Besinnung auf das eigentliche Erbe.
Anfang April feierte das Annaberger Eduard-von-Winterstein-Theater sein 120jähriges Bestehen. Allein im Andenken an diesen unvergessenen Mimen der Theatergeschichte liegt eine große Verpflichtung. Anläßlich des Jubiläums haben die Theaterleitung und das Ensemble der Erzgebirgsstadt solche erweitert. Mit der Aufführung der Oper „Der Löwe von Venedig“ hat nach langer Zeit ein Annaberger den gebührenden Platz in seiner Heimatstadt gefunden: Heinrich Köselitz. Zu seiner besseren „Vermarktung“ hat ihm dazumal sein Lehrer und Freund, der Philosoph Friedrich Nietzsche, den Künstlernamen Peter Gast empfohlen. Gast übersetzte das Libretto „Die heimliche Ehe“ von Giovanni Bertati neu und schuf dazu eine eingängige Musik.
Von Frieder Krause
Opernkenner werden mit der „Heimlichen Ehe“ sofort Domenico Cimarosa in Verbindung bringen. Gast gab ihr mit dem „Löwen“ eine neue Version und mit dem Verwechslung ausschließenden Titel höhere Attraktivität. Allerdings ist ein Löwe außer der Sinnbildlichkeit zu Venedig schwer zu sichten. Zu vertraut ist die Story vom reichen Kaufmann Geronimo, der seine Töchter unter eine adlige Haube bringen möchte. Allerdings konnte er nicht ahnen, dass die jüngere Carolina bereits mit seinem Buchhalter Paolino verheiratet ist. So ist Raum für Mißverständnisse gegeben, die zum guten Schluss auf die notgedrungene Akzeptanz dieser Ehe und der erstrebten Haube für die ältere Elisetta hinauslaufen.
Friedrich Nitzsche sah in Peter Gast einen neuen Mozart und den Überwinder Wagners. Angesichts der schwungvollen, wohlklingenden Musik kann man dies bejahen. Dennoch kann diese komische Oper Anstriche zum Musikdramatiker Wagner nicht verleugnen. Denn anders als in anderen Vertretern ihres Genres kennt sie nur gesungenes, kein gesprochenes Wort. Das dürfte es ihr im Repertoirebetrieb nicht leicht machen. Es sei denn, sie wird mit so viel Liebe und Spielfreude wie in Annaberg umgesetzt.
Regisseurin Tamara Korber und Dramaturg Dr. Ingolf Huhn, der den Besuchern ein sehr informatives Programmheft zur Verfügung stellt, sparen nichts aus, was man schlichtweg mit Venedig in Verbindung bringt. Im praktikablen Bühnenbild Robert Schrags, das aufsteigend zentral zur Lagune und der Stadtsilhouette führt, begegnet man keifenden „Weibern“, mafiosen Typen, italienischen Genusswelten und natürlich den Gondeln. Intensiv hat Korber mit ihren Darstellern gearbeitet, die mit vielfältigen mimischen Mitteln die Typen der Handlung charakterisieren. Sei es der geschäftstüchtige Geronimo (László Varga), die um ihre Liebe besorgten Carolina (Madelaine Vogt) und Paolino (Frank Unger), der etwas eitle und in die Falsche verliebte Graf Robinson (Jason-Nandor Tomory) oder die herrlich skurile Elisetta (Bettina Grothkopf) und nicht minder Fidalma (Therese Fauser). Diese Leichtigkeit des Spiels ist auch dem kleinen Chor zu eigen.
Das Annaberger Theater hat für diese Produktion seine ersten Kräfte der jeweiligen Stimmfächer aufgeboten. So hat man Freude an tenoraler Strahlkraft (Unger), tiefen Basslagen (Varga), jugendlich vollem Bariton (Tomory) und gepflegter Altstimme (Fauser). Bettina Grothkopf vermag es, Leichtigkeit mit Dramatischen eines Soprans zu verbinden. Lediglich dem wohlklingend fließenden Sopran von Madelaine Vogt wäre hier mehr Textverständlichkeit zu wünschen.
Die Erzgebirgische Philharmonie Aue unter GMD Naoshi Takahashi ließ bereits in der Ouvertüre keinen Zweifel daran, mit welch hohem Anspruch man sich des musikalischen Erbes annimmt. Seine Reife bewies der Klangkörper zwei Tage später nach der von mir besuchten Vorstellung in einem Richard-Wagner-Festkonzert. Es bestätigte mit den Solisten Grothkopf, Unger, Tomory, Varga die von mir bereits öfter konstatierte Leistungsstärke dieses Theaterensembles.