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Leipzig: Techno und Zeit-Geister

Leipzig: Techno und Zeit-Geister

„Altbau in zentraler Lage“ – eine Schaueroper von Raphaela Bardutzky in der Diskothek uraufgeführt

Nach “Fischer Fritz” führt das Schauspiel Leipzig jetzt „Altbau in zentraler Lage“ von Raphaela Bardutzky in der Diskothek urauf. Hatte die Münchner Autorin ihren Text 2022 als „Sprechtheater“ annonciert, darf es jetzt „Eine Schaueroper“ sein. Und wahrlich jagt das Schauer über den Rücken, nicht nur wenn vielleicht die eigene Mietwohnung im Portfolio eines unerreichbaren Immobilienunternehmens steckt.

Von Moritz Jähnig

Szene mit Eyk Kauly, Sonja Isemer, Paula Winteler; dahinter Athena Lange, Michael Pempelforth, Samuel Sandriesser

„Altbau in zentraler Lage“ ist ein vorzüglicher Theatertext, der zahlreiche Ansatzpunkte bietet. In diesem Auftragswerk des Leipziger Schauspiels wird weniger die Macht der Immobilienbranche vorgeführt, als die Macht der Kommunikation. Wenn die Kommunikation zwischen Menschen nicht funktioniert, scheitert alles. Wer die Botschaft, die uns erreichen soll, nicht versteht, spielt mit dem Leben.

Eine tragisch scheiternde Liebesgeschichte

Das erzählt Raphaela Bardutzky am Beispiel der tragisch scheiternden Liebesgeschichte zwischen Zoey und Trisha.
Die nachts in einem Club arbeitende Zoey (Paula Winteler) hat nach ihrem prekären Job morgens keine Energie mehr, um die zahlreichen Briefe ihres Vermieters zu öffnen und zu lesen. Ihre gehörlose Nachbarin Trisha (Athena Lange) fühlt sich durch die ständigen Anrufe des Vermieters verunsichert. Sie kann sie als Gehörlose nicht 1:1 entgegennehmen. Trotz ihrer konträren Persönlichkeiten finden die beiden Frauen eine gemeinsame Sprache und nähern sich darüber an – vielleicht sogar zu einer Liebesbeziehung.

Tragische Sprachbarrieren

Mit Briefpost und Handyterror sollen die Mieterinnen zu einem freiwilligen Auszug gedrängt werden, da der Eigentümer seine Immobilie sanieren, verkaufen, abbrennen oder anderweitig verwerten möchte. Während die besonnene Trisha die Zeichen der Zeit erkennt und ihre Wohnung aufgibt, verfällt die hibbelige Zoey in eine Art Starre. So wird sie zum Opfer, das schließlich auf die Straße gesetzt wird – wo sie von einem LKW erfasst und tödlich verletzt wird.
War die Sprachbarriere schuld? Ganz große Oper. Das Ende erinnert an ein Drama von Gerhard Hauptmann. Doch die Autorin belässt es nicht dabei und setzt zeitgemäß ein moralisierendes Plus hinzu: In einem Monolog wendet sich die ihr Versagen erkennende Trisha direkt ans Publikum und mahnt zu mehr Achtsamkeit. Unerwartet flink mutiert die Schaueroper so zum Rührstück.

Als Gespenster Samuel Sandriesser, Eyk Kauly, Sonja Isemer und Michael Pimpelforth als Hausmeister Wailer

Zwischen Schaueroper und Opernparodie

Der spielerisch klingende Begriff der Schaueroper, unter dem jeder seine Beziehung zur eigenen Hausverwaltung mitlesen darf, wird durch kühne musikalische Zitate aus der Welt Wagners und anderer Komponisten angespielt. Hier grüßt die Kunstform Opernparodie um die Ecke: etwa, wenn der Hausmeister zu den Klängen des Vorspiels aus Tristan und Isolde auf Geistersuche geht.
Zu den Vorläufern unserer zeitgenössischen Gruselmoden gehört weniger Richard Wagner als Heinrich Marschner, insbesondere seine in Leipzig 1823 uraufgeführte Schaueroper Der Vampyr. Dieses Werk hat es seither nicht mehr vermocht, auf der Leipziger Opernbühne zu reüssieren – trotz seiner gewaltigen, einmalig schönen Musik. Dazu mussten Leipziger nach Erfurt oder Radebeul reisen. Eine hoch zu rühmende Ausnahme blieb ein Gastspiel der Bremer Stadtschmusetanten 1991, das den Vampyr auf der Großen Bühne im Schauspielhaus heimführte.

Geister der Vergangenheit

„Altbau in zentraler Lage“ zeigt viele schaurige Seiten des Lebens: Die makaber humorvoll vorgetragenen gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Entmietung oder die Idee, dass Mieter der vergangenen Tage noch immer durch ewige Entrechtung und Mietkündigung traumatisiert sind und als Gespenster in unseren Wohnungen mit uns leben.

Kunstvolle Inszenierung voller Kontraste

Die Uraufführung wurde von Salome Schneebeli in einem Bühnen-, Licht- und Videoraum von Heta Multanen inszeniert. Die drei Hausgespenster – Samuel Sandriesser, Eyk Kauly und Sonja Isemer, letztere ebenfalls als überkandidelte Gespensterjägerin – plustern sich mit zerzausten Barockperücken auf. Die Kostüme sind unaufdringlich trashig.
Es gibt Doppelbesetzungen in verschiedenen Rollen, jeweils als Hörende und Nichthörende. Michael Pimpelforth gibt einen skurrilen Hausmeister. Wir erleben viel präzises Schauspiel, das sich absichtsvoll eng an der Grenze zum großen Klamauk bewegt.

Zoey, Paula Wintler, endet obdachlos in der U-Bahnstation


Auf der Bühne dreht sich ein Kubus, der drei Spielorte zeigt: das bescheidene Zimmer Zoeys, eingerichtet mit Möbeln aus Gründerzeiten und der DDR; das enge Schlafzimmer Trishas mit einem Schrankbett; und eine gekachelte U-Bahn-Station.
Die Videoprojektionen – überrascht denk man an Brechts Theater – geben Hinweise, wo das Geschehen gerade angekommen ist. Die Bilder flimmern grobkörnig, wie einst in den 1960ern das Westfernsehen bei schlechtem Wetter oder überschwemmen verschieden farbig den Raum. Trotz der optischen Üppigkeit und der durch bilinguale Besetzung erzeugten Vielstimmigkeit verliert das Publikum nie den roten Faden. Es muss sich rund 100 Minuten lang etwas konzentrieren und wird mit bester Unterhaltung reich belohnt.

Annotation

„Altbau in zentraler Lage“ Eine Schaueroper von Raphaela Bardutzky, Künstlerische Mitarbeit Athena Lange. Auftragswerk des Schauspiel Leipzig, Uraufführung in Diskothek. Regie und Choreographie: Salome Schneebeli, Bühne, Kostüme und Video: Heta Multanen, Dramaturgie: Matthias Döpke, Licht: Thomas Kalz, Ton: André Rauch, Inspizienz: Luisa Rubel, Soufflage: Christiane Wittig, Regieassistenz: Emily Huber, Bühnenbild- und Kostümassistenz: Carolin Schmelz, Maske: Norbert Ballhaus, Astrid Storch, Requisite: Jörg Schirmer, Bühnenmeister: Mattheo Fehse, Regiehospitanz: Lara-Chayenne Zwickert.

Mitarbeit Gebärdensprache: Rahel Doehring-Jahn, Deaf Supervisor: Andreas Costrau, Günter Przybylski, Gebärdensprachdolmetschende: Nathalie Fasold, Sarah Harzer, Kristin Lehmann, Nanke Maart, Julia Mischke, Charis Rasch, Theresa Rauch, Anne Winkler

Besetzung

Paula Winteler als Zoey Drope, Athena Lange als Trisha Flice / Mrs Honeycrunch, Michael Pempelforth als Jeff Wailer / Mr Averige / Mrs Honeycrunch, Samuel Sandriesser als Gespenst / Mrs Graham, Eyk Kauly als Gespenst / Mrs Graham / Mrs Badger, Sonja Isemer als Gespenst / Mrs Badger / Grace Lightly

Premiere der Uraufführung und besuchte Vorstellung 22.11.2024; veröffentlicht 23.11.2024

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig, Herausgeber

Foto: © Rolf Arnold

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