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Leipzig: Blühfreudige „Madame Butterfly“

Leipzig: Blühfreudige „Madame Butterfly“

Wiederaufnahme mit Karine Babajanyan in der Titelpartie

Leidenschaftlich, ergreifend ohne falsche Süße und mit einer atemberaubenden visuellen Präsentation im Cinemaskope-Breitwand-Format erweckt die „Madam Butterfly“-Inszenierung von Aron Stiehl heute einen gesellschaftlich wacheren Eindruck denn je. Musikalisch erreicht die Wiederaufnahme am Sonntagabend nicht die musikalische Durchsichtigkeit, die im März 2015 die Hörer in den Bann schlugen.

Von Moritz Jähnig

Giacomo Puccinis Oper „Madame Butterfly” ist ein kreuzgefährliches Stück. Sie klingt einfach zu schön, um wahr zu sein. Das macht ihren Weg erstaunlicherweise nicht einfach. Schon die Uraufführung 1904 endete in einem Fiasko, beziehungsweise wurde vermutlich von sich beleidigt fühlenden Medien in ein solches hineingesteuert. Denn der ob einer gewissen musikalischen Exotik etwas besorgte Verlag hatte auf strengste Geheimhaltung über das ungewöhnlich modern komponierte Werk gedrungen. Die Presse wurde von den Proben in der Scala ausgesperrt. Folglich gab es schon vorab medialen Gegenwind, der während der Uraufführung ziemliche Unruhen im Publikum bewirkte. Vielleicht fremdelte die Gesellschaft auch mit dem Spiegel, der ihr da unversehens vorgehalten wurde. Schließlich rühre sich am Ende keine Hand zum Applaus. Eisiges Schweigen! Puccini arbeitete sein Werk um und die zweite, später eine dritte und vierte Fassung begründeten den Welterfolg.

In Leipzig viel gespielt

An der Leipziger Oper hatte 2002, also „eben erst“, die Urfassung Premiere gehabt, als 2015 „schon wieder“ eine „Butterfly“ in der Fassung „zur letzten Hand“ am Augustusplatz herausgebracht wurde. Die damals noch zahlreichere regionale Presse tat sich schwer. Im Blätterwald wie in Freundeskreisen des Hauses rauschte die Diskussion um ein zentrales Thema diskutiert, dass nämlich beim Vorspiel ein Jaguar auf der Bühne stünde, was bekanntlich ein englisches Automodell sei, kein amerikanisches oder japanisches.  Auch wir auf Kunst und Technik fanden damals alles übersüßt und die Figuren holzschnittartig.  

Wiedersehn macht Freude

Das Wiedersehen am vergangenen Sonntag bescherte die freudige Überraschung, dass wir es bei der Regie von Aron Stiel in keinster Weise mit „ideenlahmen Theater“ zu tun haben, wie damals behauptet. Der heute 54jährige Intendant des Theaters Klagenfurt, vormals Regieassistent bei Peter Konwitschny, rückt den Stoff aus Puccinis Gegenwart um 1900 in die Gegenwart der zweiten Hälfte 20. Jahrhunderts, mit Röhrenfernseher, Handy und eben klapprigem Straßenkreuzer.

Ganz klar sind Sextourismus, Menschenhandel und Kolonialismus der US-amerikanischen Spielart das Thema der Oper und der Inszenierung. Das 15jährige Mädchen Cio-Cio-San aus Nagasaki ist nicht nur Opfer einer kommerzialisierten, herzlosen Männerwelt, sondern auch ein Medienopfer, das kritikunfähig den Legenden von amerikanischen Werten und dem American Way of Life anheimgefallen ist.

Das Ausstatter-Team Frank Philipp Schlößmann (Bühne), Sven Bindseil (Kostüme) und Raoul Brosch (Licht) bauen auf der Bühne das Haus der Geisha im Format eines Film-strips, das Butterfly und Pinkerton bis hoch hinauf in die Sterne fahren kann und das auseinander birst, wenn Butterflys Leben in Schieflage gerät und schließlich tragisch zerbricht.

Gäste in der Wiederaufnahme

Als Gast in der Titelrolle beeindruckte die armenisch-stämmige Sopranistin  Karine Babajanyan mit beeindruckender stimmlicher Bandbreite und Ausdrucksstärke. Ihr Gesang, vorallem im zweiten Akt, berührte spürbar die Herzen der Zuschauer und verlieh der tragischen Figur Tiefe und reife Authentizität. Karine Babajanyan arbeitet freischaffend auf internationalen Bühnen, wobei die Partie der Cio-Cio-San zu ihren anerkannten Glanzrollen zählt, die sie in 16 Inszenierungen gesungen hat. Bei wikipedia erfahren Interessierte, dass die armenische Sopranistin 2008 auch im James-Bond-Film „Ein Quantum Trost“ mitgewirkt hat.

Für die Rolle des Pinkerton hat die Oper Eduardo Aladrén nach Leipzig verpflichtet. Der an der Deutschen Oper am Rhein fest engagierte spanische Tenor gastiert weltweit im italienischen Fach. In Mitteldeutschland war er 2021 als Radames Teil jener sich dem Gedanken der Dekolonialisierung verpflichtet fühlenden sensationellen „Aida“ am Deutschen Nationaltheater Weimar. In Spiel und Rollengestaltung erfüllte der Künstler voll die Erwartungen. Die Spitzentöne der Partie Pinkerton verlangen sehr viel Kraft, die Aladrén mitbringt.

Für die anderen Rollen hat die Oper Leipzig eine in jeder Hinsicht partitur- und regiekonforme Besetzung. Wobei unter den Solisten nur Mathias Hausmann als Sharpless schon zu dem an Glücksfällen reichen Premierenensemble gehörte. Als Suzuki weiß Yajie Zhang zu eindrucken. Der stets spielfreudige Dan Karlström stellt Goro als eine schmierige Dealer Figur dar. Der Leipziger Opernchor wird seinem guten Ruf in jedem Moment gerecht.

Das Gewandhausorchester spielte unter Leitung von Ivan Repuši?, einem erfahrenen Theatermusiker, derzeit Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters. Sehr viel Beifall seitens des Publikums auch für die orchestrale Seite eines herausragenden Abends mit der 21. Reprise eines Repertoirestücks am Leipziger Opernhaus.

Annotation

„Madame Butterfly“ von Giacomo Puccini. Japanische Tragödie in drei Aufzügen. Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica. Oper Leipzig. Musikalische Leitung Ivan Repušić / Anna Skryleva, Inszenierung Aron Stiehl, Bühne Frank Philipp Schlößmann, Kostüme Sven Bindseil, Licht Raoul Brosch, Einstudierung Chor Thomas Eitler-de Lint / Alexander Stessin, Chor der Oper Leipzig, Gewandhausorchester

Besetzung: Cio-Cio-San Karine Babajanyan, Suzuki Yajie Zhang, Kate Kristýna Roháčková, Pinkerton Eduardo Aladrén, Sharpless Mathias Hausmann, Goro Dan Karlström, Yamadori Sebastian Seibert,  Onkel Bonzo Sejong Chang, Yakusidé Michael Chu, Kaiserlicher Kommissar Ondřej Potůček, Standesbeamter Tae Hee Kwon, Mutter Catrin von Rhein / Dorothee Schlemm-Gál, Cousine Hitomi Sakamoto, Tante Eliza Albert

Premiere 13.03.2015; besuchte Vorstellung Wiederaufnahme und 21. Aufführung am 04.06.2023; veröffentlicht 05.06.2023

weitere Vorstellungen 17.06., 28.06.2023

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig

Fotos: © Kisten Nijhof

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