Home | Theater | Leipzig: Rein in die Muko!
Leipzig: Rein in die Muko!

Leipzig: Rein in die Muko!

Schockierend, geschmacklos, beleidigend – mehr davon!

Musikalische Komödie zeigt mit „The Producers“ Haltung und unkorrektes Theater.

Was frustrierte Theaterbesucher begeistert, ist der Mut, die Themen der Zeit anzusprechen, ohne in biestige Rituale zu verfallen, stellt unser Kritiker über diese Neuproduktion zusammenfassend fest. Und zeigt sich rundum begeistert.

Von Henner Kotte

Szene mit Leo Bloom (Nick Körber), Franz Liebkind (Michael Raschle), Max Bialystock (Patrick Rohbeck), v.l.

Dürfen die denn das? Deutsche Maiden radebrechen schwedisch. Alte geben ein Gehhilfenballett. Nazis schreiben Theaterstücke. Tunten spielen Adolf Hitler. Überhaupt widerspricht Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung dem politisch überkorrekten Zeitgeist, dem auch Leipziger Bühnenhäuser allzu gern folgen. Viele Theatermacher glauben, das echte und gerechte Leben humorlos und brachial unters tumbe Volk bringen zu müssen und präsentieren historische Unkenntnis, blasierte Besserwisserei und intellektoide Überheblichkeit. Damit spielen sie völlig am Publikumsgeschmack vorbei und wundern sich. So blöd, wie es sich woke Agitatoren denken, ist niemand. Logische Folge solchen übersensibelen Handels bei Theaterbesuchern und Wählern: Entsetzen, Wut und Abstinenz.

Die Themen der neusten MuKo-Produktion liegen ganz auf Linie des modernen Agitprop und könnten schrecken: Hitler, Kunstbetrug und Raffgier, Alterssex und Muttisöhnchen, Bürokratie und Klischees über Klischees über Faschos und Juden und deutsche Kultur. Doch dieser politischen Melange folgt kein Entsetzen, sondern pure Begeisterung und mehrmaliges Bravo! – Bravo! für die Kunst und diese Haltung! Bravo! für Humor und leichte Muse. Bravo! für den Mut und diese Lust, erstarrte Rituale aufzubrechen.

Unterhaltsame politische Melanche

Mel Brooks mischte mit seinen Persiflagen auf das Raumschiff Enterprise, Dracula und Frankenstein die Kunst-Szene gehörig auf. Am Beginn seiner Karriere stand 1968 die Komödie „Frühling für Hitler“, die erst acht Jahre später in die deutschen Kinos fand. Seit 2001 ist sie als Musical verfügbar und wird hierzulande selten gegeben. Wahrlich ist die Handlung für deutsche Täter schwer verdaulich: Dem abgehalfterten Broadway-Produzent Max Bialystok rät Leo Bloom, ein junger Steuerprüfer, ein so schlechtes Stück zu inszenieren, das es seine Kasse füllt. Gesagt, gelesen und gekauft. Autor Franz Liebkind, ein glühender Nazi, versucht mit seinem Werk „Frühling für Hitler“, den Massenmörder als liebevollen Menschen darzustellen. Solches Vorhaben muss scheitern und sie machen damit ihren Schnitt, meinen Bialystok und Bloom. Max schläft für diese Kunst mit Heerscharen von alten Weibsen. Als Regisseur wird der schwule Roger de Bris verpflichtet, und als blonder Blickfang Ulla, ein Schwedenmädchen mit fürchterlichem Dialekt. Man ahnt das Ende: Dieser Mist wird ein Erfolg. Max muss als Betrüger hinter Gitter. Leo heiratet die schöne Ulla. Und schließlich fallen sich alle als ziemlich beste Freunde in die Arme, nur der Nazi steht im Gipsbett daneben. Wow!

Mit bissigen Kommentaren gewürzt

Regisseur Dominik Wilgenbus vertraut der unkorrekten Handlung und dem schwarzen Humor der amerikanischen Stückemacher:  Mel Brooks, Thomas Mechan, Susan Stroman. Allüberall zitiert er einschlägig bekannte Werke vom blinden „Fiedler auf dem Dach“ bis hin zu „Momos“ grauen Männern, von Marilyn Monroes weißem Kleid bis hin zum „Käfig voller Narren“, von der Showtreppe aus „Hello Dolly“ bis hin zur platzenden Weltkugel des „großen Diktators“. Und er würzt das Geschehen mit bissigen Kommentaren zur Zeit. Das Orchester unter Michael Nündel begleitet nicht nur die handelnden Personen, es weiß die Akzente wohl zu setzen. Die Choreografien Mirko Mahrs und Illia Bukharov sind wohltuend sexy, das Bühnenbild von Peter Engel angemessen fad und rosa, dann operettenhaft grell. Da passt alles zusammen.

Die Darsteller allesamt wissen genau, was sie tun, und man merkt jedem, selbst in der letzten Reihe des Chores, seine Spiellust an. Voran die Producer Bialystok und Bloom: Patrick Rohbeck gibt dem gewieften Theatermacher alles, was solcher braucht: Schmiere und Geilheit, Verzweiflung und Lust. Der junge Nick Körber kommt als völlige Unschuld daher und mausert sich zum Manne, der weiß, wo es langgeht. Herrlich changiert Olivia Delauré zwischen blonder Hexe im Marylin-Monroe-Verschnitt und der Naivität einer nur einen Sommer tanzenden Kerstin. Dialektal auf Höhe präsentiert sich Michael Raschle als poetisiernder Nazi, der seine Täubchen den Siegfried-Eid schwören lässt. Die deftigsten Bonmots gehen auf seine Kosten. Gut so! Andreas Rainer und Jeffrey Krueger verkörpern ansehnlich und stimmlich perfekt die sich liebenden Tunten changierend zwischen Olivia Jones und Judy Winter. Angela Mehling, Sabine Töpfer, Martina Mühlnickel zeigen Wandlungsfähigkeit von Chaplin bis Stalin, liebestoller Witwe bis Kanzleichef. Daneben gibt’s Sturmtruppe, Platzanweiserinnen, Nonnen und Bühnenarbeiter. Die Gesellschaft wie sie leibt und lebt.

Was frustrierte Theaterbesucher begeistert, ist der Mut, die Themen der Zeit anzusprechen, ohne in biestige Rituale zu verfallen. Überkorrektheit regt weder zu Diskussionen an, noch ist sie Grundlage für ein verständiges Zusammenleben. Man muss auch Scherze auf anderer Leute Kosten machen dürfen und sollte drüber lachen. Asche auf Haupt und ewige Schmollecke nützen keinem. Franz Liebkinds Tauben fliegen nicht nur nach Ungarn, sondern sie haben in manchem deutschen Haus Platz gefunden. Das ist, weiß Gott, nicht lustig, doch mit Lachen hat man schon manchen Taubendreck weggeputzt. Ran an die Besen und rein in die MuKo!

Annotation

“The Producers”. Musical von Mel Brooks und Thomas Meehan, Musik und Gesangstexte von Mel Brook. Musikalische Komödie.Musikalische Leitung Michael Nündel / Christoph-Johannes Eichhorn, Inszenierung Dominik Wilgenbus, Choreographie Mirko Mahr, Step-Choreographie Illia Bukharov, Bühne Peter Engel, Kostüme Uschi Haug, Dramaturgie Inken Meents, Dramaturgie Emilia Ebert, Choreinstudierung Mathias Drechsler, Chor und Extrachor der Musikalischen Komödie, Ballett der Musikalischen Komödie, Komparserie der Oper Leipzig, Orchester der Musikalischen Komödie
Besetzung: Ulla Nora Lentner / Olivia Delauré, Grabsch-mich-tatsch-mich Angela Mehling, Stoß-mich-Kos‘-mich Sabine Töpfer, Küss-mich-Spür-mich Martina Mühlnikel, Stalin Angela Mehling, Churchill Sabine Töpfer, Chaplin Martina Mühlnikel, Richter Angela Mehling, Officer Rosenbaum Sabine Töpfer, Max Bialystock Patrick Rohbeck, Leo Bloom Nick Körber, Carmen Ghia Jeffery Krueger, Franz Liebkind Michael Raschle / Dominik Wilgenbus, Mister Marks Sabine Töpfer, Roger de Bris /Andreas Rainer, Sturmtruppenmann Ivo Kovrigar

Premiere und besuchte Vorstellung 14.10.2023; veröffentlicht 15.10.2023; weitere Vorstellungen 20.10., 21.10., 22.10.

Credits

Text: Henner Kotte, freier Theaterkritiker und Schriftsteller, Leipzig
Fotos: © Kirsten Nijhof

Szenenbilder

Scroll To Top