Richard Strauss „Der Rosenkavalier“ als Zeitenreise mit Harlekin.
Am 13.11. und 20.11.2022 ist zum letzten Mal Richard Strauss‘ Oper „Der Rosenkavalier“ auf der Bühne des Anhaltischen Theaters zu erleben. Die lustvoll-pompöse Inszenierung von Michael Schachermaier hatte bereits seit Ende der vorangegangenen Spielzeit über den Raum Dessau/Halle hinaus große Interesse erweckt und fachliche Zustimmung erfahren.
Von Moritz Jähnig
„Der Rosenkavalier“, d i e große Komödie für Musik, gehört zu jenen ikonischen Werken, von denen jeder genau zu wissen meint, wie eine gelungene Aufführung auszusehen habe. Das führt in den Opernhäusen zu wahren Ausstattungsorgien, deren Authentizität fragwürdig ist. „Der Rosenkavalier“ gilt als unerreichbar. Dazu trägt die Sprachmacht Hugo von Hofmannsthal bei, die mit dem ungewöhnlich feinfädigen Klanggewebe kongenial zusammengeht, die der Komponist für seine 1911 in Dresden uraufgeführte fünfte Oper aufbietet. Die beiden Meister beschwören uns eine Zeit herauf, die damals schon Geschichte war. Wir wissen auch, dass sie nie in dieser Form gelebt wurde. Der Brauch einer „Silbernen Rose für die Jungfer Braut“ entspringt der romantischen Phantasie zweier bürgerlicher Künstler des beginnenden 20. Jahrhundert. Es ist jetzt nicht der Ort darüber nachzudenken, warum die beiden Herren (Strauss 47, Hofmannsthal 37 Jahre) so nostalgisch drauf waren. Sie liefern uns Nachkommenden jedenfalls reine Dichtung, mit der wir umgehen müssen.
Der aus Wien stammende Regisseur Michael Schachmaier löst diese Frage für sich und uns mit zwei Kunstgriffen. Er organisiert die Handlung entlang einer Zeitreise und lässt sie wie Theater im Theater in einer Zirkus- und Bühnenwelt ablaufen. Das Spiel wird von einem Harlekin als Zeremonienmeister geleitet. Am Anfang eines jede Aktes öffnet er tänzelnd den Vorhang und schließt ihn am Ende wieder. Er jongliert und schlägt ein Rad eine Zirkusfigur oder ein Darsteller aus dem Straßentheater. Das ironisiert die im „Rosenkavalier“ verhandelten echten Gefühle und tragischen Dimensionen.
Der Harlekin ist die Tricksterfigur für unsere Zeitreise, auf die uns das Regieteam schickt. In jedem Akt führt der Harlekin uns in ein neues Säkulum. Der 1. Akt spielt im 18. Jahrhundert auf einem Dachboden. Das Boudoir der Feldmarschallin ist ein ist ein schäbiges Liebesnest zwischen allerlei Gerümpel aus der Zeit von Maria-Theresia-Zeit. Für das Lever improvisieren bunte Gestalten höfisches Treiben.
Der zweite Akt spielt zur Entstehungszeit der Oper. Um dann im dritten Akt Sophie vor der Heirat mit dem Ochs von Lerchenau zu retten, lockt Octavian den Landmann in eine queere Transenbar, wo Männer in schulterfreien Kleidern und Bärten in den 80er Jahren ein exklusiver Hit gewesen sein müssen. Der Polizeikommissar sieht aus Falcos aus dem Fernsehen. Die Marschallin gibt Octavian im nächtlichen Prater frei und er steht mit seiner Sophie, einem Girl in fliederfarbenen Paillettenkleid. Licht aus. Die Sterne strahlen auf. Viele dieser Ideen und Bilder schielen nach dem Publikumsgeschmack und werden dankend angenommen.
Sängerisch und darstellerisch gefiel Sylvia Rena Ziegler, ein klar intonierender Octavian, dabei wirklich überzeugend burschikos wirkend. Iordanka Derilova ist eine Marschallin von hohen Graden, um die das Dessauer Ensemble beneidet werden darf. Sie ist klanglich kein bisschen schwermütig. Eher steht sie über den Dingen und weiß um die Abschiede, die wir alle einmal nehmen müssen. Mit diesen beiden ungewöhnlich interessanten Frauenstimmen und dem feinfühligen Spiel der Anhaltischen Philharmonie unter der Leitung von Markus L. Frank gleitet diese Inszenierung musikalisch bestens dahin. Zumal Ania Vegry, eine moderne Sophie mit einem feinen Sopran und Michael Tews, der dem unseligen Lerchenau, ohne Mitleid zu heischen, gewinnende Seiten abgewinnt, einprägsam mit im Zentrum stehen.
Es ist bedauerlich, dass alles einmal ein Ende hat, so auch dieser „Rosenkavalier“-Zyklus der wirklich besonderen Art in Dessau. Man sollte ihn gesehen haben.
Annotation
„Der Rosenkavalier“. Komödie mit Musik von Richard Strauss, Libretto Hugo von Hofmannsthal am Anhaltischen Theater Dessau. Inszenierung Miachel Schachermaier; Musilalische Leitung Markus L. Frank; Bühne Karl Fehringer, Judith Leikauf ; Kostüme Jessica Rockstroh; Leitung Opernchor Sebastian Kennerknecht; Leitung Kinderchor Dorislava Kuntscheva; Dramaturgie Felix Losert . Besetzung: Iordanka Derilova (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Michael Tews (Baron Ochs von Lerchenau), Sylvia Rena Ziegler (Octavian), Kay Stiefermann (Herr von Faninal), Ania Vegry (Sophie), Cornelia Marschall (Marianne Leitmetzgerin), Valzacchi, ein Intrigant David Ameln, Annina, seine Begleiterin Rita Kapfhammer; Ein Notar/ Ein Polizeikommissar Claudius Muth; Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin/ Ein Wirt Alexander Nikolić; Der Haushofmeister bei Faninal/ Ein Tierhändler Alexander Dubnov; ein Sänger Costa Latsos;ein Gelehrter (stumm) Rafal Bartkowiak; ein Friseur (stumm) Steffen Gerber; dessen Gehilfe (stumm) Cezary Rotkiewicz; eine adlige Witwe (stumm) Petra Stein; drei adlige Waisen Gerit Ada Hammer , Anne Weinkauf , Yirin Kim ; sine Modistin Jagna Rotkiewicz; Lakaien der Feldmarschallin Leszek Wypchlo , Chang Huyn Kim , Christian Most , Adam Fenger , Filippo Deledda , Pavel Demine , Tomasz Czirnia , Jerzy Dudicz; vier Kellner Leszek Wypchlo , Alexander Dubnov , Christian Most , Adam Fenger Hausknecht/Postbeamter (stumm) Stephan Biener; Frühstückskellner /Arlecchino (stumm) Pjotr Kajdanski; Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau; Kinderchor des Anhaltischen Theaters Dessau; Statisterie des Anhaltischen Theaters Dessau
besuchte Vorstellung: Premiere 07.05.2022; veröffentlicht: 10.11.2022; weitere Vorstellungen: 13.11., 20.11.2022
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkriter und Herausgeber, Leipzig
Fotos (3): © Claudia Hensel
Titelbild: Jagna Rotkiewicz (Modistin), Iordanka Derilova (Feldmarschallin), Steffen Gerber (Friseur), Cezary Rotkiewicz (dessen Gehilfe)