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Liebeszauber, Scheinmoral und Anerkennungswunsch

Liebeszauber, Scheinmoral und Anerkennungswunsch

Neuinszenierung von Emmerich Kálmáns „Csárdásfürstin“ am Theater Annaberg.

Wieder einmal besingt Sylva Varescu die Berge ihres Heimatlandes. In Annaberg hat sie davon reichlich. Doch jeder weiß, es geht hier um mehr. Die Fürstin des Csárdás kämpft um die Anerkennung in höfischen Kreisen, erlebt die Scheinmoral derselben samt der bürgerlichen Gesellschaft und mixt das alles mit wunderschönen Melodien.

                                                                                                                   von Frieder Krause

Die Handlungszeit dieser Operette – kurz vor dem 1. Weltkrieg – hat schon zu manchen inszenatorischer Irritationen geführt – bis hin zum Skandal in der Semperoper. Doch so politisiert wie 1999 durch Peter Konwitschny in Dresden geht es am Annaberger Theater mit dem der eigentlichen Geschichte für seine Inszenierung voll vertrauenden Intendanten nicht zu. Entstanden ist trotzdem oder gerade auf Grund dieser Haltung ein durchaus sehenswerter Theaterabend voller Operetten-Seligkeit. Das Theaterteam hat also sein Versprechen eingelöst. Viel mit Bravi durchsetzter dankbarer Beifall dafür am Premierenabend.

Wenn Kalman-Klänge „Drive“ bekommen

Für die beseelenden Klänge steht natürlich der Schöpfer derselben: Emmerich Kálmán. Bei der Erzgebirgischen Philharmonie Aue sind diese gut aufgehoben. Und in Kapellmeister Dieter Klug hat das Annaberger Theater einen Kenner dieser musikalischen Kostbarkeiten, die er mit Ehrfurcht und Liebe zum Klingen bringt, zumal das Orchester seinen Intentionen vertrauend folgt. Beim Jazz oder Pop würde man vom nötigen „Drive“ sprechen, der ist in dieser Wiedergabe Kálmán’scher Musik jederzeit spürbar.

Wenn dieser Operettenabend ein Manko aufweist, dann ist es das minimalistische Bühnenbild Tilo Staudtes. Unbegreiflich, wieso der erste Akt räumlich so eingegrenzt wird, die Akteure für Auftrittslied und Marsch-Ensemble so wenig Platz haben. Die nackte graue Wand an der rechten Bühnenseite geht eigentlich gar nicht (oder ist dies der Hinweis auf den kommenden Zerfall?).  An dieser Stelle sei den Chordamen höchste Anerkennung gezollt, die als die acht Variétédamen eine bewundernswerte Gelenkigkeit und Synchronität erreichen (Choreographie Sigrun Kressmann). Ein „Kreischer“ weniger hätte es allerdings auch sein können. Zusammen mit den anderen Choristen sowie der Chorvereinigung Coruso sorgen sie zudem für einen präzisen Wohlklang (Choreinstudierung Jens Olaf Buhrow).

Sabine Lindner verantwortete die Kostüme, die dem bunten Treiben entsprechen. Variabel erscheinen die Lebemänner, der Offizier, der alternde Notar, der Adelsstand, die Ballgäste. Typgerechter wäre bei allem nötigen Flitter manche Variétédame besser aufgehoben gewesen.

Bewährtes Ensemble

Durch die Nutzung der gesamten Bühne mit Drehscheibe ergeben sich im 2. und 3. Akt glücklicherweise andere Konstellationen fürs Handlungsgeschehen. Hier können die Intentionen Ingolf Huhns vom Spiel um Liebe, Verwechslung, Aufdeckung in ihren heiteren wie auch durchaus dramatischen Farben wesentlich besser ausgelotet werden. Dr. Huhn kann dabei auf ein Ensemble setzen, das für eine gute Umsetzung steht.

Allen voran Bettina Grothkopf als Sylva Varescu. Das war zu erwarten. Sie ist dieselbe in persona. Ihr klangschöner, facettenreicher Sopran ermöglicht das Ausloten all des feurigen Temperaments wie des Träumerischen dieser Rolle. Und dies gelingt ihr zugleich darstellerisch. Sie ist der „Souverän“, auch gegenüber Edwin. Als solcher hat Jason Lee im Sinne von Operettenseeligkeit als idealer Partner einer Sylva nicht die besten Karten, doch hier fällt solches weniger ins Gewicht. Stimmlich hat er eine erfreuliche Entwicklung genommen. Bei den Duetten des 2.  Aktes („Weißt Du es noch?“, „Tanzen möchte ich“) ist ein kongenialer Wohlklang mit Bettina Grothkopf zu erleben. Er sollte seine Entwicklung in Richtung Buffo forcieren.

Das zeigte sein Zusammenspiel mit Komtesse Stasi bei den berühmten Melodien von den Schwalben und der dummen Liebe. Madelaine Vogt ist auch in dieser Rolle die sichere Bank des Ensembles, erfrischend in Stimme und Spiel. Eine solche ist auch Jason-NandorTomory  als Graf Kancsianu. Dieser Boni macht einfach Spaß, ohne in billigen Klamauk abzugleiten. Er gefällt mit Grandezza, Beweglichkeit, wohlgesetzten Pointen und Schmelz in der Stimme. Der Feri bacsi ist Leander de Marel sozusagen auf den Leib geschneidert. Für ihn schließt sich ein Kreis, vom einst schillernden Boni in Altenburg zum altersweisen Lebemann in Annaberg. Berührend sein Moment des Alleinseins beim Weggang Sylvas nach Amerika und sein Mitfühlen und Engagieren für die jungen Leute.

Seinem Adelsstand würdig erweist sich Michael Junge als Fürst zu Lippert-Weylersheim. Großartig sein Erschrecken ob der Falle, die er mit Anhilte als Ehefrau einging. Ebenso sein aufkommendes Verständnis für den Sohn. Tamara Korber gab ihrer Anhilte mit zu spürender Mutterliebe und auch Stolz auf ihre Herkunft Profil. Ihr oblag es, sehr kurzfristig für die erkrankte Bettina Corthy-Hildebrandt einzuspringen. Bravo. Am Premierenabend agierte rollengerecht Olaf Kaden als Oberleutnant Rohnsdorf. Als alternder Notar Kiss erwies sich Matthias Stephan Hildebrandt einmal mehr als die „Wunderwaffe“ des Annaberger Ensembles.

 

Annotation:

Die Csárdásfürstin, Operette in drei Akten von Leo Stein und Béla Janbach, Musik von Emmerich Kálmán; Ingolf Huhn, Musikalische Leitung Dieter Klug, Bühne Tilo Staudte, Kostüme Sabine Lindner Inszenierung, Choreographie Sigrun Kressmann, Chör Jens Olaf Buhrow, Dramaturgie, Annelen Hasselwander

Besetzung:

Leopold Maria, Fürst von und zu

Lippert-Weylersheim                                 Michael Junge

 

Anhilte, seine Frau                                    Tamara Korber/Bettina Corthy-Hildebrandt

 

Edwin Ronald, beider Sohn                      Jason Lee

 

Komtesse Anastasia,

Nichte des Fürsten                                    Madelaine Vogt

 

Graf Boni Kancsianu                                 Jason-Nandor Tomory

 

Sylva Varescu                                           Bettina Grothkopf

 

Feri von Kerekes, genannt

Feri bacsi                                                  Leander de Marel

 

Eugen von Rohnsdorff,

Oberleutnant i. R.                                      Olaf Kaden / Nenad Zanic

 

Kiss, Notar                                                Matthias Stephan Hildebrandt

Der Chor des Eduard-von Winterstein-Theaters, Mitglieder der Freien Chorvereinigung Coruso e.V., Extrachor. Es spielt die Erzgebirgische Philharmonie Aue.

 

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15.11.2019,  19:30 Uhr, 30.11.2019,  19:30 Uhr, 08.12.2019,  19:00 Uhr, 22.12.2019,  19:00 Uhr, 25.12.2019,  19:00 Uhr, 02.02.2020,  15:00 Uhr, 29.02.2020,  19:30 Uhr, 27.03.2020,  19:30 Uhr

 

 

Credits:

Besuchte Vorstellung: Premiere 27.10.2019, veröffentlicht: 29.10.2019

 

Fotos: © Ronny Weber/BUR-Werbung

 

 

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