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Leipzig: Freundschaft ausgeschlossen

Leipzig: Freundschaft ausgeschlossen

„Die Bridgetower-Sonate“ von Amanda Wilkin am Schauspiel Leipzig uraufgeführt

Amanda Wilkins Theatertext erzählt ein Stück europäische Musikgeschichte neu als vielschichtigen, zeitlosen Konflikt. In Leipzig machen ihn fünf Darstellerinnen und Darsteller zu einem Abend großer Schauspielkunst, der innerlich aufregt.

Von Moritz Jähnig

Szene aus „Die Bridgetower-Sonate“ in der Spielstätte Diskothek, Schauspiel Leipzig

Zum Mythos um den Musiktitanen Ludwig van Beethoven gehört nicht nur sein tragisches Erkranken mit Gehörverlust, sondern auch die Anekdoten über zähes Ringen um den ersten Platz im Musikbusiness seiner Zeit sowie seine Sorge den eigenen geschichtlichen Rang. Es ging ihm um künstlerischen Erfolg und Sponsorengeld. Dafür werden bekanntermaßen nicht die feinsten Mittel angewendet.

1803 lernte Beethoven in Wien den aus England anreisenden afro-europäischen Violin-Virtuosen George Bridgetower (getauft auf Hieronimo Hyppolito de Augusto) kennen. Von dem vorgeblichen „Sohn eines afrikanischen Prinzen“ ging wohl eine ganz besondere Faszination aus. Auch Beethoven, 33 Jahre alt, wird von der exotischen Aura des 25jährigen Bridgetower gefangen genommen. Eine Jung-Männerfreundschaft. Auf jeden Fall muss er ihn als Musiker schätzen gelernt haben. Denn beide Künstler traten in Wien nachweislich gemeinsam auf und führten eine „Bridgetower-Sonate“ genannte Komposition Beethovens gemeinsam zum Erfolg.

Amanda Wilkin ist eine Dramatikerin, Schauspielerin sowie Jazz- und Blues-Songwriterin aus London. Ihr Stück „And I dreamt I was drowning“ wurde aus über 350 eingereichten Stücken für den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens ausgewählt. Sie gewann den Preis eines Werkauftrags am Schauspiel Leipzig, mit welchem sie sich erstmals auf der Diskothekbühne vorstellt.

Es bleibt Spekulation, warum Beethoven sein Werk kurz darauf nicht mehr seinem farbigen Freund, sondern dem in Paris lebenden Geiger Rodolphe Kreutzer widmete. Möglicherweise versuchte er, auf dem französischen Musikmarkt Fuß zu fassen. Der Name „Bridgetower“ wurde gestrichen und von der europäischen Musikwelt schließlich vergessen.

Dass dieser Vorgang kein Einzelfall ist, belegen zahlreiche Namen, die in der Leipziger Spielstätte Diskothek vor Beginn der Handlung an die Bühnenwände projiziert werden. Die Liste der Unterdrückten, Vergessenen, Vernichteten ist endlos und man folgt ihr nicht ohne Scham über seine eigene Unkenntnis.

Konzentration auf die Figurenbeziehungen. Szene aus „Die Bridgetower Sonate“

Die Bühne, gestaltet von Alexander Grüner (Licht: Thomas Kalz, Video: Kai Schadeberg), wirkt hell und besteht aus einem Treppenpodest, einer Chaiselongue und einem durch Licht strukturierten Fußboden. Die Kostüme sind sorgfältig gearbeitet und vermitteln eine zeitlos elegante Garderobe der besseren Gesellschaft.

In dieser edlen Atmosphäre ringen die beiden Alpha-Künstler, Beethoven und Bridgetower, um Exzellenz und Bedeutung. Sie repräsentieren nicht nur zwei ehrgeizige junge Männer, sondern stehen symbolisch für zwei Welten: die der weißen, europäisch-aristokratischen Oberschicht und die des farbigen „Irgendwie-Europäers“, der nie ganz dazugehört hat.

Höhepunkt der Konfrontation der zwei Konkurrenten und des Abends ist der Moment, in dem Bridgetower, sehr eindrucksvoll in seiner Zurückhaltung Selam Tadse, bereit ist, sich völlig aufzugeben. Er kriecht zu Kreuze, um seinen Anteil an Anerkennung zu bekommen. Natürlich aussichtslos. Beethoven, Wenzel Banneyer, ist ein Egomane. Pausenlos werkelt und fummelt er, ist mit Abwehr beschäftigt, könnte gar nicht teilen. Seine Welt ist zementiert.

Der farbige Violinist George Bridgetower – von der Musikgeschichte vergessen

Geschickt hat die Autorin drei weitere Figuren aus der weißen Oberschicht hinzugestellt:  Anna, Isabel Tetzner, und Christophe, Markus Lerch, bilden als Ehepaar eine Gemeinschaft in Dauerspannung. Bemüht den gesellschaftlichen Gepflogenheiten genüge zu tun und mit dem inneren Machtausgleich beschäftigt. Christophe ist ein eitler Maker, der seinem kleinen Weibchen gerade so viel Gefühlsfreiheit lässt, dass die Kleine funktioniert und er sie im Griff behält. Anna ihrerseits steckt in einer homoerotischen Beziehung mit der weltläufigen Clara, Paulina Bittner. Ihr Außenseitertum, beruht nicht in erster Linie auf der sexuellen Ausrichtung. Ihre Reisen als Frau formen sie zu etwas Besonderem, zu einer auch Beneideten, einer, die nicht dazu gehört und anders ist. Wie Bridgetower ist auch Claras Wohl und Wehe vom Wohlwollen und Aufträgen aus der Gesellschaft abhängig.

Die fünf Darstellerinnen und Darsteller überzeugen mit präziser Mimik und sparsamer Gestik und bringen die gesellschaftlichen und psychologischen Ebenen der Konflikte eindrucksvoll zur Geltung. Sie sind die Essenz dieses Schauspielabends, den man betroffen und nachdenklich verlässt.

Annotation

„Die Bridgetower-Sonate“, von Amanda Wilkin, Deutsch von Aidan Riebensahm, Uraufführung eines Auftragswerkes des Schauspiel Leipzig. Diskothek. Regie: Adewale Teodros Adebisi, Bühne & Kostüme: Alexander Grüner, Musik: Stella Goritzki, Dramaturgie: Marleen Ilg, Licht: Thomas Kalz, Video: Kai Schadeberg, Ton: Alexander Nemitz, Inspizienz: Jens Glanze, Soufflage: Ditte Trischan, Regieassistenz: Johannes Ernst Richard Preißlerm, Kostüm- & Bühnenbildassistenz: Sabine Born, Maske: Norbert Ballhaus, Astrid Storch

Requisite: Jörg Schirmer, Bühnenmeister: Mattheo Fehse, Regie- & Dramaturgiehospitanz: Caroline Hain, Ausstattungshospitanz: Charlotte Lucie Lilli Krauspe, Greta Zoe Wach, Theaterpädagogische Betreuung: Nele Hoffmann

Besetzung

Selam Tadese als George Bridgetower, Wenzel Banneyer als Ludwig van Beethoven, Paulina Bittner als Clara, Isabel Tetzner als Anna, Markus Lerch als Christophe

Premiere 6.4.2024; besuchte Vorstellung 16.4.2024; veröffentlicht 18.4.2024

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig

Foto: © Rolf Arnold

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