Robert-Schumann-Philharmonie wie im Sog von Wagners „Tristan und Isolde“.
Selten fesselt Richard Wagners 1862 uraufgeführte Oper durch eine derartige Detailgenauigkeit, wie – leider nicht mehr allzu oft zu erleben – „Tristan und Isolde“ in der Regie von Elisabeth Schöppler am Theater Chemnitz. Die Regisseurin hat 2019 für das Opernhaus bereits die ausgezeichnete „Götterdämmerung“ erstellt.
Von Moritz Jähnig
Vieles ist unkonventionell und unerwartet. Das macht die Inszenierung über den einmaligen Hörgenuss hinaus zum unterhaltsamen Erlebnis. Die Kostüme von Christine Völlm verweisen auf die Entstehungszeit. Die Bühnenräume, die Annika Haller aufbaute, sind voller Möglichkeiten. Ein Schiffsinnenraum, ein Salon, eine Jungmännerbude.
Tristan setzt in einem Unterseeboot an Kornwalls Küsten über, um die irische Maid Isolde seinem Freund, König Marke, als Braut zuzuführen. Die Helden tragen keine Schwerter. Sie liebkosen ein kleines Pistoletto, Modell „Tod auf dem Nil“. Die Waffe wird wie eine Ikone herumgereicht. Solche Einfälle holen die in der alten Sage verhandelten Konflikte um Liebe, Freundschaft, Treue und Verrat aus der Sphäre mythischen Murmelns näher an unsere Erfahrungswelt. Das eigentlich Sensationelle sind die vielen scheinbaren Kleinigkeiten, die Schöppler einbindet.
Richard Wagner verwendet bei „Tristan und Isolde“ mit der Kennzeichnung „Handlung in 3 Aufzügen“ Begriffe aus der Theaterpraxis. Das spricht dafür, der Regie in dieser Oper besondere Sorgfalt angedeihen zu lassen, wie erlebt.
Statistiker haben mitgezählt und kundgetan, dass in dieser Inszenierung der Liebesoper Tristan ganze viermal geküsst würde. Einmal von seinem Jugendfreund König Marke und dreimal von Isolde. Korrekt. Und in keinem Fall sieht er dabei glücklich aus. Er ist ein Mann, der sich aus einer Bindung sofort losreißt und wegläuft.
Richtig Spaß macht es, den zweiten Aufzug zu verfolgen. Traditionell spielt er vor Isoldes Gemach. Hier ist es eindeutig ein Salon in König Markes Schloss mit hohen, auf einen Park blickenden Fenstern, in dem sich die Gesellschaft wohl am frühen Abend eingefunden hat. Umsorgt von Personal nimmt man seinen Drink. Wir sind in England. König Marke (Alexander Kichle) kleidet sich unentschlossen für Jagd um. Merlot (Till von Orlowsky), eine Art Privatsekretär, reicht ihm die Jagdwaffe. Der König zaudert. Merlot drängt sie ihm auf. In einer meisterhaften psychologische Schlüsselszene verabschiedet sich der schlanke Herr mit einem wie gehemmten in der Luft erstarrenden Handkuss von der im grün-samten Kleid alles dominierenden Isolde. Was könnte die meilenweite Distanz zwischen den Markes besser zeigen, als diese ungelenk steife, konventionelle Geste, aus der Falsch und Angst sprechen.
Ein anderes typisches Beispiel für dieses intelligente Charakterisierungskunst: Während Marke in der 3. Szene sein Lamento hält, Alexander Kichle in seiner Zurückgenommenheit sehr ergreifend und makellos stimmschön, entdeckt Tristan wie davon unberührt auf dem königlichen Schreibtisch ein gerahmtes Foto von Isolde. Mit diesem Requisit erspielt sich der Sänger seine Figurenhaltung. Er sehnsuchtsvoll blickt er das Foto an, übergibt es Merlot, der jetzt seine innere Position zu Isolde ausdrücken kann, wie dann auch Marke. Das sind Regiequalitäten, die den großen Jubel über die Inszenierung begründen.
Aber natürlich ist Oper großes Musikerlebnis und das trifft auch für den „Tristan und Isolde“ in Chemnitz zu. In den titelgebenden Partien kann das Haus zwei große Stimmen aufbieten, zwei Künstler die sich im Zusammenspielt beflügeln. Es ist, als trügen sie sich gegenseitig empor, zeigten in der Gemeinsamkeit, welche Klasse eine jede für sich hat. Stephanie Müther mit strahlenden Höhen und Kraft in den dramatischen Ausbrüchen, daneben von einer Zartheit, die etwas Unberührbares hat. Die Sängerin war eine ganz große Isolde an einem unwirschen Aprilnachmittag in der Kulturhauptstadt 2025.
Nicht weniger schwärmen muss man vom Tristan Daniel Kirchs. In dieser mörderisch schweren Partie hört sich auch nach den heftigsten, kraftgestützten Ausbrüchen sein warmer Tenor wieder schlank und gefühlvoll klingend an und bedient das Jungenhafte der Figurenanlage. Ebenfalls herausragend stimmsicher der edle Sopran von Sophia Maeno, Brangäne. Oddur Jonsson sing ohne Schwierigkeiten den hier als steifbeinigen Seemann, humpelnd angelegten Kurwenal, Uwe Eikötter übernahm den Hirten und die Stimme eines jungen Seemanns, Jacob Scharfmann gibt den Steuermann.
Musikalisch geleitet wurde die erlebte Aufführung von Diego Martin-Etxebarria, der das Spiel der Robert-Schumann-Akademie wie einen vielfarbigen Teppich ausrollte. Die aufbrandenden Klänge wurden nie zu massig für die Stimmkraft des Sängerensemble, alles in schöner, raumangepasster Ausgewogenheit. Der klanglichen Bescheidenheit zu viel bei den Hörnern im 2. Aufzug. „Jagdgetön. Wie hör ich sie, tosen noch Hörner?“
ANNOTATION
„Tristan und Isolde“. Eine Handlung in drei Aufzügen von Richard Wagner. Theater Chemnitz, Opernhaus
Musikalische Leitung Diego Martin-Etxebarria, Inszenierung Elisabeth Stöppler, Bühne Annika Haller Kostüme Gesine Völlm, Chor Stefan Bilz, Dramaturgie Johannes Frohnsdorf
Besetzung: Tristan Daniel Kirch, König Marke Alexander Kiechle, Isolde Stéphanie Müther, Kurwenal, Oddur Jonsson, Melot Till von Orlowsky, Brangäne Sophia Maeno, Ein Hirte Uwe Eikötter, ein Steuermann Jacob Scharfman, Stimme eines jungen Seemanns Uwe Eikötter, Chor der Oper Chemnitz, Damen und Herren der Statisterie, Robert-Schumann-Philharmonie
CREDITS
Foto: © Nasser Hashemi (oben und Artikelende), © Dieter Wuschanski
Text: Moritz Jähnig, Theaterkritiker, Herausgeber (V.i.S.d.P)
Premiere 23.10.2021, besuchte Vorstellung 10.04.2022, veröffentlicht 11.04.2022
nächste Vorstellung 10.05.2022, 16.00 Uhr