiano, den Don Lee mit seinem mehr gefühlvoll warmen als strengem Bass beschenkt. Der Kammerzofe Curra und der Wahrsagerin Preziosilla leiht Rita Kapfhammer ihre starke Präsenz. Sie singt im Wettlauf mit der gnadenlosen Trommel ein mitreißend kraftvolles „Rataplan“. Unfassbar, wie sie eine unter dem eigenen Hetzgesang leidenden Agitatorin plastisch erstehen lässt.
Die Kleidung der schicksalhaft verstrickten Personen verschiebt die Handlung unaufdringlich in eine zeitlose Gegenwart. Aus den harmlosen Operettenuniformen der Soldateska schälen sich die unverhohlen gewalttätigen Dorfbewohner heraus. Ein Hausierer/Maultiertreiber/ Trabuco (Christian Sturm) greift unter dem Beifall der von Preziosilla aufgehetzten Masse der Dorfbewohner nach der blind dahin taumelnden Leonora. Nur das plötzliche Eingreifen Fra Melitones (buffonesk Kostadin Argirov) verhindert das Schlimmste.
Am Pult führte Markus L. Frank die Anhaltische Philharmonie in der Premierenvorstellung noch nicht zu einheitlichem Schönklang. Momente im Blech lösten klischeehafte Phantasien an einen bunten Verdi-Melodienreigen aus, vielleicht so vor der Scala von Potenza erwartbar. Doch das Klangbild wendete sich. Bis das Orchester im III. Akt lebhaft fließendend mit ersehntem italienischen Brio ein ihm mit starkem Applaus dankendes Publikum auf die Knie zwang.
Große Stunde auch für den Opernchor. Die beweglichen und bekannt spielfreudigen Damen und Herren strahlten im hohen Ernst der religiösen Chöre (Leitung Sebastian Kennerknecht). Mit angemessenem Pathos kleideten sie Donna Leonora zu „La Vergine degli angeli“ in ein sanftes, tränenschönes Klanggewand, wie es Verdi wohl gefallen hätte,
Jordanka Derilova drückt als Donna Leonora die Intentionen dieser Inszenierung geradezu körperlich aus. Eine Frau, die Befolgen von Befehlen anerzogen bekam. Sie kauert in Ecken und bleibt blind. Jeder fingert an ihr herum. Ihren ersten selbstständigen Schritt tut sie erst am Schluss, in die Freiheit, ins Licht einer Unendlichkeit des Lebens.
Leonora liebt Alvaro, einen Farbigen. Die Umstände dieser Verbindung und die edle Abstammung des Inka werden vom Regiekonzept nicht tiefer beleuchtet. Ray M. Wade, Jr. bringt das nötige tenorale Format für diese Partie mit. Wenn Leonora in die Freiheit weggeht, bleibt Alvaro perspektivlos zurück. Frau und Freund sind ihm verloren. Die Beziehung des Paares endet unvollendet im Strom der Musik. Wie auch das Leben von Leonoras rachedurstigen Bruder Carlos sinnlos endet, weil er bis zum Ende zwanghaft dem Gebot des Vaters folgt und die Hand des Freundes nicht ergreifen kann. Krum Galabovs Bariton zeichnet mit markanten Vitalität einen bösewichtigen Don Carlos.
Hier nur angemerkt: dem gesamten Sängerensemble ist zu konzedieren, dass es ohne coronageschuldete Einschränkungen bravouröser agiert hätten.
Die reduzierte Fassung von Verdis „Die Macht des Schicksals“ erfüllt nicht alle tradierten Erwartungen, ist aber für sich genommen geschlossen und weiß zu überzeugen. Ins Gedächtnis schreiben sich viele Einzelheiten von großer Schönheit ein, wie die „Pace“-Arie der Leonora, in der Derilova die Töne zart auf- und abschwellenden lässt – alles erlebt an einem Sonnabendnachmittag am Anhaltischen Theater Dessau.
ANNOTATION
“Die Macht des Schicksals“, Oper in vier Akten, Musik von Giuseppe Verdi, Libretto von Francesco Maria Piave und Antonio Ghislanzoni nach dem Drama Don Álvaro o La fuerza del sino von Ángel de Saavedra
Anhaltisches Theater Dessau. Musikalische Leitung Markus L. Frank, Inszenierung Tobias Ribitzki, Bühne und Kostüme Stefan Rieckhoff, Dramaturgie Felix Losert,
Marchese von Calatrava/Pater Guardiano/Ein Bürgermeister/Ein Chirurg im spanischen Heer Don Lee, Donna Leonora KS Iordanka Derilova, Don Carlos die Vargas Krum Galabov, Don Alvaro Ray M. Wade, Jr, Preziosilla/Curra Rita Kapfhammer, Fra Melitone Kostadin Argirov, Mastro Trabuco Christian Sturm, Opernchor des Anhaltischen Theaters, Anhaltische Philharmonie Dessau
CREDITS
Fotos (2): © Claudia Heysel
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber (ViSdP), Leipzig
Besuchte Vorstellung: Premiere 19.03.2022; veröffentlicht: 21.03.2022 ; aktualisiert 25.04.
Weitere Vorstellungen: 22.05.