Alt bewährt und neu gesetzt – Johannes Weigand inszeniert „Der Vogelhändler“
Carl Zellers „Vogelhändler“ gehört zu jenen vielleicht zehn Operetten, deren Hits selbst theaterfernere Damen und Herren kennen und sofort mitsummen können. Eine steile These, die aber bei einem Vorstellungsbesuch in Dessau leicht überprüfbar und erlebbar ist. „Griaß enk Gott, alle miteinander“.
Von Moritz Jähnig
Bevor noch Wolfgang Kluge am Premierenabend den Taktstock für die glänzend aufgelegte Anhaltinische Philharmonie hebt, tritt ein original Tiroler vor den Vorhang. Er informiert nicht nur über krankheitsbedingte Indisponiertheiten im Ensemble, sondern gibt einen entscheidenden Hinweis: die komplette Ausstattung sei aus den Beständen des Fundus recycelt. Solche Bekanntmachungen können kaltes Grausen auslösen. In diesem Fall aber total unbegründet. Nicht nur, dass ein wirklich gutes Beispiel für konsequent nachhaltiges Wirtschaften abgeliefert wird. Nein, diese zusammengesuchte Ausstattung wirkt wie ein geschlossenes Ganzes und ist gelungen.
Christopher Melching, verantwortlich für Bühne und Kostüm, sowie Regisseur Johannes Weigand hatten in den Magazinen einen sicheren Blick und bewiesen bei der Auswahl ein sprichwörtlich gutes Händchen. Aus Fundstücken formen sie ein stimmiges Bild. Das bedient sie eine Konzeption, die nichts Neues, Ambitioniertes anstrebt, sondern den unsterblichen Spaß, der die 1891 in Wien uraufgeführten Operette adelt, auch 132 Jahre später dem Publikum zu bereiten. Eine Inszenierung muss den „Vogelhändler“ nicht von Wien-Tümelei befreien. Es genügt, den feinen Spot auf alles Provinzielle und Kleinkarierte, den Carl Zeller, Moritz Held und Ludwig West, alle drei überlegene Künstlerpersönlichkeiten, schon zu ihrer Zeit trieben, heute wirken lassen. Dazu die schon erwähnten Gassenhauer – das bringt dem Operettenmärchen jenen Erfolgt, der an diesem Theaterabend erlebbar war.
Ein ausgewogenes Solistenensemble ist mit Spielfreude und voll Stimmkultur dabei. Bogna Bernagiewicz und Thomas Paul als Christel von der Post und Vogelhändler Adam dürfen sich des großen Beifalls am Premierenabend freuen. Ania Vegry, Kurfürstin Marie-Luise strahle in ihrer schönen, verträumten Arie im dritten Akt, Christel Ortmann brillierte als schrullige Hofdame Adelaide. Wobei hervorzuheben ist, dass sie und das gesamte buffoneske Figurenpersonal nicht den Klamauk feieren, sondern fein zurückhaltend bleibt. Das ist ein weiteres Plus des geschmackvollen neuen „Vogelhändlers“ in Dessau – „Fröhlich Pfalz, Gott erhalt’s!“
Zusammenfassend sein ein zeitnaher Vorstellungsbesuch unbedingt empfohlen.
Annotation
„Der Vogelhändler“, Operette in drei Akten von Carl Zeller, Text Moritz Held und Ludwig West. Anhaltisches Theater Dessau, Großes Haus. Musikalische Leitung Wolfgang Kluge, Inszenierung Johannes Weigand, Bühne und Kostüm Christopher Melching, Leitung Opernchor Sebastian Kennerknecht, Dramaturgie Yuri Colossale.
Besetzung mit Ania Vegry, Christel Ortmann, Bar?? Yavuz, David Ameln, Thomas Paul, Bogna Bernagiewicz, Kostadin Argirov, Alexander Sascha Nikoli?, Michael Tews, Kristina Baran, Cezary Rotkiewicz, Carsten Mende, Pavel Demine, Christian Most, Adam Fenger, Pawel Tomczak, Gerrit Hammer, Stefan Biener, Norbert Leppin; Anhaltische Philharmonie Dessau, Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau, Statisterie des Anhaltischen Theaters Dessau, Anhaltische Philharmonie Dessau
Premiere und besuchte Vorstellung 30.09.2023, veröffentlicht 18.09.2023,
weitere Termine 29.10.2023, 16:00 Uhr; 31.12.2023, 15:00 Uhr; 31.12.2023, 20:00 Uhr; 05.01.2023, 19:30 Uhr; 23.03.2024, 17:00 Uhr; 02.06.2023, 17:00 Uhr
Creditis
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig
Fotos: © Claudia Heyse