Greifenstein-Festspiele mit „Weißem Rössel“ und „Greifenstein-Memory“.
Zum Salzburg des Nordens haben sich 2020 die Greifenstein-Festspiele des Annaberger Theaters gemausert. Analog zum großen Festspielort brachte man hier ebenfalls zwei Drittel des eigentlich Geplanten erfolgreich zur Aufführung. Mir war es aus terminlichen Gründen lediglich vergönnt, zwei der fünf Angebote zu sehen und diese auf das Musiktheater konzentriert. Folgendes konnte ich dabei konstatieren: Nach den unschönen Vorgängen in Sachen seiner Vertragsverlängerung setzte Intendant Dr. Ingolf Huhn wie gewohnt auf Qualität in seiner eigenen Regiearbeit, die eines erfahrenen Gastregisseurs und natürlich auf den Einfallsreichtum und die Spielfreude des gesamten Ensembles. Eine bessere Antwort konnte er nicht geben. Zudem wurden alle „Spielregeln“ der Corona-Zeit eingehalten und dem gefürchteten Virus in Wort und Spiel so begegnet, dass man an ihm sogar mal Spaß haben konnte.
Zur 17-Uhr-Vorstellung am 22. 08. erlebte ich das „Greifenstein-Memory“. Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn hatte der Regen aufgehört! Zur Freude des zahlreichen Publikums im erlaubten Rahmen. „Memory“ entpuppte sich als Operetten-Opern-Erinnerungsspiel an Greifenstein-Inszenierungen aus den vergangenen zehn Jahren.
von Frieder Krause
Die da waren der Straußsche „Zigeunerbaron“, der „Bettelstudent“ und „Gasparone“ von Millöcker, Jessels „Schwarzwaldmädel“, Kreislers „Sissy“ und das unverwüstliche „Wirtshaus im Spessart“ von Franz Grothe im Operettenbereich sowie Mozarts „Zauberflöte“, Webers „Freischütz“ und Bizets „Carmen“ aus der Welt der Oper.
Wer ein Aneinanderreihen schöner Melodien an diesem frühen Abend erwartet hatte, wurde positiv enttäuscht. Konsequent nutzte Ingolf Huhn die Chancen für ein flottes und spannendes Puzzle, wer denn so an handelnden Personen oder auch Gegenständen zusammenpasst oder auch nicht. Dies alles eingebettet in das „Zigeunerbaron“-Bühnenbild von Martin Scherm, gespickt mit wunderschönen Kostümen zu den einzelnen Rollen. Dass ich auch noch Pferde und Kutsche, wie auf den Greifensteinen sonst üblich, in diesem Spiel zu sehen bekam, hatte ich nicht erwartet. Toll!
Wie schon erwähnt, die zehn Solisten entfachten eine Spielfreude, die auch echte Ensembleszenen ermöglichte und unter Anleitung von Susi Zanic und Unterstützung von Bianca Arnold auch tänzerischen Schwung wahr werden ließ. Alle Solisten überzeugten mit dem von ihnen gewohnten guten musikalischen Niveau. Sie sollen an dieser Stelle nicht alle genannt sein. Frank Unger als Gast brillierte wieder einmal mehr als Barinkay und Jason Nandor Tomory meisterte seine 8! Auftritte trotz Ohrenschmerzen bravourös. Eine köstliche Studie aus dem Fach der „komischen“ Alten steuerte Bettina Corthy-Hildebrandt mit ihrer Männersuche als „Zenobia“ aus Millöckers „Gasparone“ bei. Voll die Lacher auf ihrer Seite hatten Matthias Stephan Hildebrandt und Leander de Marel als Knoll und Funzel aus dem „Wirtshaus im Spessart“ mit einer köstlichen Parodie auf die uns so beherrschende Pandemie. Aus meiner Sicht sorgte an diesem Tag aber Laszlo Varga mit Szenen aus dem „Freischütz“, dem „Bettelstudenten“ und dem „Zigeunerbaron“ für die sängerischen Höhepunkte. Ihm ist eine Weiterentwicklung seines kräftigen Basses zu bescheinigen. Auch Madelaine Vogt begeisterte mich mit einer schönen lyrischen Tongebung ihres Soprans, speziell als Tamina. Der ersten Sängerin des Hauses, Bettina Grothkopf, hätte ich im Programmablauf eine Bravour-Arie gewünscht. Dies sei aber das einzige Manko.
Was wäre aber das gesamte musikalische Geschehen ohne den musikalischen Leiter des Ganzen, ohne Dieter Klug, den 1. Kapellmeister der Erzgebirgischen Philharmonie Aue? Wie er das Geschehen inhaltlich beratet, die Einspielungen des Klangkörpers einfügt, arrangiert und und … Bewundernswert! Dass er dabei seine Freude an Kreislers „Sissy“ hatte, war offensichtlich. Rundum also ein gelungenes Erinnern mit Vorfreude auf Neues in sichererer Zeit.
„Im weißen Rössl am Wolfgangsee“
Kommen wir nun einen Tag später (23.08.) zu einer der „Wunderwaffen“ der heiteren Muse: „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“ von Ralph Benatzky. Natürlich ausverkauft! Diesmal Beginn 15 Uhr, Regenbeginn eine halbe Stunde nach Vorstellungsende. Welch ein Glück für alle Beteiligten.
Mit Ansgar Weigner hatte Dr. Huhn einen erfahrenen Gastregisseur ver- pflichtet, der das Kunststück fertigbrachte, dass niemand im Rund der Felsenbühne etwas von der Halbierung des sonstigen Spielgeschehens merkte. Kurzweilige 90 Minuten ließen nichts von der Turbulenz zwischen der streitbaren Rössl-Wirtin Josepha und des in sie hoffnungslos verliebten Zahlkellners Leopold mit glücklichem Ausklang für beide, dem erbitterten Rechtsstreit um Knöpfungsfragen bei Trikotagen zwischen dem Berliner Urgestein Giesecke und dem Thüringer Sülzheimer, in diesem Fall vertreten durch den schönen Sigismund als Junior, und dem zur Schlichtung bestellten Rechtsverdreher Dr. Siedler vermissen usw. Letzterer hatte zwar Josepha den Kopf verdreht und tat nun dieses bei Ottilie, Gieseckes Tochter. Mit besonderer Reisefreude war Prof. Hinzelmann, hier zum Virologen mutiert, im Rössl gelandet. Dessen lispelnde Tochter Klärchen landete schließlich beim schönen Siggi. Weiterer Verwirrstoff also, ganz im Sinne von Operette. Weigner sparte auch hier nichts aus. So durften natürlich auch der Kaiserbesuch mit Würde geschehen, Piccolo seine Kreise ziehen und Zensi ihre Späße treiben. Offensichtlich hat die Chemie zwischen Regisseur und Ensemble gestimmt, sonst wäre dieses schöne Ergebnis nicht zustande gekommen. Zudem gab es auch in dieser Inszenierung etliche sympathische Anspielungen bezüglich Abstand und Maske. Als guter Partner für Weigner erwies sich Robert Schrag als Ausstattungsleiter. Dem Publikum erschließen sich in der optischen Opulenz zwischen Wirtshaus, Hafen und Kuhstall viele Hingucker: der Dampfer, die Seilbahn, der orangene Trabi von Sülzheimer junior, die kaiserliche Kutsche und letztendlich ein rotierender Kuhschwanz!
Bettina Grothkopf gab sehr glaubwürdig die resolute Wirtin, die sich aber dennoch nach einem Liebesglück sehnt. Mit Leopold an der Seite wird sie für die Zukunft auch ihr Rössl gesichert haben. Gesanglich blieben bei ihr wie erwartet keine Wünsche offen. Zusammen mit dem gesamten Ensemble, voran dabei der charmante Dr. Siedler alias Frank Unger, ließ sie vom Wohlklang der berühmten Melodien vom Rössl, dem Salzkammergut, dem Wunderbaren oder vom Sein des Lebens nichts vermissen. Soviel an Leidenschaft und Hartnäckigkeit im Kampf um Josepha wird man auch selten auf den Bühnen erleben: Jason-Nandor Tomory gab der Partie des Leopold ein besonderes Profil, steigerte seine Darstellung dieser Rolle aus den Jahren 2011 bis 2013 wesentlich. Sein „Zuschaun kann i net“ ging unter die Haut. Ebenso die Ansichten zum Reisen des Professor Hinzelmann, durch Matthias Stephan Hildebrandt mit der reichen Erfahrung seiner Theaterlaufbahn unvergleichlich gestaltet. Auf derselben Basis formte Leander de Marel die Figur des Kaisers. Ebenso Michael Runge als perfekter Berliner mit der Sehnsucht nach dem Müggelsee. Jason Lee hat diese Bühnenjahre noch nicht, sein Sigismund mit der Erkundung der Schönheit kam dennoch sympathisch daher. Dies traf auch auf Madeleine Vogt als Ottilie und Anna Bineta Diouf als Klärchen in Spiel und Gesang zu. Bei Madeleine Vogt war erneut der lyrische Wohlklang zu registrieren. Schauspielstudent Paul Wiehe war ein omnipräsenter Piccolo mit enormer Beweglichkeit und Juliane Roscher-Zücker gab ihrer Zenzi den sprichwörtlichen „Zucker“. Und natürlich hatte Dieter Klug als musikalischer Leiter erneut Enormes geleistet. Viel Freude also beim „Zuschaun“ und Zuhörn! Hoffentlich ist dieser Spaß wie auch „Memory“ neben Neuem auch 2021 erlebbar.
Besuchte Vorstellungen: 22. und 23.08.2020
Annotation
„GREIFENSTEIN-MEMORY“ – Ein Operetten-Opern-Erinnerungsspiel
Inszenierung: Dr. Ingolf Huhn, Musikalische Leitung: Dieter Klug, Ausstattung: Martin Scherm, Choreographie: Susi Zanic, Dramaturgie: Annelen Hasselwander
Gesangsensemble: Bettina Corthy-Hildebrandt, Anna Bineta Diouff, Bettina Grothkopf, Madeleine Vogt, Matthias Stephan Hildebrandt, Jason Lee, Leander de Marel, Frank Unger,
Laszlo Varga, Bianca Arnold (Tanz)
Erzgebirgische Philharmonie Aue
„IM WEISSEN RÖSSL“ – Singspiel in drei Akten von Hans Müller und Eric Charell, Gesangstexte von Robert Gilbert, Musik von Ralph Benatzky
Inszenierung: Ansgar Weigner, Musikalische Leitung: Dieter Klug, Ausstattung: Robert Schrag, Choreographie: Susi Zanic, Chöre: Jens Olav Buhrow, Dramaturgie: Annelen Hasselwander, Josepha Vogelhuber, Wirtin: Bettina Grothkopf, Leopold Brandmeyer, Zahlkellner: Jason-Nandor Tomory, Wilhelm Giesecke, Fabrikant: Michael Junge, Ottilie, seine Tochter: Madeleine Vogt, Dr. Otto Siedler, Rechtsanwalt: Frank Unger, Sigismund Sülzheimer: Jason Lee, Prof. Dr. Hinzelmann: Matthias Stephan Hildebrandt, Klärchen, seine Tochter: Anna Bineta Diouff, Der Kaiser: Leander de Marel, Der Piccolo: Paul Wiehe
Als Chorsollisten: Juliane Roscher-Zücker (Zenzi), Stephanie Ritter (Briefträgerin, Stubenmädchen), Bridgette Brothers (Braut), Hans Gebhardt (Bräutigam)
Zu danken ist der Reitanlage Kahl aus Thum. Die Kutschen lenkten Annett Günther und Kathleen Kahl. Die Namen der Pferde sind leider unbekannt
Das „Weiße Rössl“ ist im September noch am 2., 15 Uhr und am 6., 17 Uhr zu erleben.
Was noch?
Credits:
Fotos © Eric Fresia/Fresia-Photography (Weißes Rössel) und Dirk Rückschloß/Pixore-Photography („Memory“)
Texte © moritzpress. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Zustimmung der Autoren
Besuchte Vorstellungen: 22. und 23.08.2020
Erschienen: 26.08.2020