Henrietta Meyer und Bartlomiej D. Kiszka besuchten die Ausstellung DER OPTIMIERTE MENSCH
Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. (Genesis 1,31)
Sehr gut – aber noch nicht optimiert. Also optimierte der Mensch. Er begann, seine Umwelt zu maschinisieren, zu industrialisieren und wurde nun wiederum von seiner technisierten Lebenswelt optimiert, modernisiert. Die Wechselseitigkeit dieses Prozesses, die Einflüsse der technisierten Umgebung, zeigt sehr gut das Titelbild zur Ausstellung, das Gemälde von Elisabeth Voigt „Der Maschinenmann (Der Unternehmer)“(1948). Die Maschinen, vom hier dargestellten Unternehmer selbst erschaffen, ergreifen von diesem Besitz – von seinem Körper und seiner Gedankenwelt – es erfolgt eine totale Assoziation von Mensch und Maschine.
Nicht weit von dem Gemälde entfernt blinkt im Kunstwerk von Hannes Waldschütz „Maschine, die auf Gott wartet“ (2007) ein kleines grünes Lämpchen auf, blinkt auf und erlischt wieder. Auch Aspekte des menschlichen Glaubens werden elektrifiziert. Warum nicht – das grüne Licht leuchtet zuverlässig immer wieder auf, die elektrische Maschine wartet…
Den Besucher der Ausstellung „Der optimierte Mensch“, die anlässlich des „Jahres der Industriekultur 2020“ in Sachsen vom Industriekultur Leipzig e.V. und dem Museum der Bildenden Künste organisiert wurde und noch bis zum 01.03.2020 dort zu sehen ist, erwartet eine interessante und erlebnisreiche Reise durch fast 300 Jahre Industriekultur in der Bildenden Kunst.
In Industrie 1.0 – Zeitalter der Dampfmaschine findet man das älteste Werk der Ausstellung, das „Bildnis des Leipziger Kaufmanns Johann Burghard Raabe“ (1728) von Ismael Mengs. Raabe machte sich in Leipzig (und ganz Sachsen) um neue Fertigungsmethoden in der Seidenproduktion verdient, wodurch eine bis zu 50fache Produktivitätssteigerung gegenüber Handarbeit erreicht werden konnte – stolz und zufrieden greift Raabe in die gefertigten Stoffballen. Respekteinflößend wirkt auch die Marmorbüste „Gustav Harkort“ (1887) von Adolf Lehnert. Erhaben schaut der Leipziger Unternehmer und „Eisenbahnpionier“ von seinem Sockel. Aber schon ein paar Meter weiter blicken dem Besucher vom Gemälde „Die Auswanderer (Drang nach Westen)“ (1884) erschöpfte Gesichter entgegen – ein Flüchtlingslager in New York beherbergt Männer, Frauen, Kinder – europäische Wirtschaftsflüchtlinge.
Auch Fritz Noldes Gipsskulptur „Der ausgepresste Prolet“ (1928/29) – mittlerweile befinden wir uns in Industrie 2.0 – Zeitalter der Elektrifizierung – thematisiert Schattenseiten der Produktivitätssteigerung. Hier ist das ganze Gegenteil eines „optimierten Menschen“ zu sehen: eine krumme Gestalt mit traurigem Blick. Die Bronzefigur von Rudolf Küchler „Leben ist Arbeit“ (um 1900) zeigt einen Arbeiter, der sich den Schweiß von der Stirn wischt. Sein muskulöser Körper, sein nüchterner Blick, seine kräftigen Hände, die eine Spitzhacke halten – alles an ihm ist auf Arbeit eingestellt. Ein Mensch, zum Produktionsmittel optimiert – oder degradiert.
Im Ölgemälde von Willi Sitte „Arbeitspause“ (1959) dagegen sieht man einen Werktätigen, der in ein Buch vertieft ist. Mit seiner kräftiger Gestalt und den klaren Gesichtszügen wirkt der Arbeiter ruhig und konzentriert. Das Gemälde von Sitte entstand im Jahr der ersten Bitterfelder Konferenz, die ebenfalls einen Versuch der Optimierung der Arbeitswelt bedeutete – Künstler wurden aufgefordert, in ihren Kunstwerken den Arbeitsalltag der Werktätigen darzustellen, die Werktätigen wiederum sollten mit der Teilnahme an Literatur- und Zeichenzirkeln künstlerisch tätig werden. Mit dem Bitterfelder Weg drang Kunst und Kultur in die technisierte Welt der Kombinate, die Welt der Kombinate wiederum floss in Bildende Kunst und Literatur ein. Auch das Bild von Wolfram Eschenbach „Schichtwechsel im Tagebau“ (1975/76) zeigt die Arbeitswelt auf realistische Weise – ernsthaft und selbstbewusst, aber doch recht locker und zufrieden – läuft die Brigade in Arbeitskleidung durch die staubige Landschaft. Doch hier herrschte den Entscheidungsträgern zu viel Realismus, zu viel Staub – zur Ausstellung wurde das Werk damals nicht zugelassen.
Das Thema Tagebau wird auch in Industrie 3.0 – Zeitalter der Automatisierung aufgegriffen, so in den Arbeiten von Joachim Jansong „Leipziger Landschaft mit Selbstportrait“ (1982) und „Das letzte Foto“ (1982). Der Künstler thematisiert die brutale Zerstörung der Landschaft durch den Kohleabbau, das Verschwinden ganzer Ortschaften von der Landkarte. Hier greift die Optimierung auf schmerzhafte Weise in die Lebenswelt der Menschen ein, lässt Welten einfach verschwinden. Der Künstler steht ohnmächtig inmitten der zerstörten Landschaft, versucht verzweifelt, das zu dokumentieren, was unwiederbringlich verloren geht. Doch nicht nur Eingriffe in die Landschaft werden thematisiert, im Zuge der sich entwickelnden Gentechnik setzt man sich in der Kunst auch mit Eingriffen ins menschliche Erbgut auseinander. Im Werk von Günther Horlbeck „Alptraum eines Genetikers“ (1977) steht der Genforscher vor den Trümmern seiner Optimierungsversuche. Durcheinander geratene Körper in einer Fließbandwelt zeigt das Gemälde „Leben in Technologistan“ (1979) von Günther Firit. Erschrockene Augen und umher rudernde Arme versuchen, den Produktionsprozess aufzuhalten, doch es scheint zu spät, die Fließbänder laufen.
Lieber künstliche Intelligenz als natürliche Dummheit? Diese polemische Aussage, in großen Lettern an der Wand zu lesen, führt gedanklich ins Zeitalter der Digitalisierung (Industrie 4.0). Hier wird der Besucher mit einer ganzen Bandbreite aktueller Themen konfrontiert. In Stefan Hurtigs Rauminstallation „Ava, Tom und Serena“ (2019) kommunizieren drei staubsaugerartige Maschinen in einer künstlichen Sprache miteinander. Der Betrachter hört ihre Gespräche, verfolgt ihre Bewegungen am Boden, versteht jedoch nicht viel. Die Maschinen dagegen verstehen sich großartig untereinander, die Kommunikation funktioniert perfekt, die drei Staubsauger führen Verhandlungen und das mit Erfolg – ein Mensch wird in dieser optimierten Welt nicht gebraucht.
Die „Optimierung“ von Krieg und Zerstörung dagegen wird im Werk „Präventivschlag, unbemannt“ (2014) von Janine Koch behandelt. Kriege werden am Bildschirm geführt, als existierten in der analogen Welt weder Täter noch Opfer. Warnend steht nicht weit davon auf einem Metallsockel das Werk „Gasmaske mit englischem Helm“ (1976) von Gerhard Kurt Müller.
Wann wird digitalisierte Individualität zu Konformität? Völlig identische Schädelabdrücke reihen sich im Werk „Das ist der Preis 1-12“ (2018) von Ines Bruhn und Martin Kretschmar aneinander – allen wurde ein Barcode auf den Hinterkopf graviert. Auch die Fotografie von Olaf Martens „Leibnitzprojekt I-0 der Stadt Leipzig“ zeigt eine vereinheitlichte Menschenmenge ohne jegliche individuelle Merkmale. Dialoge aus dem Bereich zwischen Künstlichkeit und Menschlichkeit kann man im Video „An Inverted System to feel (your shared agenda)“ (2016) von Marie-Eve Levasseur verfolgen. „Ich frage mich, ob ihre Mutter abends noch Schlaflieder singt“ überlegt das System und auch der Betrachter wird noch eine Weile über diese und viele andere Fragen nachdenken. Blickt man zurück in den Ausstellungsraum, sieht man in beruhigendem Grün das Lämpchen aufleuchten – die Maschine wartet…
Credits
Text: Henrietta Meyer und Bartlomiej D. Kiszka leben als Freie Autorin und Künstler in Leipzig
Fotos (4): © Bartlomiej D. Kiszka