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Aus den bunten Kolonien

Aus den bunten Kolonien

Harry Kupfer findet an der Komischen Oper Berlin keinen Spannungsbogen für Händels “Poros”.

Harry Kupfer hatte freie Wahl bei der Stückentscheidung, als ihm eine Inszenierung an der von ihm lange Zeit als Chefregisseur geprägten Komischen Oper angeboten wurde. In den Vorwendejahren war zum Beispiel „Giustino“ mit Jochen Kowalski dort in der Inszenierung Kupfers und auf Auslandsgastspielen ein jahrelanger Erfolg. Man versprach sich also von dessen Zusammenarbeit mit Jörg Halubek extrem viel. Aber so packend wie gewünscht kam „Poros“ in Susanne Felicitas Wolfs deutscher Nachdichtung des Librettos von Pietro Metastasio nicht in Fahrt.

 von Roland H Dippel

Händel mit Längen

Als es auf der Bühne nach dem ersten Teil dunkel wurde, regte sich erst nach mehreren Sekunden zaghafter Applaus. Nur nach dem Ende fand das Publikum zu großzügiger Einigkeit, aber ein echter Erfolg klingt anders. Harry Kupfer hatte das Macht- und Liebesspiel vom vierten vorchristlichen Jahrhundert in die Hochphase des Kolonialismus unter Queen Victoria verlegt. Die große Illusionsoper des 19. Jahrhunderts und Edward Morgan Forsters Roman „Reise nach Indien“ mitsamt seiner Verfilmung standen offensichtlich Pate bei dieser Auslegung der 1731 in London uraufgeführten Opera seria. Schon im Vorspiel wird die britische Flagge auf Portalbreite gehisst, am Ende prunkt sie unmissverständlich über Hans Schavernochs realistischen Projektionen aus dem indischen Urwald, die mit den prächtigen Kostümen von Yan Tax opulent wetteifern. In diesem rücken am Ende die Kolonisatoren mit Kisten der East India Company an: „Der Tiger von Eschnapur“ mit Farbrausch.

 

Kolonialismus wie im Jugendbuch

Harry Kupfer wollte offenbar an die brillant durchdachten Gesellschaftsanalysen seiner Glanzzeit anknüpfen, bleibt aber an diesem Abend mit Längen den sehr hohen Erwartungen einiges schuldig: Der indische König Poros darf nach mehr oder weniger undurchsichtigen Wirrnissen die Königin Mahayama aus dem indischen Nachbarreich heiraten, durch Großbritanniens Gnade sogar in Amt und Würden bleiben. Aber die Autonomie hat er verloren. So weit, so Kupfer: Wie in Waldtraut Lewins Nacherzählung „Poros und Mahayama“ von Händels Oper, in deren Uraufführung damalige Stars wie der Kastrat Senesino in der Titelrolle und Anna Maria Strada del Pó als Cleofide mitwirkten, haben die Figuren zum Teil andere Namen. Aus der Titelfigur Cleofide wird Mahamaya, Poros‘ Schwester Erissena heißt Nimbavati. Der angekündigte Politik- und Wirtschaftspoker zwischen Ost und West findet kaum statt, das Gefühlskarussell bleibt in moderaten Temperaturbereichen.

 

Musikalische Feinmalerei

Wie bereits Georg Philipp Telemanns Bearbeitung für die Hamburger Oper werten Regisseur und Dirigent die Rezitative enorm auf. Das hätte die Basis für eine hervorragende plausible Entwicklung der Figuren werden können, die Kupfer hier erstaunlicherweise schuldig bleibt. Zwischen einer stellenweise als lückenhaft empfundenen Personenregie und soliden Sängerleistungen entwickelt die Produktion auch nach mehreren Vorstellungen kaum Faszinations- und Stoßkraft. An mangelhafter Vertrautheit des Orchesters der Komischen Oper Berlin kann es nicht liegen, denn dieses verfügt über regelmäßige Erfahrungen mit Händel, Rameau, Monteverdi. Jörg Halubek fächert die Gruppen kammermusikalisch auf. Damit gleicht er die Kontraste zwischen Rezitativen und Arien aus, modelliert aus der Nummernoper ein intimes Musikdrama: Rezitative gleiten in melodische Phrasierung oder in fast melodramatisch gesprochene Sinneinheiten.

Das Drama und der Emotionssalat finden auf der drehenden Spielfläche vor den hohen Buddha-Statuen und im fast bunten Tempel der Schlussszene keinerlei Entsprechung. Ungewöhnlich starr wirken die Figuren und rücken damit die Ausstattung über Gebühr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Nicht ganz klar ist, ob diese vegetative Fülle und Buntheit sogar Ironie ist.

 

Trockene Ensembleleistung

Auch die politischen Motivationen fallen, ungewohnt bei Kupfer, über weite Strecken aus der Aufmerksamkeit. Unausgeglichen bleibt der sängerische Eindruck. Der Bassist Philipp Meierhöfer als Timagenes vermag neben Idunnu Münch als Nimbavati am meisten zu überzeugen. Dominik Köninger klarer hoher Bariton kann die Titelrolle nicht mit der zu erwartenden Persönlichkeitsstärke ausfüllen. Ruzan Mantashyan begegnet dem Part der Mahayama (Cleofide) zurückhaltend. Möglicherweise ist es auf Kupfers dramaturgische Dialektik zurückzuführen, dass Alexander der Große hier als Offizier Sir Alexander vom Tenor zum Countertenor wurde. Eric Jurenas‘ Timbre verliert in der Höhe an Klangschönheit, so wird Macht zur steifen Pose. Szene und Musik finden also nicht zusammen und es zeigt sich einmal mehr, dass eine ‚realistische‘ Figurenführung nicht immer eine gültige Methode zur Erschließung von Händels Opernschaffen ist.

 

Annotation:

Besuchte Vorstellung: Sa 04.05.2019, 19:30 Uhr, Komische Oper Berlin (Premiere: 16.03.2019): Poros. Oper in drei Akten (1731). Libretto nach dem dramma per musica „Alessandro nell’Indie“ von Pietro Metastasio. Nachdichtung aus dem Italienischen von Susanne Felicitas Wolf – Wieder am 25.06. – www.komische-oper-berlin.de.  veröffentlicht 05.05.2019

Was noch:

Im Spielplan ab 06.05.2019: M – Eine Stadt sucht einen Mörder. Oper in einem Akt von Moritz Eggert nach dem Kriminalfilm von Fritz Lang (Uraufführung)

 

Credits:

Fotos: © Komische Oper Berlin/Monika Rittershaus

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