Man wird finden, dass Form nicht einfach bloß Form ist: Form ist Charakter, vorausgesetzt, der Künstler besitzt ihn. Auch wird allenthalben von der Reinheit der Form gesprochen, sozusagen als ästhetisches Gebot, als Imperativ.Diese Forderung lässt außer Betracht, dass die Absicht des Bildhauers gerade darin bestehen könnte, neben „reinen“ auch ausdrücklich „unreine“ Formen ins Spiel zu bringen, um mittels solcher „Mischungen“ den Spannungsgehalt, das heißt den Reichtum im Werk zu mehren. Somit wäre der Imperativ ein halbes Ding nur.“ Theo Balden
Von Christine Dorothea Hölzig
Heinke Binder gehört zu den wenigen plastisch arbeitenden und in Leipzig ansässigen Künstlern, denn für den Kunstort, dessen Zentrum die Hochschule für Grafik und Buchkunst ist, sind Malerei, Grafik und Fotografie die wesentlichen Medien des bildnerischen Wirkens. Hinzu kommen einige Künstler, die erfolgreich installativ und performativ arbeiten. Reine Bildhauer und Plastiker leben kaum in Leipzig. Ursächlich hierfür ist sicherlich, dass es an der Kunsthochschule derzeit keine Ausbildung für den plastischen Bereich gibt. So wirken die Künstler häufig außerhalb ihres Wohnortes, sammeln auf Symposien, thematischen Projekten und Workshops neue Erfahrungen. So auch Heinke Binder. Geboren 1962 in Halle, führte ihr künstlerischer Werdegang von der Ausbildung als Scheibentöpferin im traditionsreichen thüringischen Bürgel zum Studium an die Hochschule für Kunst und Design Halle, Burg Giebichenstein. Wichtigste Lehrmeisterin dort war Gertraud Möhwald. Selber mit einer feurigen Liebe zum Material Ton ausgestattet, entwickelte sie experimentelle Wege zur keramischen Plastik und gab die Anregungen lehrend weiter. Bei Heinke Binder fielen sie auf fruchtbaren Boden. Seit 1987 freischaffend arbeitend, ringt sie mit der Keramik, mit ihren Themen und Ideen, zeigt sich nie befriedigt. In Leipzig betreibt die Künstlerin seit über zwanzig Jahren eine eigene Werkstatt an wechselnden Standorten, stets mit großem Brennofen und mit kreativer Kraft. Sie hat sich aber auch darüber hinaus Arbeitsmöglichkeiten geschaffen. Nicht nur, dass sie zu zahlreichen Symposien eingeladen war und immer wieder unter veränderten Rahmenbedingungen neue Möglichkeiten ausreizen konnte, sie hat sich durch ihre Zusammenarbeit mit Ziegeleien und Steinzeugwerken Chancen erarbeitet, sehr große keramische Kunstwerke herzustellen.
Am Beginn ihres künstlerischen Weges pflegte Heinke Binder zunächst eine Formensprache nah an der menschlichen Figur. Doch bald wendete sie sich einer spröderen Prägung zu. Sie abstrahierte, legte in der Figurenfindung Wert auf Statuarisches, Haltungen und Charakteristisches. „TORPAAR“, „Trio“ und andere Figuren der 90er Jahre sind Beispiele dafür. Ihr Thema erforschte sie vor allem durch die Untersuchung von Spannungsverhältnissen. Wichtig waren für sie Formgegensätze, etwa: runde, weiche Bäuche gegen eckige Schultergürtel. Die Gestaltungen schwankten zwischen architektonischem Aufbau und figürlichen Leibern. Wobei weder Köpfe wichtig waren, noch die geschlechtliche Bestimmung entscheidend. Masse und Schwere standen gegen Leichtigkeit und Offenheit, Großzügigkeit gegen feinste Detailbeschreibung. Bis in die Oberflächen hinein war diese Haltung prägend. Beeindruckend ist, wie Heinke Binder zur lebensgroßen, sogar überlebensgroßen Darstellung fand und so dem Betrachter ein eindringliches, ja provozierendes Gegenüber vorstellt. Ein erster Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Figurengruppe „Labyrinthos“ von 1996. Die Installation steht auch als Beispiel für etwas Anderes, Wesentliches im Schaffen der Künstlerin: Sie stellt sich Historie und Mythos. Die großen Figurengruppen – in der Kleinplastik, die Heinke Binder ebenfalls schafft, ist weitaus mehr Raum für Freies und Spielerisches – sind alle thematisch bestimmt. Zu der sechsfigurigen Gruppe „Labyrinthos“ hat sich die Künstlerin von der kretischen Legende um Minotaurus, Ariadne und das Labyrinth inspirieren lassen. Allerdings gilt ihre Auseinandersetzung auch dem Heute, nur so macht es für sie Sinn, diese uralte Geschichte künstlerisch neu zu interpretieren. Die Frauen und Männer befinden sich im Werk von Heinke Binder in einem durch Abstände definierten Zueinander, sind aber auch durch (labyrinthische) Steinwege voneinander getrennt. Die Spannungen knistern spürbar. Wer die Legende kennt, kann sie zur Interpretation nutzen. Aber die lebensgroßen keramischen Figuren kommen auch ohne sie aus. Sie schicken den Betrachter auf den Weg zu sich selbst, durch sein ganz privates Labyrinth.
Seit Ende des Jahres 2005 wagt sich Heinke Binder an eine realistischere Darstellung der menschlichen Figur. Mit großer Sicherheit und Zielgerichtetheit entwickelte sie 2006 die Gestalten der „Vier Winde“. Kraftvoll sind sie umgedeutet in vier Männerbüsten. Die Bildhauerin folgt traditionellen Vorstellungen, die den Winden – oft Himmelsrichtungen zugeteilt – einen speziellen Charakter zusprechen. Verengen muss der Betrachter aber seinen Blick auf die Gruppe nicht. Auch für Assoziationen über die vier Lebensalter bis hin zu den vier Jahreszeiten geben die Darstellungen Anregungen und Raum. Die individuellen Charakterköpfe sind eine wichtige Arbeit der Leipzigerin. Mit ihnen kehrt sie zu älteren Arbeitsansätzen zurück, angereichert um zwischenzeitlich erworbenes, auch experimentelles Können. „Kronions Winde“ sind formgewaltig, materialsicher, phantasievoll und überzeugend. Die hierin sichtbare Haltung ist wegweisend für die aktuellen Arbeiten von Heinke Binder. Auch die riesigen Figuren der Arbeit „.d`amour“ (Höhe 3,20 Meter) zum Richard-Wagner-Projekt „Episode X“ stehen dafür. Sie fanden innerhalb des Projektes Beachtung in der Ausstellung im Leipziger Stadtgeschichtlichen Museum. Zudem erfuhren sie 2008 und 2009 eine beeindruckende Aufstellung vor dem Haupteingang des GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig. Einen noch realistischeren Zugriff auf die menschliche Figur fand Heinke Binder für die Figuren Adam und Eva der Arbeit „VERDAMMT LANG HER!“. Mit ihr näherte sich die Künstlerin dem Thema „Paradies“ und der Herkunft des modernen Menschen. Neugierig, offen, unschuldig stellt sie die ersten Menschen inmitten von Natur.
In den ersten fünf Jahren des 21. Jahrhunderts widmete sich Heinke Binder hauptsächlich dem Thema Leib und der Arbeit mit Ziegeln. Die „Leiber“ werden vor allem durch ein gliederndes Bauen und Zueinander-Komponieren von körperhaften Teilen bestimmt. Sie sind hoch aufgewachsen, Träger von Charakteren und strahlen Selbstsicherheit aus. Sie stehen für ein Bekenntnis zu Körperhaftigkeit und Vitalität, gepaart mit Standfestigkeit und Bodenhaftung, um die Heinke Binder scheinbar stets bemüht ist. Weder „Leib und Seele“, noch das „Hundisburger Paar“ oder die Figuren der „Alten Geschichte“ – sie alle verlieren nicht den Boden unter den Füßen oder kommen aus der Balance. Den Boden unter den Füßen zu behalten – eine Grundbedingung für das Leben und eine Beschreibung für Heinke Binder selber, heißt aber nicht, dass sich die Künstlerin Phantasie oder Spieltrieb verbietet. Ihre „Filetstücke Dresdner Art“ sind ein gutes Beispiel für ihre Liebe zum Spielerischen, zum Entdecken, aber auch für ihre enge Beziehung zu ihrem Material – dem Ton. Dessen Eigenheiten und Besonderheiten reizt sie aus und variiert sie virtuos. Sie kennt ihn einfach – durch und durch. Sie formt ihn, nutzt Zufälligkeiten, spickt und nagelt ihn, sie öffnet Assoziationen, macht Lust zum Schauen und zum Berühren. Die Oberflächen sind stets wesentlich, denn sie sind das, worauf wir lesen können. Manchmal sind sie glatt, scheinbar weich, manchmal brüchig. Dann sind sie wie die Haut alter Menschen, sind gekennzeichnet, erzählen von Schicksalen, von Verletzungen, von Vergänglichkeit.
In den letzten zwanzig Jahren schuf Heinke Binder parallel zu den großen Figurengruppen, zu Kleinplastiken und Experimentalstücken stets auch lebensgroße, selbstbewusst wirkende Köpfe. In ihnen visualisiert die Künstlerin Typen, so den Harlekin oder Prinzessinnen unterschiedlicher Länder, gibt Jahreszeiten Gesichter und Charaktere. Und sie zeigt ihre Stärke, mit dem Material Ton, mit Engoben und kontrollierten Bränden ausdrucksstark und formbewusst zu wirken.