Landesbühnen Sachsen gastierten mit Mozart-Oper in der Regie von Kai Anne Schuhmacher in der Saalestadt
Kann man immer noch von der „Don Giovanni“-Welle auf unseren Bühnen sprechen oder gilt diese inzwischen schon als abgeebbt? Auf alle Fälle ist die in Rede stehende Inszenierung, die im Januar 2023 an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul Premiere hatte, mit dem besuchten Gastspiel am Theater Bernburg Geschichte. Sehr bedauerlich.
Von Moritz Jähnig
Der Besuch in der Stadt Bernburg aus Anlass dieser Vorstellung hat sich nämlich aus gleich zwei Gründen gelohnt: einmal wegen des gehabten Erlebnisses im kleinen, aber hochherrschaftlich feinen Carl-Maria-von Weber-Theater und wegen der traumhaft süßen Baiser-Stück, die man zuvor in der sachsen-anhaltinischen Residenzstadt am Sonntagnachmittag im Sonnenschein serviert bekommen kann. Ein so gebündelter touristische Effekt ist sicher nicht zu unterschätzen.
Die Aufmerksamkeit des Zuschauers ist gefordert
Die „Don-Giovanni“-Inszenierung der Landesbühnen unter der Oberspielleitung von Kai Anne Schuhmacher kam beim Publikum spürbar gut an und wurde mit wohlwollendem Beifall bedacht, der, wenn man zugelassen hätte, auch noch etwas länger angehalten hätte. Aber Tempo war Trumpf. Zügig ging es im Stück voran, keinen wirklichen Ruhepunkt zulassend, auch nicht für Szenenapplaus – der oft verdient war. Solcher Galopp triggert eine wirkliche Gefahr. Angesichts der kreativen Fülle an „Don Giovanni“-Auffassungen muss der Zuschauer genau aufpassen. Worum ging es auf der Bühne eigentlich gerade? Wer will was von wem, warum und vor allem: Wer ist gerade wer? Das war nicht immer eindeutig.
Kai Anne Schuhmacher lässt alle zwei Akte in einem sich nur wenig veränderten Bühnenaufbau spielen. Wir befinden uns in der von ihren trinkfreudigen Gästen mittlerweile ramponierten Lobby eines Hotels. Hier stehen ein Klavier, auf dem die blinde Donna klimpert, und zwei herrliche Retro-Leder-Drehstühle. Ein Tresen ist gleichermaßen Empfang, Bar und Kopulationspodium für eine Nummer von Donna Elvira und Leporello. Schlussendlich schlägt dem fürchterlich viel trinkende Don Giovanni sein Stündchen auf eben diesem Bar-Tresen. Außerdem gibt es ein paar Fensterlöcher, eine Tür, die Masetto später eintritt und einen Fahrstuhl, der wie beiläufig lustig ins Spiel einbezogen wird.
Zweimal Don Giovanni
Das Konzept sieht überraschend einen zweiten Giovanni „als alten Mann“ vor, hier genannt Kommendatore. Der sitzt umsorgt von seinem ebenfalls gealterten Diener Leporello in der abgefakten Hotel-Lobby herum und erinnert sich vermutlich an sein schönes Leben. Michael König stellte den alten Don dar. Es ist keine durchgehend nur stumme Rolle. Der erfahrene Sänger übernimmt im Wechsel auch Passagen der Partie und leiht seine Stimme zum Auftritt des Komturs. Dazu erscheint er nicht wirklich mit all dem komponierten Getöse, um den Wüstling als Strafe zur Hölle fahren zu lassen. Don Giovannis Ende besorgen im Kollektiv die Frauen. Sie sind gewandelt und symbolisch überhöht, Anna als blinde Gerechtigkeit, Elvira als Racheengel und Zerlina als eine Lore-Lay-hafte Naturgewalt in blond.
An anderer Stelle tanzt der alte Don bedeutungsschwer mit einer aus der Vorstellungswelt des Mittelalters entstiegenen Frau Welt. So ging es eben nicht nur schnell, sondern selbst für Mozart-Kenner höchst verwirrend zu. Klüger gemacht hat die Radebeuler Konzeption mutmaßlich keinen. Andererseits hat die Wirrnis nicht wirklich gestört, denn Mozart ist so leicht nicht platt zu kriegen.
Don Giovanni vor seiner „Höllenfahrt“
Ein alltäglicher Tunichtgut
Zu erleben war ein gelöst und intensiv miteinander spielendes Ensemble. Es wuselte hin und her, fuchtelte mit Waffen, trank sich einen an, schlug und mordete sich munter. Die trashigen Kostüme (Lisa Deßler) sind straßentauglich und farbenfroh. Do-Heon Kim gestaltet einen großen, massigen Masetto, der jederzeit der eigentliche Herr der Lage ist und den von Alkohol schwankenden Giovanni an die Wand drückt. Johannes Wollrab singt den Giovanni wohlklingend und in der Champagner-Arie mit wahrlich atemberaubendem Stakkato. So schrecklich wüst kommt er nicht rüber. Er ist ein Tunichtgut, wie man ihm im Alltag leicht mal begegnen kann. Das Herz des Publikums flog mehrfach deutlich Florian Neubauer für seinen tenoral samtigen Don Ottavio zu. Nicht nur die mit klarer, schlanker Höhe gesungene Arie „Non mi dir bell‘ idol mio“ im 2. Akt gestaltete Anna Erxleben zu einem musikalischen Höhepunkt der daran reichen Aufführung im Carl-Maria-von-Weber-Theater.
Musikalisch angenehmer Opernabend
In Erinnerung bleibt die frisch aufsingende Anna Maria Schmidt als Zerlina. Marie-Audrey Schatz a.G. bietet mit großem Wohlklang eine starke, manchmal kesse und gleichzeitig nachdenklich zarte, vielschichtige Elvira an, die sich von Leporellos Schilderungen nicht umwerfen lässt, bis sie konsequent auf Rache sinnt. Paul Gukhoe Song zeigte seine Wandlungsfähigkeit in der Körperhaltung, wenn er zwischen dem alten und dem jungen Leporello wechselt und bleibt besonders in den berühmten Bravourstücken dieser Mozartkomposition nichts schuldig. Das gilt gleichfalls für den einsatzfreudig auftretenden Chor der Landesbühnen und die Damen und Herren der Elbland Philharmonie Sachsen, die mehrfach Gelegenheiten für Bühnenmusik wahrnahmen. Die musikalische Leitung dieses insgesamt sehr schönen und angenehmen Opernabends lag in den Händen von Yuri Ilinov.
Ein Wunschkind der Stadt mit großer Tradition
Das 1827 als Herzogliches Schauspielhaus erbaute heutige Carl-Maria-von-Weber-Theater Bernburg bietet aktuell 344 Zuschauern Platz. Der Betreiber, die Bernburger Theater- und Veranstaltungs gGmbH, deren Gesellschafter der Salzlandkreis ist, arbeitet für die Spielplangestaltung mit den Landesbühnen Sachsen-Anhalts zusammen, aber auch mit den Landesbühnen Sachsen und freien Theatern aus dem ganzen Bundesgebiet. Unterstützt von der Stadt Bernburg realisiert sie in Ihren Räumen Theater, Kurhaus und Metropol/Saal und Metropol/Studio ca. 150 Veranstaltungen im Jahr. Im nächsten Sommer schließt das Kurhaus für eine umfangreiche Sanierung. Das Carl-Maria-von-Weber-Theater Bernburg wird 2027 seinen 200. Geburtstag feiern, ein Höhepunkt, dessen Vorbereitung begonnen hatten. Das Carl-Maria-von-Weber-Theater Bernburg ist Mitglied der Deutschlandroute Historische Theater. www.perspectiv-online.org Es lohnt unbedingt, die ausführliche Darstellung der Bernburger und Ballenstedter Theatergeschichte auf der Webseite nachzulesen. www.theater-bernburg.de
Notiert nach einem Gespräch mit
Christina Lewek, Künstlerische Leiterin der
Bernburger Theater- und Veranstaltungs gGmbH
Annotation
“Don Giovanni”, Dramma giocoso von Wolfgang Amadeus Mozart, Libretto Lorenzo da Ponte (in italienischer Sprache mit Übertiteln), Landesbühnen Sachsen. Musikalische Leitung Ekkehard Klemm / Yury Ilinov / GMD Florian Merz, Inszenierung Kai Anne Schuhmacher, Ausstattung Lisa Däßler, Dramaturgie Gisela Zürner.
Besetzung
Don Giovanni Johannes Wollrab / Dániel Foki, Leporello Paul Gukhoe Song / Matthias Hoffmann, Don Ottavio Florian Neubauer / Kyounghan Seo, Donna Anna Anna Erxleben / Franziska Abram, Donna Elvira / Ylva Gruen / Marie–Audrey Schatz, Masetto Do-Heon Kim, Zerlina Anna Maria Schmidt, Kommendatore Michael König, Chor der Landesbühnen Sachsen, Komparserie Barbara Weidlich, Marcel Böhm, Marcus Kutsche, Mandoline Michaela Harnisch, Elbland Philharmonie Sachsen
Premiere 21.01.2023; besuchte Vorstellung 17.03.2024, Gastspiel im Carl-Maria-von-Weber-Theater Bernburg, veröffentlicht 18.03.2024, eine Aktualisierung 18.03.2024
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig
Fotos: (4) © Carsten Beier & (1) © Michael Wittrisch (Zitiert)