K! sagte er, sagte sie, sagte das Schauhaus: Der Kritiker meint: Eben K!
Kafka ist unfassbar. Kafka ist interpretierbar. Kafka ist Wortschöpfer und kafkaesk. Kafka ist mit Genuss und Gewinn lesbar. All seinen Erzählungen wohnt die Tragik von K.s Beruf und Leben inne. Kafkas Roman „Das Schloss“ blieb unvollendet und sollte mit dem Tod des Autors ausgelöscht werden. Max Brod widersetzte sich dem letzten Willen des Freundes. Seitdem versuchen Leser, Professoren, Filmregisseure und Theaterenthusiasten immer wieder über „Das Schloss“ Deutungshoheit zu erlangen und lassen sich in diesen kafkaesken Kosmos hineinziehen. Genau das will Literatur. Aber ist Kafka zwangsläufig für die Große Bühne geeignet? Den Versuch scheint es wert, er wurde bereits mehrmals unternommen.
Mit zweifelhaften Erfolg. Und wenn man ihn wagt, steht das Theater sogleich (wie Kafkas Held K.) vor der Frage, was das Ganze denn soll. „Der direkte Verkehr mit Behörden war ja nicht allzu schwer, denn die Behörden hatten, so gut sie auch organisiert sein mochten, immer nur im Namen entlegener, unsichtbarer Herren entlegene, unsichtbare Dinge zu verteidigen, während K. für etwas lebendigst Nahes kämpfte, für sich selbst, überdies, zumindest in der allerersten Zeit, aus eigenem Willen, denn er war Angreifer; und nicht nur er kämpfte für sich, sondern offenbar noch andere Kräfte, die er nicht kannte, aber an die er nach den Maßnahmen der Behörden glauben konnte.“
Der Rezensent hatte, als er noch die Schulbank drückte, solche Satzgetürme nach Gliedern und Wortart zu bestimmen. Mit Subjekt, Objekt, Adverbialbestimmung, Modalwort, Partikel, und Konjunktion stößt man bei Franz Kafka schnell an die Grenzen des Normativen. Auch Satz- und Gesamtaussage enthalten sich inhaltlich einer eindeutigen Zuordnung. Wer sind denn diese „anderen Kräfte“? Wer ist die Behörde, zu der K. doch nie gelangt? Was wollte uns der Dichter (so muss man Wortakrobaten nennen) damit sagen? Sind wir Rädchen nur im unendlichen Weltgetriebe? Kafka lässt das im Ungefähren. Man ist ihm (wie der Held seiner Behörde) scheinbar machtlos ausgeliefert. Wenn man sich auf ihn einlässt, entfaltet der Autor mit seiner literarischen Machart solch einen Zug, der den Leser in seine unbegreiflichen Welten mitnimmt. Wie nun kann ein Theaterensemble diese Sogwirkung erreichen und Kafka über die Rampe bringen, dass er Zuschauerinteresse weckt und sich nicht in kafkaesken Sprüchen und Bildern verheddert? Fragen, Fragen, Fragen, die unlösbar scheinen.
K.s Schlossgeschichte ist „im tiefen Schnee“ versunken und spielt meist im Wirtshaus, wo Landvermesser K. Liebe von Pepi und von Frieda erfährt, wobei Letztere auch beim behördlichen Herrn Klamm im Bette liegt. Dem kleinen Mann werden Artur und Jeremias, zwei ihm unbekannte Gehilfen, beigestellt. Doch versagt die Schlossbehörde im Namen Klamms K. vor Ort das weitere Bleiben, ein Landvermesser wurde gar nicht bestellt. Barnabas, der Bote, überbringt K. die Ausreisebotschaft. K. bleibt trotzdem. Bei Kafka wäre der Held schlossendlich gestorben. Doch blieb der Roman ein Fragment. Der Leipziger Theaterabend behilft sich in seinem Ende mit einigen von Kafkas allerletzten Geschichten: u.a. „Der Geier“ und „Der Bau“.
Leser wissen: Texte Franz Kafkas sind erzählende Literatur. Ihr dialogisches Manko erkennend, teilt Regisseur Philipp Preuss das Wortkonvolut unter sieben sprechenden Akteuren auf – wie im Roman lesbar sagen sie nun ständig, sagte er, sagte sie und heißen Alina-Katharin Heipe, Roman Kanonik, Andreas Keller, Markus Lerch, Annett Sawallisch, Bettina Schmidt, Elzemarieke de Vos. Sie wechseln untereinander die Rollen, sind mal jene, mal die. Mal sprechen sie im Chore, mal wiederholen sie Letztgesagtes. Deutlich hörbar wird dabei zweifellos Kafkas Sprache in aller Schönheit. Mal vermeint man gar, die *_* moderner Zeiten zu erkennen (sie zerhacken jedoch nicht das Gesamtspiel). Mal hört man unverständliches Grunzen, mal lauscht man der Live-Musik von Kornelius Heidebrecht. Das besitzt fraglos Kunstwert, ist aber in 2,5 Stunden pausenloser Läge so undramatisch wie Kanzler-Antworten, Corona-Zahlen und Parteitagsreden.
Da muss sich das Kunstkollektiv actionmäßig etwas einfallen lassen: Ein Bühnenbild zB. Das schuf Ramallah Albrecht sehr assoziationsreich. Den Bühnenraum schließen goldene Kissen. Den Bühnenboden ziert flockiger Schnee. Der Gazevorhang zeigt Video-Bilder. Um nun Bewegung in statischen Vortrag zu kriegen, hebt und senkt sich, was sich heben und senken kann, in endloser Schleife. Schnee wird gekehrt. Die Protagonisten klimpern auf sechs Klavieren und malen sich gegen Ende schwarz an. Natürlich: „Das siehst du ohne weiteres. Du musst nirgends nachfragen und weißt gleich, was die Mode verlangt.“ Bei all der Bewegung wurde Kafkas Roman längst unter den Kunstschnee geschoben, und ein weißer Hund schluckt die verbliebenen Reste. Während der frisst, spricht Annett Sawallisch unter einer funzelnden Birne nuancenreich und furios „Amalias Geheimnis“ und „Olgas Pläne“. Fraglos der rezitative Höhepunkt dieser Einladung in „Das Schloss“, was noch einmal beweist: Kafka verweigert sich einer nachvollziehbar lebendigen Inszenierung, man muss ihn hören und unbedingt lesen.
Henner Kotte
ANNOTATION
„Das Schloss“ nach Texten von Franz Kafka. Regie: Philipp Preuss; Bühne: Ramallah Aubrecht; Video / Live-Video: Konny Keller; Kostüme: Eva Karobath; Dramaturgie: Georg Mellert; Licht: Carsten Rüger; Musik / Live-Musik: Kornelius Heidebrecht; Theaterpädagogische Betreuung: Amelie Gohla
Besetzung: Alina-Katharin Heipe, Roman Kanonik, Andreas Keller, Markus Lerch, Annett Sawallisch, Bettina Schmidt,
Nächste Aufführung: 27.02.2022, 19.30 Uhr
CREDITS
Text: Henner Kotte
Foto: © Ralf Arnold
Besuche Vorstellung: Premiere 21.01.2022; veröffentlicht 24.01.2022