Luis Buñuel Filmklassiger als Stückvorlage für die Schauspielbühnen in Leipzig und Bochum eher enttäuschend
Elfriede Jelinek hat 2008 in ihrem düsteren, politischen Theatertext „Rechnitz“ auf den Würgeengel aus Boñuels surrealistisches Filmwerk aus den 60er Jahren zurückgegriffen und mit diesem überaus bildmächtigen Filmdrama ihrerseits Theatergeschichte geschrieben. Eine Koproduktion der Schaupielhäuser Bochum und Leipzig verdichtete den Stoff 60 Jahre später ein weiteres Mal.
Von Petra Kießling
Luis Buñuel hat in seiner surrealistischen Vorlage, eine Ohnmacht der Eingeschlossenen geschildert. In der Leipziger Premiere »Der Würgeengel«, bespielt der Regisseur Johan Simons ein fast leeres Klassenzimmer, in dem die verbliebenen Akteure verloren wirken, wie nach einem Klassentreffen. Das könnte der erste Eindruck, des Bühnenbildners Johannes Schütz, den das Szenario auf der Bühne im Schauspielhaus Leipzig vermittelte, für viele gewesen sein.
Das Wort Bourgeoisie, welches kaum noch im zeitgenössischen Klassendiskurs Verwendung findet, beschreibt die Zugehörigkeit der Protagonistinnen und Protagonisten, die sich mit einer absurden Aufgeregtheit bis hin zur lethargischen Sensibilität durch den Abend spielen und singen. Beeindruckend, und für das Stück ordnend, war die persiflierte Form Popsongs in den Raum zu schmettern. Das gelang Sandra Hüller auf brillante Art und Weise.
Die Jüngste, im Stück, fast noch ein Kind, abwechselnd gespielt von Rubin de Quero oder Lotte Rinke, war der einzige Hoffnungsschimmer. Eine schöne Idee, der Figur allein die Vertretung der Greta-Generation anzuvertrauen. Wo doch die Morgenkreis-Generation fehlte. Oder waren die bereits gegangen? Hatten sie den Ausgang gefunden? Auf der Bühne blieb die Babyboomer-Generation, die nach 68er-Generation, die Wohlstands-Generation, die fast neurotisch, Lösbares per se für unlösbar deklarierten. Da kam der Vortrag, des Kindes zur bedrohten Art eines im Indischen Ozean und westlichen Pazifik lebende Kopffüßers, wie ein Ausschnitt aus dem heutigen Schulalltag, in die Szenerie. Mit einer Ausführlichkeit, welche die Fortpflanzung dieses Lebewesens, das über immense Fähigkeiten der Anpassung verfügt, um seine Art zu erhalten, führte es dem Menschen eine Art Gleichstellung vor Augen und dass wir es schwer haben werden, um zu überleben.
Die Verursacher werden zu Opfern. Den Inhalt des Lebens der Menschheit auf das einzig wichtige, den Sex zu reduzieren, ist eine mögliche Antwort. Das Team aus zwei Häusern gab das Beste, was gutes Schauspiel zu bieten hat. Alle, die an diesem Premierenabend im Leipziger Schauspielhaus auf Unterhaltung aus waren, sind nicht enttäuscht worden. Jene, erwartungsfrei kamen, für sie gab es keine Enttäuschung oder ein gewollt abstruses Musik-Theater-Spektakel.
Annotation
“Der Würgeengel. Psalmen und Popsongs”. Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum nach Luis Buñuel. Schauspiel Leipzig. Große Bühne. – Regie: Johan Simons, Bühne: Johannes Schütz, Kostüme: Katrin Aschendorf, Lichtdesign: Bernd Felder, Video: Voxi Bärenklau, Komposition: Moritz Bossmann, Steven Prengels, Musikalische Einstudierung: Moritz Bossmann, Laura Wasniewski, Dramaturgie: Angela Obst, Marleen Ilg, Licht: Carsten Rüger. – Besetzung: Anne Cathrin Buhtz, Marius Huth, Sandra Hüller, Roman Kanonik, Alexander Wertmann, Ruby De Quero / Lotte Rinke als ein Kind, Kirchenorgel: Laura Wasniewski, Sebastian Heindl. Hammondorgel: Moritz Bossmann, Laura Wasniewski
Premiere und besuchte Vorstellung 10.03.2023; veröffentlicht 20.03.2023; weitere Termine 04.04., 14.04.
Credits
Text: Petra Kießling, freie Theaterkritikerin und Kuratorin, Leipzig
Fotos: © Armin Samailovic
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