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Semperoper: „Die Frau ohne Schatten“ als Abschiedsgeschenk

Semperoper: „Die Frau ohne Schatten“ als Abschiedsgeschenk

Christoph Thielemann dirigiert Richard Strauss – Regisseur David Bösch tat sich schwer

Die Semperoper in Dresden war nach Wien 1919 Ort der zweiten Erstaufführung von „Frau ohne Schatten“. Und schon damals beklagte der Komponist eine unbefriedigende szenische Umsetzung. Das mit Symbolik und Bedeutung überfrachtete Libretto Hugo von Hoffmannsthals ist nach 105 Jahren nicht weniger herausfordernd, wie die Neuinszenierung belegt.

Von Moritz Jähnig

Die Frau des Färbers Barak, überragend Miina-Liisa Värelä, sucht mit allen sich ihr bietenden Mitteln den sozialen Aufstieg.

Die Amme wacht vor einem durch bodenlange weiße Schleider verdecktem Ehebett des Herrscherpaares. Sie verschwört sich vor diesem monumentalen Bild mit einem Boten Keikobats, des Königs der Geisterwelt und Vater der Kaiserin. Wenn ihre Herrin nicht binnen Tagen einen Schatten wirft, also Mutter zu werden verspricht, dann würde ihr Gatte, der Kaiser, zu Stein erstarren. Davon nichts ahnend begibt sich der Kaiser am Morgen für mehrere Tage auf Jagd.

Da der Schatten nicht von allein kommt, will die zauberkundige Amme ihrer Kaiserin auf anderem Wege, nämlich durch Kauf, dazu verhelfen. Zu diesem Behuf bringt sie die hohe Frau mit den niedrigen Erdenbewohnern zusammen. Konkret mit dem Färber Barak und dessen mürrischer Frau. Die lehnt das Kinderkriegen für sich rigoros ab und stöhnt nervig unter den vielfältigen Anstrengungen ihres Standes. Äußerlich und innerlich verwahrlost hockt sie in der unaufgeräumten Wohnung vor dem Fernseher und strebt nach höherem. Eine solche Frau wird, so kalkuliert die Amme, ihren als lästig empfundenen Schatten verkaufen.

Doch dieser Plan soll nicht aufgehen. Der Kaiserin ist der redliche Färber Barak vom ersten Moment an zugetan. Sie lehnt es ab, den Schatten der Färbersfrau anzunehmen. Diese moralische Haltung verleiht ihr einen neuen, nah dem Hofmansthalschen Denken höheren Wert. Jetzt muss sie nicht mehr ins Reich ihres Vaters Kaikobat zurückkehren. Fortan begleitet sie ein eigener Schatten.

Die Färbersfrau andererseits entdeckt plötzlich bei sich Gefühle für ihren von der Amme mit Zauber eingeschläferten Ehemann. Einsichtig fügt sich diese Frau in ihre Aufgaben.

Ausstattung kennzeichnet die diskrepanten Lebenssphären

So wie Hugo von Hofmannsthals es in seinen Regieanweisungen vorgibt, haben 2024 in Dresden die Ausstatter Patrick Bannwart (Bühne) und Moana Stemberger (Kostüme) die diskrepanten Sphären, in denen sich die Märchenfiguren bewegen, klar in eine Geister- und eine Erdenwelt getrennt. Das steht für die Welt der Eliten hier und da für die Ebene der Präkarier.

In der Sphäre der Erdenbewohner: Miina-Liisa Värelä (Baraks Frau), Evelyn Herlitzius (Die Amme), Camilla Nylund (Die Kaiserin), Tilmann Rönnebeck (Der Einarmige), Oleksandr Pushniak (Barak), Tansel Akzeybek (Der Bucklige), Rafael Fingerlos (Der Einäugige), Kinderchor der Semperoper Dresden

Zwischen der verdreckten Erdenwelt der Baraks und der von weißen Schleiern umwehte Welt des Kaiserpaares nebst ihrem Werkzeug, der Amme, verkehrt einen Lastaufzug. Aus ihm quellen – dem Libretto nun gar nicht mehr entsprechend – ein komplettes Team aus halbnackten Jünglingen, um die karrieregeile Frau zu manipulieren. In der Partitur steht nur ein tenoraler Verführer, den die Dresdner Regie hinter die Szene verbannt. Dort groß im Format gesungen von Martin Mitterrutzner. Warum solch ein Gag zu Ungunsten des Gesangs? Mutmaßlich um die heute schwer verstehbaren Haltungen jugendkonform zu machen. 

Optisch wirkungsvolles Vogeltier

Gelegentlich taucht ein übergroßer weißer Falke vor schwarzem Bühnenhimmel auf. Dieses fliegende Wesen mit großen Augen trägt den versteinerten Kaiser davon oder entrückt letztlich die komplette kaiserliche Welt, die wie in einem Container gezwängt im Fahrstuhl steckt, in höhere Gefilde – ein gelungenes theatralisches Moment. Zur Deutung trägt es nicht bei.

Die Kaiserin, Camilla Nylund, wird emporgehoben von einem weißen Falken, lang wehnende Schleicher kennzeichnen die Sphäre der Geisterwelt

Rückt dem Zuschauer das dominante, federfummlige Vogeltier fast zu Leibe, halten ganz anders die scherenschnittartigen Videoprojektionen (Patrick Bannwart, Falko Herold) wieder Distanz.

Die Inszenierung von David Bösch ist nicht wider die Musik. Sie ist weder geschmacks- noch einfallslos. Sie läuft halt so ab und streift existenzielle Themen bestenfalls.

Von einem großen Opernabend darf aber eine konzeptionelle Rückäußerung auf alle inhärenten gesellschaftlichen Fragestellungen erwartet werden. Bleibt sie szenisch unleserlich, kommt es zu der in dieser Semperoper-Produktion erlebbaren Unwucht im Gesamteindruck.

Sensationelle musikalische Interpretation

Denn die musikalische Seite der „Frau ohne Schatten“ unter der Leitung des nach 14 Jahren von Dresden Abschied nehmenden Chefdirigenten Christian Thielemann muss unvergesslich genannt werden. Sie hat einen aufs Äußerste eigenen Charakter und beschäftigt sich mit Richard Strauss‘ neben dem „Rosenkavalier“ zweiten Hauptwerk für die Opernbühne interpretatorisch sensationell durchsichtig und vielschichtig. Seinen Sängern hilft Thielemann kapellmeisterlich und klangvisionär zugleich durch die großen Linien.

Szene mit Camilla Nylund (Die Kaiserin) und Nikola Hillebrand (Ein Hüter der Schwelle des Tempels)

Die Staatskapelle erhält alle Zeit der Welt, um mit ihrer Strahlkraft und vornehmlich ihrer reifen Fülle eine eindrucksvolle Raum-Klang-Installation zu errichten. Der Abend ist magische Einladung, Richard Strauss Musik auf verzweigtem Laubengang in einem sommerlichen Garten zu durchschreiten und den Fragen des Lebens nachzuspüren.

Ausgeglichen gutes Solistenensemble

Nicht zuletzt ist es ein Abend der bedeutenden Sängerinterpreten. Die junge finnische Sopranistin Miina-Liisa Värelä die Färberin ist ein klangintensives und interpretatorisch grandioses Erlebnis. Camilla Nylund als Kaiserin sucht ihren Schatten, um Menschen werden zu können. Evelyn Herlitzius singt die dritte große Frauenpartie, die undurchsichtige aber selbst fremdbestimmte Amme.

Oleksandr Pushniak als Barak von großer Ausstrahlung bei seinem verzweifelten Ringen um Liebe, Verständnis und Anerkennung. Eric Cuthlers bringt den edlen tenoralen Glanz für den Kaiser mit.

Auch alle anderen Partien erfahren eine erstrangige Besetzung. Der tosende Beifall für das Abschiedsgeschenk des nunmehrigen Ex-Chefdirigenten der Staatskapelle stimmt noch einmal sehr nachdenklich, wieso es zu dieser Trennung kommen konnte.

Annotation

Die Frau ohne Schatten“, Oper in drei Akten von Richard Strauss. Semperoper Dresden.

Inszenierung David Bösch, Bühnenbild Patrick Bannwart, Kostüme Moana Stemberger, Licht Fabio Antoci, Videodesign Patrick Bannwart, Falko Herold, Chor André Kellinghaus, Kinderchor Claudia Sebastian-Bertsch, Dramaturgie Johann Casimir Eule

Premiere 23.3.2024; besuchte Vorstellung 27.3.2024; veröffentlicht 1.4.2024

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig

Foto (4): © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

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