Durchdachte Schachzüge und 5023 Kostümteile.
Die mit der Erstaufführung von „Buddy Holly“ Anfang der 90er Jahre begründete Altenburger Musicaltradition hat derzeitig eine neue Farbe erhalten. Nach der kräftezehrenden Diskussion um die finanzielle Absicherung des Fünfsparten-Theaters in Altenburg/Gera ist mit „Chess“ ein Signal für neue künstlerische Bestleistungen an diesem Hause gesetzt worden. Generalintendant Kay Kuntze und sein Bühnenbildner Duncan Hayler erzählen in ihrer Inszenierung die fiktive Geschichte um den brisanten Schachwettkampf Fischer gegen Spasski 1972 in Rejkjavik mit der Musik der ABBA-Herren in eindrucksvollen wie bewegenden Bildern.
Von Frieder Krause
Vielleicht hat Kuntzes Jugend direkt an der Westberliner Mauerseite seine Sicht auf diese Geschichte geprägt, um sie so ernsthaft und – wenn nötig – mit gebotener Schärfe zu inszenieren. Älteren Besuchern wird dieser Rückblick in die Zeit des Kalten Krieges mitunter nicht leicht fallen, für Jüngere könnte er durchaus Geschichtsunterricht sein. Hayler hat ihm dafür ein praktikables Bühnenbild geschaffen, dass Möglichkeiten für eine vielfältige Show eröffnet und effektiv mit vier großen Objekten – gleich Panzern – arbeitet, die mal Hotelzimmer, mal Tempel sein können. So werden durchdachte Schachzüge zu durchdachten Spielzügen, die sportlichen Wettkampf und Weltpolitik ins Brennglas stellen. Öffentlicher Raum und Privatsphäre pendeln in ihm bis zur Orientierungslosigkeit zwischen Hass, Verlogenheit, Kontrolle, Freude und Liebe. Dafür stehen solche Szenen wie die Grenzkontrollen, die Pressekonferenzen und der Wettkampf selber mit seinen Eröffnungsfeiern. Aber auch Florences Angst um den Vater oder die, die nur ganz einfach die Sehnsucht nach Liebe und alleiniger Sportausführung ausdrücken.
Dem Regisseur stehen für die Umsetzung seiner Ambitionen Darsteller zur Verfügung, die diese Spannungen und Charakterisierungen packend darstellen können. Dies gilt für das Gästedreigespann in den Hauptrollen Florence (Anne-Mette Riis), Frederick (Alexander Melcher) und Anatoly (Christian Alexander Müller) wie für die hauseigenen Solisten Vanessa Rose (Svetlana), Alexander Voigt (Arbiter), Kai Wefer (Molokov), Erik Slik (Walter) und reicht bis zur kleinsten Nebenrolle. Letztere übernehmen vorrangig Chorsolisten des überaus variablen und spielfreudigen Ensembles.
Auch musikalisch lässt Altenburgs neueste Musical-Offerte kaum Wünsche offen. Thomas Wicklein als musikalischer Leiter versteht es, die vielfältigen Farben der Musik von Benny Andersson und Björn Ulvaeus im Spektrum vom Sinfonischen Orchester und Band harmonisch zusammenzufügen. Tonmeister Roland Hansen sorgt zudem für den typischen Musicalsound. Riis, Melcher und vor allem Müller setzen ihre professionellen Musical-Stimmen ein, brillieren nicht nur bei den Disco-Hits. Erfreulich, dass Rose, Voigt, Wefer und Slik dem keinerlei „Löcher“ entgegensetzen.
Kuntze und Hayler haben es zudem verstanden, den ernsthaften Konflikten den nötigen Showwert – speziell im italienischen und thailändischen Lokalkolorit – beizufügen. Zu diesem tragen das Thüringen-Ballett in der Choreographie von Götz Hellriegel, die Beleuchtung sowie alle Gewerke bei. Hinter der Bühne ist Bestorganisation unter der Leitung von Hans-Jürgen Lorenz angesagt, allein die Ankleider haben den Wechsel von 5023 Kostümteilen zu meistern.
Verdienter Jubel zur ausverkauften Premiere.
Premiere 07.10.2012
Weitere Vorstellungen unter: www.tpthueringen.de