Richard Strauss „Intermezzo“ 100 Jahre nach der Uraufführung wieder auf einer Dresdner Bühne
In der Weise wie dieSemperoper Dresden Richard Strauss Oper „Intermezzo“ unter jubelndem Beifall des Publikums auf die Bühne gebracht hat, kann das nur die Semperoper. Sachsens Staatsoper zitiert in ihrer Neuinszenierung 100. Jahre später ripetitivo die 1824 dort stattgehabte Uraufführung.
Von Moritz Jähnig
Bühnenbild und Kulisse: Graphic Novel trifft Scherenschnitt
Das barocke Dresdner Bühnenportals umkränzt eine Scherenschnittartige Kulisse in schwarz-weißer Jugendstiloptik, in der die Geschichte des Ehepaares Hofkapellmeister Robert Storch, alias Richard und Pauline Strauss erzählt wird. Der sich in vielfältiger Weise immer wieder schnell wandelnde Bühnenraum, der den speziellen, durchaus hintergründigen Humor des Librettos kongenial aufnimmt, stammt von Saskia Wunsch.
Humorvolle Filmeinschübe und witzige Inszenierungsideen
Die Neuinszenierung von Axel Ranisch spielt die Geschichte der Uraufführung gleich witzig mit. Auf einer Leinwand im Bühnenhintergrund sehen wir das Ehepaar Strauss in der Theaterloge. Frau Christine zeigt sich zunehmend genervt davon, wie Robert ihre Person auf der Bühne darstellt. Demonstrativ empört verlässt Madame den Gatten und die Loge, und wir beobachten per Videoübertragung, wie sie planlos durch die publikumsleeren Foyers geistert. Sie kippt die Sektreste aus den herumstehenden Gläsern und führt schließlich, mit der Büste ihres Gatten im Arm, trunkig den Tanz der Salome auf.
Ein wenig später flaniert das Ehepaar Strauss in der Pause ganz real mit dem Opernpublikum und landet wieder auf der Bühne, wo es zwischen den Strauss’schen Opernfrauen operettenselig Walzer tanzt. Christine wird gerührt, und das Ehepaar zieht sich diskret zurück, um schließlich derangiert, aber glücksstrahlend, wieder in der Loge Platz zu nehmen. Gemeinsamkeit als Happy End.
Anlass für das die Gattin provozierende Opernstück sind vermeintliche Untreue-Episoden aus dem Strauss’schen Eheleben, die der Tondichter vergleichsweise plump realistisch auf der Bühne auszuposaunen gedenkt – was sie so nicht öffentlich gemacht sehen will. Hugo von Hofmannsthal war für diesen Stoff seine Arbeitszeit zu schade. Also setzte der alte Herr seinen Kopf durch und verarbeitete das eigene Libretto „unkuratiert“ selbst.
Wo eine Zeitenwende deutlich wird
Richard Strauss war mutmaßlich stolz auf seine Ehe- und Lebensführung. Nach heutigen Maßstäben dürfte er kein durchweg angenehmer Mensch- und Männertyp gewesen sein. Diese Behauptung soll nicht durch den Hinweis auf tägliches, sein persönliches Leben strukturierendes Skatspiel erhärtet werden. Aber die Skatrunde zeigt, wo Strauss sich selbst im bürgerlichen Spektrum verortete.
Als Librettist bringt er sich und seine Kumpels in der Skat-Szene sprachlich lebensecht auf die Bühne. In der vertrauten Männerrunde a la Feuerzangenbowle verkehrt man übrigens per Sie. Etwas, das im Jahr 2024 unvorstellbar geworden ist, wo jede Selbstbedienungskasse in der Drogerie sich kumpelhaft an die Kunden ranschwänzelt: „Möchtest Du Treuepunkte?“
Ein selbstgefälliges Rezept und konservatives Frauenbild
Das launige Geplänkel vom friedvollen ehelichen Zanken muss schon vor hundert Jahren nicht jedermann geheuer gewesen sein. 1924 brachte Richard Strauss, 60 Jahre, sein selbstgefälliges Rezept für ein sorgenfreies Leben in einer „Bürgerlichen Komödie in zwei Aufzügen“ heraus. 1929 hielt ein gewisser Paul Hindemith, 34 Jahre jung, in einer „Lustigen Oper in drei Teilen“ mit dem Titel „Neues vom Tage“ seine großstädtische Sicht auf öffentlich ausgetragenen Ehekrach dagegen. Von ihm wird die Kommunikation von ehelichen Fehltritten in der Öffentlichkeit als gutes Geschäft entlarvt.
Und noch ein Gedanke: Für das Frauenbild, das Richard Strauss zeichnet, ist der Ausdruck mit „konservativ“ noch geschmeichelt. Seine Christine ist zwar starkwillig und bereit, den Ehemann zu verlassen, aber Ehemann Richard zeichnet seine Frau Pauline nicht überzeugend als eine, die das realisierte. Gesungen und hervorragend verkörpert wird Hofkapellmeister Storch von Christoph Pohl.
In „Intermezzo“ gesteht Strauss, dass in all seinen großen weiblichen Opernfiguren Nuancen des Wesens seiner Ehefrau aufschienen. In der Neuinszenierung treten die anderen Seiten der Pauline Strauss als Unterstützerinnen auf. Eine theatralisch sehr produktive Idee. Nun folgen der männlichen Hauptfigur Hofkapellmeister Robert in der Semperoper gleichfalls vier Kerle plus dem Hausfreund Baron Lummer (James Ley). Die personalisiert und im tieferen Wortsinn „verdichtet“ hätte man sich als Zuschauer – nicht nur wegen der Gender Equality – geradeso personalisiert gewünscht.
Sehr gelungen ist der Einstieg in die Handlungswelt mit dem Strauss-Lied „Cäcilie“ (op. 27/2). Christine (Maria Bengtson) führt sich mit seinem Vortrag als eine berufstätige Frau und eigenständige Künstlerin ein – was sie ja vor der Ehe war.
Die Musik als zeitlose Meisterleistung
Der Grund, warum „Intermezzo“ weiterhin den Weg auf die internationalen Bühnen findet, ist die unvergleichliche Musik, in die Richard Strauss sein Werk gekleidet hat. Seine Komposition lässt alle Widerworte verstummen.
Die Sächsische Staatskapelle ist das Richard-Strauss-Orchester par excellence. Wer die Zartheit, das hörbar fröhliche, leichte Gleiten der Streicher in der Rodelpartie in der Semperoper gehört hat, wird dem beipflichten. Jubele für die Staatskapelle unter Leitung von Patrick Hahn.
Also Oper ist „Intermezzo“ vom Komponisten sorgfältig durchdacht gearbeitet. Strauss legte eine vom Üblichen abweichende ungerade Besetzung im Orchestergraben fest. Sie macht den Klang nicht zu groß und nicht zu klein für die Konversation auf der Bühne.
Fazit
Wunderbare Musik. Eine überzeugende Inszenierung. Sich den Inhalt bewusst zu machen, ist hundert Jahre später nun an der Zeit.
Annotation
“Intermezzo”, Eine bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen in zwei Aufzügen. Musik und Libretto von Richard Strauss. Semperoper Dresden. Musikalische Leitung: Patrick Hahn, Inszenierung: Axel Ranisch, Bühne: Saskia Wunsch, Kostüme: Alfred Mayerhofer, Licht: Fabio Antoci, Video: Falko Herold, Choreografie: Michael Tucker, Dramaturgie: Jörg Rieker
Besetzung
Christine: Maria Bengtsson, Hofkapellmeister: Robert Storch: Christoph Pohl, Anna: Ute Selbig, Baron Lummer: James Ley, Der Notar: Bernhard Hansky, Die Frau des Notars: Sabine Brohm, Ein Kapellmeister: Jürgen Müller, Ein Kommerzienrat: Anton Beliaev, Ein Justizrat: Martin-Jan Nijhof, Ein Kammersänger: Tobias Kehrer, Resi: Sofia Savenko, Pauline: Katharina Pittelkow, Richard: Erik Brünner, Sächsische Staatskapelle Dresden
Premiere 1.11.2024; besuchte Vorstellung Tag der Uraufführung 4.11.2024; veröffentlicht 7.11.2014
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig
Foto: © Monika Rittershaus